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EU-Gipfel: Viel heiße Luft

Beim EU-Gipfel in Brüssel geht es um die Bedingungen, unter denen die Industrie die Atmosphäre künftig belasten darf. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist mit Forderungen zum Schutz der deutschen Schwerindustrie angereist. Dabei war sie es, die 2007 als EU-Ratspräsidentin die Klimaziele der EU durchgesetzt hatte.

Brüssel/Berlin - Der EU-Gipfel hat am Donnerstagnachmittag früher als üblich begonnen, und möglicherweise wird er auch etwas länger dauern. Das Treffen könnte sich bis zum frühen Samstagmorgen hinziehen – diese Befürchtung äußerten Diplomaten, während die Staats- und Regierungschefs der Reihe nach am Brüsseler EU-Ratsgebäude eintrafen. Da war etwa Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi. Noch am Mittwochabend hatte er mit einem Veto für den Fall gedroht, dass das EU-Klimapaket nicht im Sinne Italiens ausfallen sollte. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist mit Forderungen zum Schutz der deutschen Schwerindustrie nach Brüssel gereist, wo sich im Streit unter den 27 EU-Staaten über das europäische Klimapaket vor allem ein heftiges Gerangel über den Emissionshandel abzeichnete.

Merkel war es gewesen, die im März 2007 als EU-Ratspräsidentin die Klimaziele der EU durchgesetzt hatte – 20 Prozent weniger Kohlendioxid bis zum Jahr 2020 im Vergleich zu 1990, ein Anteil erneuerbarer Energien von 20 Prozent am gesamten Energieverbrauch und 20 Prozent Energieeinsparung. Beim EU-Gipfel in Brüssel geht es nun ums Eingemachte – die Klimaziele vom März 2007 sollen in Form eines Gesetzpaketes umgesetzt werden. Mit dem Emissionshandel, der Kraftwerke und Fabriken zum Kauf von Verschmutzungsrechten zwingt, soll der CO2-Ausstoß gesenkt werden.

Über drei von fünf Teilen des europäischen Gesetzgebungspakets herrsche weitgehend Einigkeit, versicherten deutsche Diplomaten am Donnerstag. Es sind dies der Part über die klimaschonenden Energieträger, die jeder EU-Staat nach von Brüssel vergebenen Quoten ausbauen soll, und jener über die intensive Erforschung von Speichermethoden für CO2 unter der Erde. Zudem haben sich die Regierungen mit dem EU-Parlament und der Brüsseler Kommission vor knapp zwei Wochen auf einen Kompromiss in der Frage geeinigt, wie viel Kohlendioxid ein neues Auto künftig ausstoßen darf.

Die strittigen Gesetzespunkte sind die Lastenverteilung und die Ausgestaltung des Emissionshandels. Er ist das Kernstück des Klimapakets, weil die Industrie allein für rund 40 Prozent der 5,14 Milliarden Tonnen CO2 verantwortlich zeichnet, die im Jahr 2006 europaweit ausgestoßen wurden. Bisher nehmen in der EU 10 000 Industrieanlagen am Emissionshandel teil. Die Emissionsberechtigungen werden bisher überwiegend kostenlos verteilt. Von 2013 an sollte begonnen werden, die zulässige Ausstoßmenge zu verknappen und für die Verschmutzungsrechte Geld zu verlangen, forderte die EU-Kommission. Die Energiekonzerne sollen alle CO2-Zertifikate, die sie brauchen, ersteigern müssen, die Industrie sollte zunächst 20 Prozent und bis 2020 ebenfalls alle Zertifikate kaufen müssen.

