Nach den jüngsten Spannungen zwischen der Türkei und der EU bemüht sich die Bundesregierung um eine einvernehmliche Lösung. Deutschland arbeite an einem Kompromissvorschlag, verlautete am Montag aus deutschen Delegationskreisen beim Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg. Bei dem Treffen ging es um die Frage, ob trotz der Polizeigewalt im Umgang mit der Protestbewegung in der Türkei ein neues Kapitel der türkischen EU-Beitrittsverhandlungen eröffnet werden sollte. Die Türkei warnte vor ernsthaften Konsequenzen, falls die EU die angekündigte Eröffnung des Kapitels streichen sollte.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist nach eigenem Bekunden über die jüngsten Bilder aus der Türkei „erschrocken“. Sie hoffe, „dass der Dialog wieder die Oberhand gewinnt“, sagte sie auf der Jahrestagung der Türkisch-Deutschen Industrie- und Handelskammer am Montag in Berlin. Für die Türkei sei die Entwicklung einer starken Zivilgesellschaft „außerordentlich notwendig“, mahnte sie. „Es sollte nicht als Bedrohung, sondern es sollte als Bereicherung empfunden werden“, befand Merkel weiter.
Zur Perspektive für einen EU-Beitritt des Landes sagte die Regierungschefin, sie halte sich zwar an geschlossene Verträge. „Allerdings können wir nicht ignorieren, was dort passiert.“ Die wichtigste Frage sei das Ankara-Protokoll – darin verlangt die EU von der Türkei, die Zypern-Frage zu lösen. „Das ist die dauerhafteste Barriere“, unterstrich Merkel. „Andere Probleme kann man sicherlich auf der Zeitachse miteinander bereden.“
Bis dies gelöst sei, sollten Deutschland und die Türkei ihre gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen intensivieren. Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern beläuft sich auf 32 Milliarden Euro, das ist ein Viertel des Volumens mit der gesamten EU. Merkel rief dazu auf, vor allem in Energiefragen enger zusammenzuarbeiten. „Wir hoffen, dass die Türkei den Weg der wirtschaftlichen Öffnung und der gesellschaftlichen Liberalisierung weiter gehen wird.“ Sie sehe noch „große Potenziale“ in der Zusammenarbeit mit dem in den vergangenen Jahren stark gewachsenen Land. „Die müssen wir nutzen und erschließen.“

Vor Beginn der regierungsfeindlichen Unruhen vor mehr als drei Wochen hatten EU und Türkei prinzipiell vereinbart, bis Ende des Monats das Kapitel 22 der Beitrittsgespräche in Angriff zu nehmen, in dem es um Regionalpolitik geht. Es wäre der erste konkrete Fortschritt der Türkei-Verhandlungen seit drei Jahren. Die Türkei verhandelt seit 2005 mit der EU über einen Beitritt, kommt aber kaum voran. Bisher hat das Land erst 13 der insgesamt 35 Verhandlungskapitel angehen können.
Die Bundesregierung, Österreich und die Niederlande hatten in den vergangenen Tagen wegen des harten Vorgehens der türkischen Polizei gegen Demonstranten neue Vorbehalte gegen die Kapitel-Eröffnung geltend gemacht. Bundesaußenminister Guido Westerwelle bemühte sich am Montag laut Delegationskreisen am Rande des EU-Außenministerrates in Luxemburg, in Kontakten mit anderen EU-Politikern und der Türkei eine Lösung zu finden. Eine Entscheidung soll diese Woche fallen.
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