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Eine Frage des Volumens. Wenn es nach den Nettozahlern geht, soll der EU-Haushalt gekürzt werden. Foto: Arno Burgi/dpa

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EU-Haushaltsverhandlungen: Merkel rechnet mit Scheitern des Brüsseler Budget-Gipfels

Eine Einigung über das künftige EU-Budget ist weit und breit nicht in Sicht - im Gegenteil. Nach nur knapp zweistündigen Verhandlungen ist für Bundeskanzlerin Merkel bereits klar: Der Gipfel wird wohl scheitern.

Es gehört zum Ritual bei europäischen Haushaltsverhandlungen, zu Beginn möglichst rabiat aufzutreten. Wer verbal auftrumpft, bekommt am Ende möglichst viel von seinen Forderungen durch – das wird wohl der britische Regierungschef David Cameron gedacht haben, als er am Donnerstagmorgen das Brüsseler Justus-Lipsius-Gebäude betrat. „Wir werden sehr hart verhandeln, um ein gutes Ergebnis für die britischen und europäischen Steuerzahler zu erreichen“, ließ Cameron die Journalisten wissen, die vor dem EU-Ratsgebäude warteten. Damit machte Cameron gleich zu Beginn des Gipfeltreffens, bei dem der künftige Haushaltsrahmen der EU festgezurrt werden sollte, eines deutlich: Bei den Verhandlungen ist mit ihm nicht zu spaßen. Großbritannien verlangt, dass der EU-Haushalt drastisch zusammengestrichen wird. Nun droht der EU-Gipfel an den verhärteten Fronten im Billionengeschacher um das EU-Budget zu scheitern. Am frühen Freitagmorgen sind die Beratungen nach 15-stündigen Vorverhandlungen schon nach kurzer Dauer auf Freitagmittag vertagt worden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zweifelt an einer Lösung im Verlauf des Tages. „Es wird mit großer Wahrscheinlichkeit eine Etappe zwei folgen“, sagte sie beim Verlassen des Ratsgebäudes.

Damit ist im EU-Haushaltsstreit keine Einigung in Sicht: Nicht nur Kanzlerin Merkel, sondern auch andere Regierungschefs äußerten sich skeptisch, dass im Laufe des Tages bereits ein Kompromiss gefunden werden könne. Bereits am Donnerstagabend hatten sich in Brüssel mehrere Lager gebildet. Polen und Spanien wehrten sich gemeinsam mit Frankreich und Italien gegen Einschnitte. Dem steht das Lager der Geber-Länder mit Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden und Schweden gegenüber, die den Etat-Ansatz auf erheblich unter eine Billion Euro beschränken wollen. Sie pochen etwa darauf, dass auch in der EU-Verwaltung gespart wird und die Ansätze für grenzübergreifende Infrastrukturprojekte weniger stark steigen als von Kommission und van Rompuy vorgeschlagen. EU-Ratspräsident Herman van Rompuy, der erstmals die Federführung in Haushaltsverhandlungen hat, sollte am Freitagmittag einen neuen Kompromissvorschlag vorlegen. Die Verhandlungen gehen aber auch zur Stunde schon weiter: Van Rompuy hat sich schon vor der offiziellen Fortsetzung des Gipfels in Brüssel mit Regierungschefs der Mitgliedstaaten getroffen.

Wenn es keine Einigung geben sollte, wird mit einem neuen Treffen der Staats- und Regierungschefs Anfang kommenden Jahres gerechnet. Sollte bis Ende 2013 keine Lösung gelingen, wird es in der EU danach automatisch nur noch jährliche Haushalte statt des siebenjährigen Finanzrahmens geben. Eine solche Entwicklung wird als schwere Belastung vor allem für die ärmeren EU-Staaten gesehen, die Planbarkeit bei den für sie wichtigen EU-Strukturhilfemitteln haben müssen, aus denen etwa wichtige Infrastrukturprojekte finanziert werden.

