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EU: Mit Defiziten

Als Konsequenz aus der Schuldenkrise der Euro-Länder sollten Defizitsünder künftig schärfer bestraft werden. Der ständige EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy legt heute einen Bericht zum Stand der Reformbemühungen vor.

Wer akut erkrankt ist, muss häufig zu einer starken Medizin greifen. Was aber soll man tun, wenn die schlimmste Phase des Siechtums auch ohne bittere Pillen überstanden ist, aber eine Rückkehr der Krankheit nicht ausgeschlossen werden kann? So ungefähr lässt sich das Dilemma beschreiben, vor dem die 27 EU-Staaten stehen. Nach der Euro-Krise, an der die europäische Gemeinschaft im Frühjahr litt, ist erst einmal das Schlimmste überstanden. Doch die Gefahr einer Staatspleite mitten im Euro-Raum ist noch nicht gebannt. Das zeigte das Beispiel Irlands in der vergangenen Woche – das hoch verschuldete Land hatte die Märkte in Aufruhr versetzt.

Im Großen und Ganzen sind die Märkte zwar seit der Beinahe-Pleite Griechenlands beruhigt, nachdem die Euro-Staaten zunächst ein Rettungspaket für Athen schnürten und anschließend gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds im Mai einen 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm spannten, der weiteren gefährdeten Staaten wie Irland, Portugal und Spanien etwas Luft verschaffte. Mit der Medizin, die eine Rückkehr der Krise verhindern soll, nehmen es die meisten EU-Staaten aber nicht so genau. Dabei sieht das Rezept auf den ersten Blick einfach aus: konsequenter Schuldenabbau, strengere Haushaltskontrolle durch Brüssel, schärfere Sanktionen für Euro-Defizitsünder. Mit den Details einer Reform des Euro-Stabilitätspakts schlägt sich seit Mai eine „Task Force“ unter Leitung des ständigen EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy herum. An diesem Montag legt der Belgier in Brüssel einen vorläufigen Bericht über den Stand der Reformbemühungen vor. Wesentliche Fortschritte zeichnen sich aber bisher nicht ab.

Das Problem liegt für den belgischen Ex-Premier Van Rompuy darin, dass er im Namen der 27 EU-Staats- und Regierungschefs handelt – und deren Vorstellungen zu einem europaweiten System einer verschärften Schuldenüberwachung liegen weit auseinander. Die Einrichtung der Brüsseler „Task Force“ geht in erster Linie auf den Wunsch Deutschlands zurück, das auf eine deutliche Verschärfung des Stabilitätspaktes dringt. Doch die übrigen EU-Staaten ziehen nicht richtig mit. Und je stärker die Wirtschaft in der EU wieder wächst, umso mehr erlahmt auch der Reformeifer der EU-Partner.

Immerhin besteht unter den 27 EU-Mitgliedern inzwischen der Minimalkonsens, dass Brüssel die nationalen Haushaltspläne ab 2011 früher als bisher zu sehen bekommen soll. So sollen Ungleichgewichte in den Haushaltsplanungen verhindert werden. Die nationalen Finanzplanungen, die jeweils im Frühjahr nach Brüssel gemeldet werden sollen, können der Neuregelung zufolge erst nach einer Stellungnahme der EU-Kommission beschlossen werden.

In der Frage, wie der Stabilitätspakt verschärft werden könnte, hat sich die „Task Force“ hingegen immer wieder in neuen Details verheddert. So ist bislang kein Konsens in der Frage absehbar, ob man Defizitsünder mit der Streichung von EU-Subventionen bestrafen könnte. Vor allem unter den osteuropäischen EU-Mitgliedern, die von den Geldern für strukturschwache Regionen profitieren, regt sich Widerstand gegen den Plan.

EU-Diplomaten gehen inzwischen davon aus, dass Van Rompuy seine Ambitionen bei der Reform des Stabilitätspaktes nicht allzu hoch schraubt; dem Belgier reiche es zunächst einmal, wenn die EU-Staaten der Brüsseler Kommission mehr Kontrollrechte über die nationalen Budgets einräumen, heißt es in Brüssel. Doch damit dürfte die Bundesregierung kaum zufrieden sein. Schließlich hatten in Berlin im Frühjahr unter dem unmittelbaren Eindruck der Griechenland-Krise noch ganz andere Vorschläge zur Bestrafung von notorischen Defizitsündern die Runde gemacht: Entzug des Stimmrechts in der EU, eine internationale Insolvenzordnung für Staaten und – wie es Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) formulierte – „als ultima ratio“ sogar der Rauswurf aus der Währungsunion.

Das Problem liegt allerdings darin, dass derart drastische Sanktionen nur dann in Kraft gesetzt werden könnten, wenn vorher die EU-Verträge geändert werden. Trotz des langwierigen Verfahrens, das eine solche Vertragsänderung mit sich bringen würde, will die Bundesregierung dennoch langfristig an ihrem Ziel festhalten: Der Stabilitätspakt soll so reformiert werden, dass er Haushaltssünder tatsächlich zu einer Änderung ihrer Budgetpolitik zwingt. Kurzfristig möchte Berlin aber eine Reform des Stabilitätspaktes vorantreiben, die auch ohne Vertragsänderungen möglich ist.

Wenn die EU-Finanzminister an diesem Montag im Rahmen der „Task Force“ zusammenkommen, werden sie sich auch über einen Vorschlag von EU-Währungskommissar Olli Rehn beugen, der dem bislang wirkungslosen Stabilitätspakt tatsächlich Zähne verleihen könnte. Nach dem Vorschlag des Finnen Rehn, der am Mittwoch offiziell vorgestellt werden soll, sollen Euro-Länder, die dauerhaft gegen die EU-Haushaltsregeln verstoßen, schon bei der Eröffnung eines Defizitverfahrens ein Strafpfand in Höhe von 0,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinterlegen. Nach den Vorstellungen Rehns sollen die verschiedenen Stufen eines Defizitverfahrens zudem künftig quasi-automatisch in Gang gesetzt werden. Bislang liegt die Entscheidung über Sanktionen bei den Mitgliedstaaten – und die bestrafen sich nur ungern selbst.

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