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Politik: „Es sind nicht nur Christen betroffen“

UN-Religionsberichterstatter Bielefeldt erklärt, warum Christenverfolgung ein heikler Begriff ist

Das Massaker an koptischen ägyptischen Christen an Neujahr schien einen Eindruck zu bestätigen, der sich seit geraumer Zeit verfestigt: Es gibt eine neue Form der Christenverfolgung. Schließlich ist die Lage der Christen ausgerechnet im Nahen Osten, wo das Christentum entstand, schon lange dramatisch. Die christliche Minderheit dort schrumpft und leidet – etwa im Irak seit dem Krieg – unter Morden und Diskriminierung; selbst in der laizistischen Türkei ist ihre Religionsfreiheit beschränkt. Aber auch in Indonesien wurden erst kürzlich Protestanten angegriffen.

Herr Professor Bielefeldt, gibt es eine neue Christenverfolgung?

Zunächst und vor allem: Die aktuell hohe Aufmerksamkeit für die Lage der Kopten und der Christen im Nahen Osten überhaupt, ist wichtig und sollte anhalten. Gerade Ägypten gegenüber hat der Westen die Augen zu lange verschlossen, weil man das Land für einen Anker der Stabilität in der Region hielt. Die ägyptischen Kopten leiden schon seit Jahrzehnten unter systematischer Diskriminierung. Zum Beispiel werden Genehmigungen für die Renovierung von Kirchen oft jahrelang verschleppt. Im öffentlichen Dienst sind die Kopten dramatisch unterrepräsentiert. Und obwohl sie in den letzten Jahren immer wieder Opfer von Gewalt wurden, hat es nur ganz wenige Gerichtsurteile gegen die Täter gegeben. Mit dem Begriff Christenverfolgung wäre ich trotzdem eher zurückhaltend.

Wieso?

Es geht um Verletzungen des universalen Menschenrechts auf Religionsfreiheit, von denen vielfach Christen betroffen sind, aber eben auch Angehörige anderer Minderheiten – wie etwa die Baha’i. Darüber hinaus werden auch innerislamische Minderheiten oder muslimische Dissidenten in Ägypten und anderen Ländern der Region unterdrückt. Und schließlich gibt es ja auch Menschen, die sich der Religion gegenüber generell distanziert verhalten. Auch deren Freiheit muss gewährleistet werden. Religionsdistanz oder gar Religionslosigkeit ist aber in Staaten wie Ägypten nicht vorgesehen.

Die Zahlen scheinen aber eine andere Sprache zu sprechen. Es gibt die These, die auch Papst Benedikt vertritt, dass Christen weltweit die meistverfolgte Glaubensgemeinschaft sind. Stimmt das?

Quantitative Schätzungen in diesem Zusammenhang sind schwierig und sollten vorsichtig interpretiert werden. Häufig liest man die Zahl von 100 Millionen oder mehr verfolgten Christen. Soweit ich das verstanden habe, werden dabei alle Christen, die als Minderheiten in solchen Staaten leben, die die Religionsfreiheit missachten, pauschal addiert. Sofern es sich dabei um muslimisch geprägte Staaten handelt, wird meines Wissens gleichzeitig vorausgesetzt, dass für Muslime keinerlei Probleme in Sachen Religionsfreiheit gegeben seien – eine, wie ich finde, unzulässige Annahme. Außerdem wäre es wichtig, bei der Analyse der Lage der verschiedenen Religionsgruppen interne Unterschiede angemessen zu berücksichtigen.

Welche meinen Sie?

In manchen Staaten des Nahen Ostens werden etwa protestantische Christen mit besonderem Misstrauen betrachtet, weil sie im Rufe stehen, aktive Mission zu betreiben – was oft staatlich nicht toleriert wird, obwohl die Religionsfreiheit auch das Recht auf aktive Glaubensverkündigung umfasst. Besonders schwierig ist vielerorts auch die Situation der Zeugen Jehovas, die zu den weltweit am stärksten verfolgten Gruppen gehören.

Uns im Westen stecken beim Stichwort „Christenverfolgung“ vermutlich die Hollywood-Bilder der fünfziger Jahre im Kopf, wilde Tiere im Kolosseum, denen der Kaiser standhafte Christen zum Fraße vorwirft. Wie weit trägt der Begriff heute?

Solche Assoziationen gehen in die Irre. Das alte Rom war im Umgang mit religiösem Pluralismus ausgesprochen pragmatisch und überhaupt nicht gesinnungspuristisch. Die Christen wurden verfolgt, insofern sie den kultischen Loyalitätsbeweis gegenüber Kaiser und Staat verweigerten. Zeitgenössischen Fundamentalisten geht es demgegenüber um Einheit und Reinheit in religiösen Fragen. Sie bedrohen deshalb – zum Beispiel in Indonesien – nicht nur Christen, sondern alle, die nicht in ihr Schema von reiner Lehre und reinem Lebenswandel passen: Andersgläubige, liberale Muslime, Homosexuelle, kritische Geister jedweder Art.

Das klingt, im negativen Sinne, ziemlich modern.

Der heutige Fundamentalist begnügt sich, anders als Kaiser Diokletian damals, eben nicht mit ein paar Körnchen Weihrauch für den Staatskult. Vielmehr geht es um systematische Gesellschaftspolitik, in der religiöse Imperative und technokratische Vorstellungen von „social engineering“ in paradoxer Weise verbunden werden. Insofern hat der religiöse Fundamentalismus unverkennbar moderne Züge, auch wenn er alle liberalen Errungenschaften der Moderne bekämpft.

Das Gespräch führte Andrea Dernbach.

Heiner Bielefeldt (52) war Gründungsdirektor des Instituts für Menschenrechte.

Seit 2010 ist der Historiker und katholische Theologe UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit.

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