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Treffen in Paris. Frankreichs Außenminister Fabius, Kanzlerin Merkel, Präsident Hollande und Bundesaußenminister Steinmeier (v. l.) vor dem Elysée-Palast.

© Reuters

EU-Gipfel: Die Grenzen von Merkels neuer Macht

Zu Beginn ihrer dritten Amtszeit steht Kanzlerin Angela Merkel auch auf der europäischen Bühne gestärkt da. Doch ihre Macht in Europa hat Grenzen – das zeigt sich bei der Diskussion um die Reformverträge, die EU-Staaten nach dem Willen der Kanzlerin mit der europäischen Ebene eingehen sollen.

Angela Merkel ist auf der europäischen Bühne eine Ausnahmeerscheinung. Während die Euro-Krise in den vergangenen Jahren einen Regierungschef nach dem anderen – zum Beispiel José Luis Rodriguez Zapatero in Spanien oder Silvio Berlusconi in Italien – politisch dahinraffte, tritt die Kanzlerin in Berlin gerade ihre dritte Amtszeit an. Vom Wählerwillen gestärkt, dürfte Merkel mehr noch als in der vergangenen Legislaturperiode zur treibenden Kraft Europas werden. Doch ihre Macht hat Grenzen. Das zeigt sich bei der Diskussion um die Reformverträge, welche EU-Staaten nach dem Willen der Kanzlerin mit der europäischen Ebene abschließen sollen. Mit dem Vorhaben dürfte sie beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag kaum vorankommen.

Merkel hatte das Thema der Reformverträge bereits bei zurückliegenden Spitzentreffen mit mäßigem Erfolg angesprochen. Staaten der Euro-Zone sollen sich nach Absicht der Bundesregierung künftig gegenüber der EU-Kommission und den übrigen EU-Mitgliedstaaten zu Reformen verpflichten, damit finanzielle Schieflagen wie in Griechenland oder in Spanien gar nicht erst wieder entstehen können. Merkel nannte am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sowie die Funktionsfähigkeit der Verwaltungen als Felder, auf denen sich die Euro-Staaten zu konkreten Reformfortschritten verpflichten sollen. Im Gegenzug zu den Reformen winken finanzielle Anreize aus der EU-Kasse. Im Entwurf der Abschlusserklärung für den Gipfel heißt es, dass nach dem Treffen weiter ausgelotet werden soll, ob die Finanzhilfen nun in der Form von Darlehen, Zuschüssen oder Garantien gewährt werden.

Auch wenn es am Mittwoch aus Berliner Regierungskreisen hieß, dass beim Gipfel die „wichtigsten Merkmale“ der von Merkel gewünschten Reformverträge definiert werden sollten, dürfte die Kanzlerin mit ihrem Projekt kaum vorankommen – schon im Vorfeld des Treffens gab es große Widerstände der EU-Partner. Jetzt wird eine endgültige Einigung über die Reformverträge im Juni 2014 angestrebt. Möglicherweise müssen dafür auch die EU-Verträge geändert werden.

Was ist vom EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel sonst noch zu erwarten?

Die Staats- und Regierungschefs können vor allem einem wesentlichen Bestandteil der Bankenunion ihren Segen geben. Dabei geht es um einen Fonds aus Bankengeldern in Höhe von 55 Milliarden Euro, der in den nächsten zehn Jahren zur Abwicklung von Finanzhäusern aufgebaut werden soll. Auf diesen Fonds haben sich die EU-Finanzminister – und damit auch der alte und neue deutsche Ressortchef Wolfgang Schäuble (CDU) – am späten Mittwochabend geeinigt. Ansonsten wird es bei dem Gipfel um die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die Lage in der Ukraine und die Erweiterung der Europäischen Union gehen.

Während Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel mit ihrem Ansinnen der Reformverträge Gegenwind der EU-Partner erwarten muss, ist ihre Position in der Europapolitik im Bundestag nach der Wahl vom September gestärkt: In EU-Fragen weiß sie mindestens drei Viertel der Koalitionsabgeordneten von Union und SPD hinter sich.

Welche unterschiedlichen europapolitischen Interessen gibt es in der Koalition?

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD bleibt in vielen Punkten hinreichend vage, um den drei Parteien im demnächst beginnenden Europawahlkampf ausreichend Beinfreiheit zu lassen. Wer wollte schließlich etwas dagegen sagen, dass Deutschland als Gründungsmitglied der EU auch künftig „eine verantwortungsvolle und integrationsfördernde Rolle in Europa wahrnehmen“ müsse?

