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Ethik-Diskussion: Argumente in der Petrischale

Ist die Präimplantationsdiagnostik Segen oder Fluch? Im Bundestag herrscht darüber über alle Parteigrenzen hinweg vor allem Unsicherheit. Am Dienstag wird der letzte von drei Gesetzentwürfen zum Thema vorgestellt.

Sätze wie diese sind selten im Berliner Politikbetrieb, doch im Moment sind sie oft zu hören. „Ich bin mir unsicher“, sagen Abgeordnete. „Ich habe viele Fragen.“ In den kommenden Monaten müssen die Abgeordneten die Präimplantationsdiagnostik (PID) neu regeln. Sie werden über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg diskutieren. Am Dienstag wird der letzte von drei Gesetzentwürfen zum Thema vorgestellt.

Mit PID ist es möglich, Eizellen nach einer künstlichen Befruchtung auf Erbkrankheiten zu untersuchen – und nur jene einer Frau einzupflanzen, die nicht betroffen sind. Oft wissen Eltern von ihrer genetischen Veranlagung, weil sie bereits ein Kind haben, das etwa an Multipler Sklerose oder an Mukoviszidose leidet. Embryonen so auszuwählen ist verboten, dachte man – bis der Bundesgerichtshof im vergangenen Sommer überraschend anders urteilte. Deshalb soll nun ein Gesetz klarstellen, was in Sachen PID gilt.

Peter Hintze (CDU) und fünf andere Abgeordnete stehen hinter dem Vorschlag, der die PID am weitesten freigeben würde. Mit Hintze verbinden viele die Rote-Socken-Kampagne, die er für Helmut Kohl plante. Weniger bekannt ist: Er war Frauenbeauftragter der nordrhein- westfälischen CDU in den achtziger Jahren, als keine Frau diese Aufgabe wollte. In den neunziger Jahren wurde er parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Frauen und Jugend. Hintze sagt: „Jedes Leben ist für mich gleich wertvoll und gleich lebenswert.“ Doch er will Frauen selbst bestimmen lassen. „Entscheidend ist immer die Mutter“, sagt er. „Die psychische und physische Belastung im Wissen um eine verhängnisvolle Erbkrankheit ist für sie am größten. Traurige Realität ist auch, dass sich die Väter leider häufig aus dem Staub machen.“ Machen die Abgeordneten Hintzes Entwurf zum Gesetz, entscheidet eine Ethikkommission über jeden einzelnen Fall.

Hintze will vermeiden, was oft Schwangerschaft auf Probe genannt wird: Eine Frau mit erblicher Vorbelastung wird schwanger, lässt den Embryo untersuchen und treibt ab, falls eine Behinderung festgestellt wird. Dabei denkt er auch an Eltern, die schon ein behindertes Kind großziehen und eine PID wollen, weil sie fürchten, einem zweiten behinderten Kind nicht gerecht werden zu können. „Diese Einstellung zu verwerfen, halte ich für unbarmherzig“, sagt Peter Hintze.

Anders sehen das Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und weitere Abgeordnete, die am Dienstag ihren Gesetzentwurf vorlegen wollen. Göring-Eckardt, Vizepräsidentin des Bundestages und Präses der Synode der Evangelischen Kirche, will die PID vollständig verbieten – um das ungeborene Leben zu schützen. Sie fürchtet, mit der PID sei oft ein falsches Heilsversprechen verbunden, weil nur rund ein Fünftel aller Frauen nach einer künstlichen Befruchtung überhaupt ein Baby bekommt. Vor allem aber wendet sich Göring-Eckardt gegen gesellschaftlichen Druck auf Frauen, gesunde, nichtbehinderte Kinder zur Welt zu bringen. „Viele Eltern mit behindertem Kind hören: ‚Mussten Sie das denn bekommen?’“, kritisiert sie. Die Energie, die die Abgeordneten in das Thema PID investieren, sähe sie lieber der Frage gewidmet, wie Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam gut leben können – und der Tatsache, dass das Leben mit Behinderung „auch Leben mit Reichtum und Glück ist“.

Das Argument der Schwangerschaft auf Probe ist für die PID-Gegner keines, denn bei der befruchteten Eizelle in der Petrischale gibt es noch keinen Konflikt zwischen den Interessen von Mutter und Kind. In der Frage der PID kann es für Göring-Eckardt keine Ausnahme geben, auch nicht bei Erbkrankheiten, die dazu führen, dass ein Embryo gar nicht erst zum Baby heranwächst. „Frauen zu treffen, die immer wieder Fehlgeburten erlitten haben, berührt mich sehr“, sagt die Abgeordnete. „Zugleich muss ich als Politikerin abwägen, was PID an anderer Stelle anrichten würde.“ PID heißt, Embryonen auszusortieren. „Dieser Schaden wäre aus meiner Sicht ungleich größer als das, was die PID Gutes bewirken könnte“, sagt sie.

Einen Kompromiss, die PID für wenige Ausnahmefälle, will jedoch eine Gruppe von drei Abgeordneten. Einer von ihnen ist René Röspel (SPD). Röspel war 2003 bis 2005 Vorsitzender der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“. Er möchte die PID zulassen, wenn zu befürchten ist, dass eine Frau eine Fehl- oder Totgeburt erleiden oder dass ihr Kind im ersten Lebensjahr sterben wird. „Ein kategorisches Verbot würde das Leid der Paare ignorieren, die aufgrund einer genetischen Vorbelastung keine lebensfähigen Kinder zu Welt bringen können“, sagt Röspel. Für alle anderen Fälle aber will er keine PID – mit Blick auf mögliche gesellschaftliche Folgen. Es geht ihm um die Wertschätzung von Menschen, die mit einer Behinderung leben.

Bevor der Biologe Röspel 1998 in den Bundestag gewählt wurde, forschte er am Uniklinikum Essen. Wieso werden befruchtete Eizellen nicht vom Körper der Mutter abgestoßen? Warum können sie sich in der Gebärmutter einnisten? Diese Fragen versuchten Röspel und seine Kollegen zu beantworten. „Unter dem Mikroskop biologische Prozesse zu betrachten, darüber nachzudenken, wie aus einer einzigen Zelle ein so komplexes Lebewesen wie der Mensch entstehen kann, das hat meinen Respekt vor dem Leben vergrößert“, sagt Röspel. Er fürchtet, dass es nicht bei Einzelfällen bleiben wird, wenn erst einmal auf Erbkrankheiten untersucht wird. „Eine schleichende Ausweitung wäre nicht zu stoppen“, sagt er. Den Vorschlag seiner Gruppe sieht er als Angebot an jene Abgeordnete, die im Zweifel für ein Verbot stimmen würden, aber glauben, dass dieses nicht mehr durchsetzbar sein wird. Denn PID ist schon heute Realität, auch für deutsche Paare. In anderen europäischen Ländern ist sie erlaubt, und dort nehmen auch Deutsche die Technik in Anspruch.

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