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EU-Erweiterung: Die Ängste waren unbegründet

Vor fünf Jahren traten zehn neue Staaten der Europäischen Union bei – Experten ziehen eine positive Bilanz der Osterweiterung.

Berlin - Es war ein Moment, der den Fall des Eisernen Vorhangs endgültig markierte. Es wurden Partys gefeiert und Reden gehalten, an etlichen Grenzübergängen waren Feuerwerke zu sehen, beispielsweise in Zittau im Dreiländereck zwischen Deutschland, Tschechien und Polen. Altbundeskanzler Helmut Kohl sprach von einer „Glücksstunde“. Vor fünf Jahren, am 1. Mai 2004, wuchs die Europäische Union von 15 auf 25 Mitglieder an. Zweieinhalb Jahre später kamen auch noch Bulgarien und Rumänien hinzu. Die Bilanz der EU-Osterweiterung kann sich heute sehen lassen. Auf der Habenseite stehen in den Beitrittsländern – zumindest bis zum vergangenen Herbst – hohe Wachstumsraten und ganz allgemein ein Plus an politischer Stabilität. Der Ansturm billiger Arbeitskräfte aus dem Osten, der vor fünf Jahren im Westen befürchtet wurde, ist ausgeblieben.

Der „Big Bang“, die Erweiterung der EU im großen Stil, war seinerzeit umstritten. Vor allem der damalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen setzte sich dafür ein, dass zum 1. Mai 2004 nicht weniger als zehn Länder Zutritt zum Club der EU fanden: Malta, Zypern, Slowenien, Ungarn, Litauen, Slowakei, Polen, Tschechien, Estland und Lettland. Nach Meinung der Polenexpertin der SPD, Angelica Schwall-Düren, waren die seinerzeitigen Bedenken mit Blick auf die mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten unbegründet. Die Bilanz sei heute „uneingeschränkt positiv“, ist sie überzeugt.

Allerdings gibt es nach der Ansicht der SPD-Politikerin in zahlreichen mittel- und osteuropäischen Staaten, die vor fünf Jahren der Gemeinschaft beitraten, „tendenziell Renationalisierungsbewegungen“. Die Ursache liege in den großen gesellschaftlichen Umbrüchen, die der Wandel von der Staats- zur Marktwirtschaft mit sich brachte: Wer auf der Verliererseite stehe, sei auch eher anfällig für populistische Verführungen, sagt Schwall-Düren zur Begründung. Populistische Strömungen in der Politik sind nach der Ansicht der SPD-Politikerin allerdings kein rein osteuropäisches Phänomen – Globalisierungsängste und erstarkende Bewegungen am rechten Rand des politischen Spektrums gebe es schließlich auch in Belgien, Italien, Dänemark und Schweden.

Die nationalistischen Wortmeldungen in der EU-Debatte, die vor zwei Jahren von den polnischen Kaczynski-Zwillingen zu hören waren und von Tschechiens Staatschef Vaclav Klaus immer noch zu hören sind, will Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin dabei nicht überbewerten. Selbst die Kaczynskis hätten die Vorzüge der EU bei der Vertretung ihrer nationalen Interessen erkannt, sagt der Experte für Mittel- und Osteuropa. Dies gelte etwa in der Frage der gesamteuropäischen Energiesicherheit.

Als unbegründet sollte sich außerdem die Sorge erweisen, dass Arbeitnehmern im Westen der EU mit dem Beitritt der Mittel- und Osteuropäer eine Billigkonkurrenz erwachsen könnte. „Befürchtungen, dass der Arbeitsmarkt zusammenbrechen würde, haben sich nicht bewahrheitet“, sagt Christian Dreger, Konjunkturexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Für unklug hält Dreger die Haltung der Bundesregierung, die den deutschen Arbeitsmarkt noch bis 2011 für Arbeitnehmer aus Mittel- und Osteuropa abschotten will: Dies habe dazu geführt, dass auch gut ausgebildete Arbeitskräfte einen Bogen um Deutschland machen.

Die Erweiterungs-Ängste von 2004 mögen unbegründet gewesen sein – aber dennoch widerstrebt die EU-Osterweiterung vielen Menschen in der „alten“ EU innerlich. Dies zeigte sich 2005 bei den Referenden über die EU-Verfassung. Mit dem Vertragswerk, das bei den Abstimmungen in Frankreich und den Niederlanden scheiterte, wollte die Europäische Union die Voraussetzung für weitere Erweiterungsrunden schaffen. Im Frankreich trug allerdings das Schreckensszenario, demnächst würden massenhaft „polnische Klempner“ heimische Arbeitsplätze gefährden, auch wesentlich zur Ablehnung des Vertragstextes bei.

Nach dem Scheitern der EU-Verfassung unternimmt die Europäische Union einen neuen Anlauf für ihre innere Reform. Zwar ist unklar, ob der Lissabon-Vertrag – eine abgespeckte Version der Verfassung – je in Kraft treten wird. Aber schon jetzt ist eine heftige Debatte entbrannt, ob sich die EU ohne den Lissabon-Vertrag überhaupt noch erweitern kann. Soll die Europäische Union in den nächsten Jahren neue Mitglieder – beispielsweise Kroatien oder Island – aufnehmen? Die EU-Mitgliedstaaten sind in dieser Frage gespalten. Im Europaparlament herrscht die überwiegende Meinung, dass es ohne neuen EU-Vertrag auch keine neuen Erweiterungsrunden geben kann.

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