Der Streit dreht sich um die von vielen Ländern für bestimmte Industriezweige gewünschten Ausnahmen, die in der Summe das gesamte Paket verwässern könnten. Deutschland will energieintensive Industrien wie Chemie, Stahl oder Zement von der Versteigerung der Verschmutzungsrechte ausnehmen und ist damit offenbar erfolgreich zur französischen Ratspräsidentschaft vorgedrungen, wie es in der deutschen Delegation hieß. Polen und andere osteuropäische Länder wollen Ausnahmen für Kohlekraftwerke durchsetzen. Auch dies hat die Pariser Verhandlungsführung insofern berücksichtigt, als in deren Entwurf vorgesehen ist, anfänglich nur für 30 Prozent der Zertifikate für Stromkonzerne Geld zu verlangen. Erst 2020 würden die Zertifikate zu 100 Prozent verkauft. Außerdem, sagte ein deutscher Diplomat, könnten die Osteuropäer „zusätzliche Zertifikate“ erhalten. Inwieweit das den Wettbewerb verzerrt oder doch konsensfähig ist, war Gegenstand der Verhandlungen am späten Donnerstagabend. Für alle anderen Industriezweige favorisiert Deutschland angesichts der Wirtschaftskrise einen geringen „Verkaufsanteil“ von 20 Prozent.

Felix Matthes vom Öko-Institut, der das Bundesumweltministerium dazu beraten hat, findet es widersinnig, die Stromkonzerne von der Versteigerung auszunehmen. Diese haben in Deutschland wie in Polen auch die geschenkten CO2-Zertifikate auf den Strompreis aufgeschlagen. Gäbe es kostenlose Zertifikate für Neuanlagen, bekäme ein Kohlekraftwerk sogar mehr zugeteilt als ein klimafreundlicheres Gaskraftwerk. Bärbel Höhn, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, sagte dem Tagesspiegel: „Dann würde der Emissionshandel Kohlekraftwerke subventionieren.“ Auch Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) verteidigte die Versteigerung. Es könne „keine Rede davon sein“, dass die Industrie überproportional belastet würde. Würden die Zertifikate verschenkt, seien sie ein Zusatzgewinn in der Bilanz der begünstigten Unternehmen und damit „völlig funktionslos“. Würden die Zertifikate dagegen versteigert, werde dieser Gewinn vom Staat abgeschöpft, um damit Investitionen in eine klimafreundliche Wirtschaft zu finanzieren. Auch das Argument, die deutsche Wirtschaft sei international nicht mehr wettbewerbsfähig, „wird maßlos übertrieben“. Lediglich für drei Branchen habe der CO2-Preis überhaupt Wettbewerbsrelevanz: Stahl, Aluminium und Zement. Bei allen anderen seien Lohnkosten bedeutender, sagte Edenhofer dem Tagesspiegel.

Den Versuch, die Rezession zu nutzen, um den „Klimaschutz zu liquidieren“, hält Edenhofer für grundfalsch. Um die Konjunktur in Gang zu bringen, seien Investitionen notwendig. Hierzu seien steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen sinnvoll, die in Sachkapital investieren. Dadurch würden sie entlastet, müssten sich aber im Wettbewerb bewähren. „Es gäbe dann auch keinen Grund, den Emissionshandel zu durchlöchern, weil wir uns in einer weltweiten Rezession befinden.“ Es sei geradezu schamlos, wie Finanzkrise und Klimaschutz mit unsinnigen Argumenten gegeneinander ausgespielt würden, sagte Edenhofer. Ein solches Maß an „ordnungspolitischer Verwilderung“ habe er sich vor ein paar Jahren nicht vorstellen können.

„Wir stellen die Klimaziele nicht infrage“, hieß es aus dem Berliner Kanzleramt, „es geht um die Frage, wer dafür zahlt.“ Wenn die Einnahmen aus dem Emissionshandel geringer ausfallen, die als Ausgleichszahlungen nach Osteuropa, in kleine Länder wie Luxemburg oder in konkrete Umweltprojekte fließen sollen, dann wird der Steuerzahler stärker zur Kasse gebeten. Bisher beziffert die EU-Kommission die Kosten des Klimapakets auf drei Euro pro Bürger und Woche. Dieser Betrag könnte nach dem Gipfel kräftig steigen.

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