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EU-Gipfel: Streit um den EU-Währungskommissar

Schäubles Vorschläge für einen starken EU-Finanzkontrolleur sind anderen unheimlich. Was bedeutet das für die europäische Debatte?

Von Robert Birnbaum

Mit einer Plauderei über den Wolken hat Wolfgang Schäuble die Debatte über die Zukunft Europas mächtig angefacht – und genau das dürfte seine Absicht sein. Der Bundesfinanzminister ist nicht der Einzige in der Bundesregierung, der die Reformvorschläge für eine engere Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Währungspolitik zu zögerlich und unentschieden findet, die EU-Ratspräsident Herman van Rompuy am heutigen Donnerstag dem EU-Gipfel formal vorlegen will. Aber Schäuble ist vielleicht – als Person und von der Funktion her – der Einzige, der mit einer Idee vorpreschen kann, ohne gleich die übrigen EU-Staaten zu vergrätzen. Wenn Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag kurz vor dem Gipfel ihre Position erläutert, wird die ein Stück unkonkreter klingen. Im Prinzip und in der Sache gibt sie ihrem Minister aber recht.

Was bezweckt Schäuble?

Kern von Schäubles Vorschlag ist eine Aufwertung des Währungskommissars zu einer Quasi-Vetoinstanz für die Haushalte der Euro-Länder. Dahinter steckt die Erfahrung, dass alle feierlichen Schwüre auf Haushaltsdisziplin und Sparsamkeit nichts nützen, wenn sich niemand daran hält. Die „Blauen Briefe“, die die EU-Kommission bei Verstößen gegen die Maastricht-Stabilitätskriterien verschickt, haben offensichtlich als Instrument der Disziplinierung nicht gereicht. Ein Brüsseler Kommissar, der einen nationalen Haushalt wegen übermäßiger Verschuldung an das jeweilige Parlament zurückschicken könnte, wäre da schon eine andere Nummer. Mit diesem Verfahren, so die Hoffnung, könnte auch das Vertrauen von Investoren und Finanzmärkten gestärkt werden, dass die Eurozone es künftig ernst meint mit dem Anspruch, eine Stabilitätsunion zu sein.

Soll dann also künftig Brüssel den Bundeshaushalt schreiben?

Schäubles Plan ist kaum mehr als ein Gedankenspiel und noch kein ausformulierter Vorschlag. Klar ist aber, dass der dienstälteste Parlamentarier des Bundestages das nationale Budgetrecht weder aushebeln will noch kann. Was wofür ausgegeben oder wo eingespart wird, bleibt das Königsrecht des Parlaments. Das Bundesverfassungsgericht hat ja sogar festgelegt, dass nicht einmal das Parlament selbst dieses Recht abtreten dürfte. Schäubles Super-Kommissar könnte also generell Einspruch erheben. Aber wie der Etat dann verändert wird, wird Sache der Abgeordneten bleiben. Offen ist, was passiert, wenn sich ein Land dem Veto nicht beugen will. Schon länger im Gespräch ist etwa ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof.

Wie finden das die anderen Europäer?

Wie reagiert die deutsche Politik?

So, wie es anders kaum zu erwarten war: mit mehr oder weniger ausgeprägter Zurückhaltung. Dabei muss Schäuble – nicht zum ersten Mal – die Erfahrung machen, dass in der eigenen Koalition die Skepsis am lautesten ist. Auf SPD-Seite echauffiert sich Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann zwar über Stilfragen: „Das ist bar jeder Seriosität, das einfach mal im Flugzeug den mitreisenden Journalisten als Appetithäppchen zu reichen“ – vor allem, wenn es um so weitreichende Fragen wie eine Verfassungsänderung gehe. Überdies vermutet der Sozialdemokrat ein „taktisches Spiel“, wisse Schäuble doch selbst, dass er sich damit nie durchsetzen werde. Auch seien die Vorschläge so neu nicht. Nur, konzediert Oppermann: „Sie sind gleichwohl richtig.“ Das sehen andere ganz anders. Horst Seehofer zum Beispiel. Der CSU-Chef will vor der bayerischen Landtagswahl den Anti-Europäern im eigenen Lager kein Material liefern. „Vielschichtig“ nennt der CSU-Chef deshalb die Ideen Schäubles, um dann zur Sache zu kommen: „Es sind aber auch Dinge dabei, die wir klar ablehnen, zum Beispiel einen europäischen Finanzminister oder Quasi-Finanzminister.“ Aber auch dem FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle gehen die Vorstellungen Schäubles zu weit. Zwar drängen auch die Liberalen auf mehr Verbindlichkeit bei der Einhaltung von gemeinsam getroffenen Vereinbarungen der EU-Partner, vor allem was die Verschuldung der nationalen Haushalte angeht. Aber einen „Oberaufseher der deutschen Gesetzgebung“ mag sich der Freidemokrat nicht vorstellen. Er wertet Schäubles Vorschläge denn auch eher als „Diskussionsbeitrag“ zur längerfristigen Weiterentwicklung der EU. Sollten einzelne Haushalte den Vorgaben der EU nicht entsprechen, wäre ein Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof nach Auffassung Brüderles der bessere Weg.

Und was sagen die übrigen Europäer?

Sie reagieren noch viel verhaltener - nämlich gar nicht. Schäuble hat seine Ideen vor kurzem schon im Kreis der europäischen Finanzministerkollegen vorgestellt, ohne dort enthusiastischen Beifall zu ernten. In anderen Hauptstädten hat ohnehin anderes Priorität. Frankreichs Präsident Francois Hollande etwa prescht am Tag vor dem Gipfel seinerseits vor. In einem Interview für mehrere europäische Zeitungen bekräftigt der Franzose seinen Ruf nach einer Schulden-Union durch die Einführung von Eurobonds – wohl wissend, wie wenig die deutsche Regierung davon hält –, fordert monatliche Gipfeltreffen der Euro-Gruppenstaaten und plädiert überdies klar für ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“. Einzelne Staaten dürften nicht länger blockieren, wenn andere gemeinsam einen Schritt voran tun wollten. Zumindest das Letztere sehen Schäuble und Merkel im Prinzip genauso. Die Kanzlerin legt allerdings Wert darauf, dass in der Europäischen Union nicht dauerhafte Binnengrenzen eingezogen werden. Wer will, soll etwa der Fiskalunion jederzeit beitreten können – auch zu einem späteren Zeitpunkt.

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