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Italienisches Dreigestirn: Premier Silvio Berlusconi (M.), Staatssekretär Gianni Letta (r.) und Wirtschaftsminister Giulio Tremonti. Foto: Tony Gentile/Reuters

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Politik: „Es zahlen nur die immer Gleichen“

Unter heftigem Druck Europas beschließt Rom das größte Sparpaket aller Zeiten. Noch halten die Ferien den Protest in Grenzen

„Mir blutet das Herz“, sagte Regierungschef Silvio Berlusconi: „Nie wollten wir in die Taschen der Italiener greifen, aber die Weltlage hat sich verändert, und die Europäische Zentralbank will das so.“ Und dann flog er wieder auf seinen Großgrundbesitz in Sardinien. Am Freitagabend hat die Regierung Berlusconi das größte Sparpaket vorgelegt, das Italien je gesehen hat. Am Samstag stand das entsprechende „Notdekret“ bereits im Gesetzblatt. Es greift in seinen ersten Teilen also schon. Das Parlament hat nun 60 Tage Zeit zur endgültigen Beschlussfassung.

Zu den fast 48 Milliarden Euro, die nach dem ersten Haushaltsgesetz von Mitte Juli eingespart werden sollten, kommen jetzt – verteilt auf 2012 und 2013 – weitere 45,5 Milliarden Euro hinzu. Nur so sei es möglich, den europäischen Vorgaben zu genügen und in zwei Jahren den Staatshaushalt auszugleichen, sagte Finanzminister Giulio Tremonti – der auf diese Weise so nebenbei einräumte, dass trotz all seiner früheren Versicherungen das erste Haushaltsgesetz dazu bei Weitem nicht gereicht hätte. Die Schuldenlast Italiens, die derzeit bei 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) liegt und nach Angaben der Nationalbank soeben die Marge von 1900 Milliarden Euro überschritten hat, soll nun bis 2014 um 55,5 Milliarden Euro verringert werden.

Woher das Geld kommen soll, steht bisher nur in groben Zügen fest. An unmittelbaren Sozialleistungen sollen in den beiden kommenden Jahren 20 Milliarden Euro eingespart werden. Da aber auch die Zuwendungen an Regionen, Landkreise und vor allem an Kommunen um 20 Milliarden Euro sinken, ist dort mit dem Rückgang öffentlicher Leistungen oder sozialer Vergünstigungen zu rechnen, sowie mit einem Anstieg diverser Gebühren.

Den Ministerien in Rom werden in den kommenden zwei Jahren pauschal 13,7 Milliarden Euro gestrichen – wie und wo genau, das will die Regierung Ende September entscheiden. Strukturreformen jedenfalls sind nicht geplant. Es ist nur vorgesehen, dass der öffentliche Dienst als solcher zehn Prozent des Personals und zehn Prozent bei den Amtsleitern einspart. Beschäftigte des öffentlichen Diensts verlieren außerdem ihr 13. Monatsgehalt, wenn ihre Behörde die staatlichen Sparvorgaben nicht umsetzt. Von Kürzungen ausgenommen bleiben bisher Renten, Schule, Gesundheitswesen und Kultur. Die Steuern steigen auf Tabak, Benzin und Glücksspiele. Energieproduzenten werden um vier Prozentpunkte stärker zur Kasse gebeten, dürfen aber diese neue „Robin Hood“-Steuer nicht an die Kunden weitergeben. Die Kapitalertragssteuer wird von 12,5 auf 20 Prozent erhöht. Das gilt – eine verkaufsfördernde Maßnahme – nicht für Staatsanleihen.

Einer Vermögenssteuer hat sich Berlusconi persönlich widersetzt. Um allerdings den Anschein zu wahren, dass „Reiche“ trotzdem in stärkerem Maße zur Krisenbewältigung herangezogen werden, müssen Bezieher von Jahreseinkommen ab 90 000 Euro einen zweistufigen „Solidarbeitrag“ von fünf und zehn Prozent bezahlen. Dies betrifft aber ganze 1,2 Prozent der Italiener – und lässt die Selbstständigen fast ungeschoren davonkommen. Sie deklarieren im Durchschnitt ein Jahreseinkommen von unter 30 000 Euro, und alle wissen, dass Italiens jährliche Steuerhinterziehung auf Einkommenssummen von etwa 100 Milliarden Euro nicht zuletzt in diesem Bereich zu Hause ist. So lautet denn auch der schärfste Protest gegen das neue Sparpaket, vorgetragen in diesem Falle von „L’Avvenire“, der Tageszeitung der italienischen Bischofskonferenz: „Alle müssen zahlen, nur die Steuerhinterzieher nicht.“

Sparen will die Regierung auch bei den Kommunalpolitikern. Durch Zusammenlegung von Landkreisen („Provinzen“) und die Verschlankung der vielen Mini- Gemeinden sollen allein 54 000 Wahlämter verschwinden. Zur Streichung vorgesehen sind auch die beiden Nationalfeiertage und der 1. Mai. Zur Produktivitätssteigerung sollen sie künftig auf den jeweils nächstgelegenen Sonntag fallen. Ob diese letzten beiden Maßnahmen aber im Parlament durchgehen, und wann sie wie wirken, ist unklar.

Sie hätten, ihrem „Gewissen und dem Ruf der Pflicht folgend“, all das getan, was „für das Wohl Italiens erforderlich“ ist, sagen Regierungschef Silvio Berlusconi und der Architekt des Sparpakets, Finanzminister Giulio Tremonti. Der Widerstand aber formiert sich bereits, auch wenn im Augenblick niemand auf die Straßen geht: Um den 15. August herum ruht das gesamte Land traditionell im allertiefsten Ferienschlaf. Der linke Gewerkschaftsverband CGIL indes bleibt bei seinen Vorbereitungen für einen Generalstreik. Die gesamte Opposition protestiert gegen die „soziale Unausgewogenheit“ der Sparmaßnahmen: „Es zahlen wieder mal nur die immer Gleichen.“

Sogar die Zeitung des Industriellenverbands, „Il Sole 24 Ore“, stört sich an den „unnormalen Verhältnissen“ bei den Zahlern des Solidarbeitrags. Die linksliberale Tageszeitung „La Repubblica“ kritisiert, wie viele andere, dass die Parlamentsabgeordneten sich selbst von den Kürzungen weitgehend ausgenommen hätten; im Übrigen enthalte der Sparhaushalt „keinerlei Idee zur Entwicklung und zum Wachstum der Wirtschaft“.

Selbst die Blätter aus Berlusconis Lager gehen auffallend ungnädig mit dem Sparpaket um: Ein „Knüppelschlag auf die Freiheit“ sei das, schreibt der „Libero“, und die Schmierenzeitung „Il Giornale“ fordert die Leser auf, den Politikern, die das Land „vierzig Jahre schlecht regiert“ hätten, „einen Tritt in den Hintern“ zu verpassen. Zu diesen Politikern zählt natürlich auch Berlusconi. Aber so deutlich schreibt der „Giornale“ das nicht.

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