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Politik: EU-Gipfel in Laeken: Zwei Tage, die alles veränderten

Ein Bild geht um die Welt. In der Via Caffa in Genua liegt ein junger Mann auf dem Pflaster in seinem Blut.

Ein Bild geht um die Welt. In der Via Caffa in Genua liegt ein junger Mann auf dem Pflaster in seinem Blut. Der Kopf schwarz maskiert, blaue Jeans und weißes Unterhemd. Carlo Giuliani, 23 Jahre alt, der erste Tote der Bewegung der Globalisierungsgegner. Der von einem jungen Polizisten erschossene Demonstrant und die tagelangen Straßenschlachten bei dem G-8-Gipfel im Juli markieren einen Wendepunkt dieser Bewegung. Die Augen der Öffentlichkeit und der Politiker richteten sich plötzlich auf ihre Forderungen nach einer gerechteren Verteilung des Reichtums. Am 11. September dann erschüttert ein ganz anderes Bild die Welt. Die brennenden Türme des World Trade Center lenken den Focus auf Terror. Nicht das Verständnis für die Kritiker der Weltordnung bestimmt mehr die Diskussion, sondern die Angst vor Gewalt. Vor Gewalt, die jene ausüben, die ebenfalls Forderungen an die Reichen der Welt stellen.

Vor diesem Hintergrund versammeln sich am Wochenende in Laeken bei Brüssel nicht nur die Spitzenpolitiker der Europäischen Union. Auch für die Globalisierungsgegner sollen die Tage in Belgien ein internationales Gipfeltreffen werden. Das erste seit den Ausschreitungen in Genua, das erste nach den Anschlägen vom 11. September. Am Mittwoch wurden in Brüssel bereits 14 Menschen festgenommen, die Büros des Verbandes der europäischen Chemie-Industrie besetzt hatten. Die Umweltaktivisten wollten gegen den Einfluss der Chemie-Lobbyisten auf die Umweltpolitik der EU protestieren. Drei weitere Globalisierungsgegener, die in der Nähe des Gipfel-Tagungsortes Schloss Laeken Plakate klebten, wurden vorübergehend festgenommen.

Zunächst war die Anti-Globalisierungsbewegung nach jenem September-Tag erschüttert und gelähmt. "Einige Auseinandersetzungen, die wir angeschoben hatten", sagt heute Christoph Bautz von "attac", "das Netzwerk, das in der Bundesrepublik die Proteste wesentlich koordiniert, sind abgerissen". Er nennt als Beispiele die Debatte um das Verhältnis der Grünen zur außerparlamentarischen Bewegung und die Diskussion um Spekulationssteuern. Doch: "Unsere Analyse ist ähnlich geblieben". Selbstverständlich habe man sich mit den Anschlägen auseinandergesetzt - aber auch mit deren ökonomischen Hintergründen. So engagiert sich "attac" jetzt auch in der neubelebten Friedensbewegung. Die "sozioökonomische Ungleichheit", so heißt es in einem Positionspapier von "attac", sei eine Ursache des Terrorismus.

Der geplante Gipfelprotest am Wochenende wird denn auch erneut im Zeichen der sozialen Forderungen stehen. "Der Dezembergipfel fällt in die erste Phase eines wirtschaftlichen Abschwungs", so der "attac"-Protestaufruf, "dieser wird ohne energische Gegensteuerung schnell in eine tiefe Wirtschaftskrise übergehen. Eine neue Runde der sozialen Polarisierung scheint programmiert." Deshalb fordern die Globalisierungsgegner eine gemeinsame EU-Beschäftigungspolitik, die Kontrolle der Finanzmärkte und den Aufbau eines europäischen Sozialstaates. Im Unterschied zu Genua sind die europäischen Gewerkschaften jetzt ein Aktivposten des Protests.

Seit Genua hat "attac" in Deutschland seine Mitgliederzahl verzehnfacht. Etwa 3600 Linke, darunter Oskar Lafontaine und der Liedermacher Konstantin Wecker, unterstützen die Forderung nach einer Steuer auf internationale Finanztransaktionen, um Spekulationen zu erschweren.

Angesichts der Angst vor neuen Gewaltprotesten haben die deutschen Sicherheitsbehörden bereits vielfach Ausreiseverbote für jene erteilt, die sie für potenzielle Täter halten. In einigen Fällen wurden diese Verbote aber von Gerichten aufgehoben.

100 000 Menschen erwarten die Organisatoren in Belgien. Gewerkschaften, Kirchengruppen, Autonome und Friedensgruppen wollen an dem Protest in Brüssel teilnehmen. Und "attac" hofft auf friedliche Proteste. Das Konzept für den EU-Gipfel unterscheidet sich von dem, das in Genua gescheitert ist. Man wolle nicht bis zum Konferenzzentrum der Regierungen vordringen, erläutert Bautz. Auch habe schon die komplette Absperrung eines ganzen Stadtteils in Genua die Situation provoziert. Diese Abriegelung ist in Laeken bei Brüssel nicht vorgesehen.

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