Frankreichs Präsident Francois Hollande zeigte sich nach Ende des ersten Verhandlungstages kämpferisch: Er werde sich weiter dafür einsetzen, dass das Budget insgesamt nicht so stark gekürzt werde, wie es die Nettozahler forderten. Er will vor allem die Agrarsubventionen retten, von denen sein Land am stärksten profitiert. “Im jüngsten Vorschlag von Herman van Rompuy steht ein Plus von acht Milliarden Euro nach einer Kürzung von 25 Milliarden Euro - bleibt noch ein Minus von 17 Milliarden Euro und das ist nach wie vor zu viel für uns“, rechnete er vor.

Skeptisch angesichts der Chancen der Verhandlungen äußerte sich auch Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments (EP). Er hatte die Regierungschefs zuvor in dem Treffen gewarnt, dass das Parlament jeden Vorschlag ablehnen werde, der sich zu weit von dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag entferne. Die EU-Kommission hatte sogar Ausgaben von 1091 Milliarden Euro vorgeschlagen. Die Warnung hat Bedeutung, weil das Parlament dem Finanzrahmen zustimmen muss.

Kritisch äußerte sich am Freitagmorgen SPD-Parteichef Sigmar Gabriel zum bisherigen Verhandlungsverlauf. Im ARD-Morgenmagazin warnte er vor einem Auseinanderbrechen Europas. Die EU-Staats- und Regierungschefs wüssten anscheinend nicht mehr, „wozu wir Europa brauchen“, sagte Gabriel. „Wir werden als Einzelstaaten in der Welt von morgen keine Stimme mehr haben“, warnte er. Es sei auch angesichts hoher Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa eine „Katastrophe“, jetzt Geld im EU-Etat streichen zu wollen. Die Staats- und Regierungschefs rief Gabriel auf, „sich zusammenzureißen und Europa nicht in dieser Sackgasse zu lassen“.

Merkel ging EU-Diplomaten zufolge mit einer Kürzungsforderung von rund 30 Milliarden Euro in die Verhandlungen. Großbritannien, Schweden und die Niederlande pochten auf Einschnitte von 50 bis 75 Milliarden Euro, hieß es. Unter den größten Beitragszahlern ist zudem umstritten, ob und in welcher Form Großbritannien weiter einen milliardenschweren Nachlass bei den EU-Zahlungen haben soll - und in welcher Höhe Deutschland, die Niederlande, Schweden und Österreich ebenfalls einen Rabatt erhalten.

Dem britischen Premier David Cameron geht es darum, den britischen Rabatt zu erhalten – jenen umstrittenen Nachlass auf die Londoner Einzahlungen in den EU-Haushalt, den die frühere Regierungschefin Margaret Thatcher 1984 erstritten hatte und der den Briten 2011 Zahlungen in Höhe von 3,6 Milliarden Euro ersparte. Cameron rief die Erinnerungen an die „Eiserne Lady“ aus gutem Grund wach – schließlich hatte sein parteiinterner Rivale, der konservative Londoner Bürgermeister Boris Johnson, empfohlen, dass der Premier in Brüssel ähnlich auf den Putz hauen solle wie früher die Dame mit der berühmten Handtasche. Cameron steht bei den Brüsseler Haushaltsverhandlungen zudem unter großem Druck zahlreicher Unterhausabgeordneter, die eine Kürzung des EU-Haushalts verlangen.

Wie groß sein Spielraum jenseits der verbalen Kraftmeiereien wirklich ist, gestand Cameron dann am Donnerstagmorgen abseits der Öffentlichkeit im „Beichtstuhl“. So nennt sich das Verfahren, das bei Brüsseler Haushaltsverhandlungen ebenfalls zum Ritual gehört. Einer nach dem anderen mussten die Staats- und Regierungschefs bei Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionschef José Manuel Barroso antreten und offenbaren, wo für sie tatsächlich die finanzielle Schmerzgrenze liegt. Daraufhin hatte Gipfelchef Herman Van Rompuy einen neuen Haushaltsentwurf auf den Tisch gelegt, nach dem es beim Unionsbudget keine weiteren Abstriche gegeben hätte, den Mitgliedstaaten aber durch Umschichtungen entgegenkommen worden wäre. Damit provoziert er das Lager der Geberländer.

Aus Berliner Regierungskreisen hieß es schon am Donnerstag: Es wäre „kein Beinbruch“, wenn sich die Staats- und Regierungschefs Anfang 2013 erneut zusammensetzen müssten. Genau so könnte es nun kommen. (mit dpa, Reuters)

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