Der Europawahlkampf könnte in Deutschland so aussehen: Die CDU profiliert sich als Gralshüterin der Interessen deutscher Steuerzahler auch in Zeiten der abklingenden Euro-Krise, die CSU zeigt dem Brüsseler Regulierungs-Betrieb die Grenzen auf, und die SPD gibt den Fürsprecher der arbeitslosen Jugendlichen im Süden Europas. Wobei Merkel kein Interesse daran hat, dieses Thema allein den Sozialdemokraten zu überlassen. Sonst hätte sie in ihrer Regierungserklärung zum bevorstehenden Brüsseler EU-Gipfel vor dem Bundestag am Mittwoch die Jugendarbeitslosigkeit wohl kaum als „eine der zentralen Herausforderungen“ für die Europäer bezeichnet.

Allerdings ist der Koalitionsvertrag in einem Punkt sehr deutlich. „Jede Form der Vergemeinschaftung von Staatsschulden würde die notwendige Ausrichtung der nationalen Politiken in jedem einzelnen Mitgliedstaat gefährden“, heißt es in dem Papier. Sprich: Euro-Bonds, wie sie in der SPD immer wieder gefordert wurden, wird es mit Merkel nicht geben.

Doch aufgrund dieser Formulierung im Koalitionsvertrag müssen die notleidenden Südländer nicht unbedingt befürchten, dass „Merkel III“ ihnen gegenüber besonders hartherzig auftreten wird. Im Gegenteil: Zunächst einmal dürfte sich an der europapolitischen Rhetorik der neuen Bundesregierung einiges ändern. Waren FDP-Vertreter wie der frühere Wirtschaftsminister Philipp Rösler noch mit Äußerungen aufgefallen, wonach beispielsweise eine Griechenland-Pleite ihren „Schrecken verloren“ habe, so dürften derartigen Drohgebärden an die Adresse der Krisenländer in Zukunft eher selten vorkommen.

Und auch in der Substanz – also auf der finanziellen Seite – wird Merkel den notleidenden Ländern in der Euro-Zone einiges liefern wollen, das die Kanzlerin in ihrer dritten Amtszeit im Süden Europas in einem milderen Licht erscheinen lässt. Als Anti-Krisen-Instrumente werden im Koalitionsvertrag unter anderem Darlehen der Europäischen Investitionsbank (EIB) für kleine und mittlere Betriebe ausdrücklich erwähnt. Grundsätzlich dürfte sich aber am europapolitischen Merkel-Mantra – trotz der Regierungsbeteiligung der SPD – wenig ändern: Finanzielle Hilfen für die Krisenstaaten sind nur eine Seite der Medaille. Die notwendigen Reformanstrengungen der betroffenen Länder sind die andere Seite.

Zwar wüsste man in den 27 Hauptstädten der übrigen EU-Staaten gerne, ob die neue Bundesregierung nun ein größeres Gewicht auf die Solidität der Krisenstaaten oder auf die Solidarität mit den von der Rezession betroffenen Griechen oder Italienern legen wird. Bis mehr Klarheit über den europapolitischen Berliner Kurs herrscht, muss der Rest Europas nach der Prognose von Manuel Sarrazin, des europapolitischen Sprechers der Grünen im Bundestag, noch „mindestens bis zur Europawahl warten“.

Bringt Schwarz-Rot etwas Neues für das deutsch-französische Verhältnis?

Bringt Schwarz-Rot etwas Neues für das deutsch-französische Verhältnis?

In Oppositionszeiten haben die Sozialdemokraten eine Verbindung in den Elysée-Palast in Paris aufgebaut, wo seit Mai 2012 der sozialistische Präsident François Hollande regiert. Der neue Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) war am Mittwochabend auch der Seite von Angela Merkel, deren erste Auslandsreise im Amt traditionsgemäß an die Seine führte. Nach dem Treffen mit Hollande erklärte Merkel, sie hoffe auf eine „neue Etappe“ in den deutsch-französischen Beziehungen.

Doch auch wenn sich Steinmeier in Oppositionszeiten vehement für Konjunkturimpulse in Europas Süden einsetzte, wird er sich nun kaum dazu berufen fühlen, die europapolitische Linie der Kanzlerin zu durchkreuzen – weder im Verhältnis zu Frankreich noch insgesamt.

Einen neuen Akzent könnte es im deutsch-französischen Verhältnis angesichts des Wechsels von Ursula von der Leyen vom Arbeits- ins Verteidigungsministerium geben. Mehr noch als im alten Amt wird sie es im neuen Ressort mit Europafragen zu tun bekommen. Dass sie fließend Französisch spricht, ist hilfreich.

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