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Wahlwerbung für die Demokratische Partei und die Sozialisten im Stadtzentrum von Chişinău.

© Oliver Bilger

EU-Nachbar: Republik Moldau vor neuer Schicksalswahl

Das ärmste Land Europas entscheidet über eine neue Regierung. Es geht um den alten Richtungsstreit Ost oder West – und gegen die Korruption. Ein Besuch.

Von Oliver Bilger

Geduckte graue Häuser, Straßen voller Schlaglöcher, Eselskarren, die darüber rollen –  auf den ersten Blick ist Cobusca Veche ein gewöhnliches Dorf im Osten der Republik Moldau. 2350 Einwohner sind in der Ortschaft registriert. Die kleine Republik, eingeklemmt zwischen Rumänien und der Ukraine, ist das ärmste Land Europas. Instabile Politik und Wirtschaft bremsen die Entwicklung seit Jahren. In Cobusca Veche ist das leicht zu erkennen.

Und doch ist etwas anders im Dorf. Bürgermeister Laurențiu Perju, ein dynamischer 40-Jähriger, will den Ort voranbringen. In seinen drei Jahren im Amt hat er die Poststation renoviert, einen Fußballplatz mit Kunstrasen angelegt und Straßenbeleuchtung installiert. Das Budget dafür organisierte er aus Rumänien, Schweden, Polen und Deutschland. Perjus Ziel: Cobusca Veche soll attraktiver werden, damit jene zurückkehren, die als Arbeitsmigranten ins Ausland gingen.

In der gesamten Republik sind das nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration fast eine Million Menschen, in einem Land, das nur 3,5 Millionen Einwohner zählt. Die Zahl der Auswanderer steigt seit Jahren, weil die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in der Heimat sinkt. Deutschland zählt zu den häufigsten Destinationen der Arbeitsmigranten.

Aus Cobusca Veche sind es knapp 30 Prozent, die im Ausland arbeiten. Fünf Prozent haben dem Ort für immer den Rücken gekehrt. Jede Familie, die vor der Entscheidung Gehen oder Bleiben stehe, frage, was ihnen das Dorf zu bieten habe, sagt Perju. „Ich will die Leute hier halten.“ Für dieses Jahr hat sich der Bürgermeister vorgenommen, die schlechten Straßen auszubessern. „Was wir bis jetzt erreicht haben, haben wir aufgrund unserer Kooperation mit Europa erreicht“, sagt Perju. Nach der Parlamentswahl am 24. Februar hofft er daher auf eine proeuropäische Regierung.

Zerrissen zwischen Ost und West

Wahlen in Moldau sind immer eine Entscheidung über die Ausrichtung des Landes – nach Osten oder Westen. In der Ex-Sowjetrepublik leben viele, die eine Annäherung an die EU anstreben und fast ebenso viele, die sich eine engere Bindung an Russland wünschen. In den vergangenen Jahren waren Wahlen schnell zur emotional aufgeladenen Zerreißprobe geworden. Moskau sieht das Land, ähnlich wie im Fall der benachbarten Ukraine, in seiner Einflusszone. Brüssel will stabile Verhältnisse an der EU-Außengrenze.

Bürgermeister Laurențiu Perju: „Ich will die Leute hier halten.“
Bürgermeister Laurențiu Perju: „Ich will die Leute hier halten.“

© Oliver Bilger

Eine Rolle spielt auch die abtrünnige Region Transnistrien an der Grenze zur Ukraine: ein zwar international nicht anerkanntes, aber staatsähnliches Gebilde, mit engen Verbindungen nach Russland. Im Jahr 1992 starben in einem kurzen Bürgerkrieg mehrere hundert Menschen. Längst schweigen die Waffen, aber der diplomatische Konflikt ist seit fast drei Jahrzehnten ungelöst.

Präsident Igor Dodon warnt, Moldau dürfe „nicht gezwungen werden, sich zwischen Osten und Westen entscheiden zu müssen”. Dies führe zu einer Spaltung bis zum Auseinanderfall des Landes. Schon die vergangenen Jahre waren geprägt von Krisen, gescheiterten Wahlen und Massenprotesten. Diesmal versprechen alle Lager enge Beziehungen sowohl mit Russland als auch der Europäischen Union zu wollen. Der Sozialist Dodon will das 2014 geschlossene Assoziierungsabkommen für engere wirtschaftliche und politische Beziehungen mit der EU zwar nicht mehr aufkündigen, aber in Teilen nachverhandeln. Zudem solle das neue Parlament ein Kooperationsabkommen mit der von Russland dominierten Eurasischen Wirtschaftsunion ratifizieren.

„Moldau ist ein Mafia-Staat“

Noch regiert in der Hauptstadt Chişinău ein Bündnis der nominell proeuropäischen Demokraten (PDM) in einer Koalition, die die Wahl nicht überdauern wird. Ein außerparlamentarischer und nach Westen ausgerichteter Oppositionszusammenschluss mit dem Namen Acum (Jetzt) liegt knapp vor den Demokraten. Beide haben in Umfragen jedoch keine Mehrheit. Die sehen die russlandfreundlichen Sozialisten vorne. Allerdings bräuchten die Sozialisten einen Koalitionspartner – und der ist nicht in Sicht. Sollte es kein klares Resultat geben, will Dodon Neuwahlen ausrufen. Auf Moldau könnten lange Monate ohne Regierung zukommen.  

Der Richtungsstreit rückt in diesem Jahr etwas in den Hintergrund, zur Schicksalswahl wird die Abstimmung trotzdem. Größtes Streitthema ist die weit verbreitete Korruption. Vor allem ein gewaltiger Bankenskandal überschattet noch immer jede politische Diskussion im Land, in dem der Durchschnittslohn bei knapp 200 Euro pro Monat liegt. Ende 2014 verschwand fast eine Milliarde US-Dollar aus drei Banken auf Offshore-Konten.

Der Staat ersetzte die Summe, die 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Republik entspricht, weswegen sich die Steuerzahler beraubt fühlen. Was mit der – insbesondere für Moldau – riesigen Summe geschah, ist nicht aufgeklärt. Genauso unklar ist, wer alles in den Skandal verwickelt ist. Die Schockwellen des Milliardenraubs sind weiter deutlich zu spüren.

Journalistin Natalia Morar: „Moldau ist ein Mafia-Staat.“
Journalistin Natalia Morar: „Moldau ist ein Mafia-Staat.“

© Oliver Bilger

„Moldau ist ein Mafia-Staat“, sagt Natalia Morar, Journalistin und Moderatorin politischer Debatten beim Fernsehsender TV8. Dass sich nach der Wahl etwas grundlegend ändert, bezweifelt sie. Viele Ämter, etwa bei Staatsanwaltschaft oder Zentralbank, seien auf die nächsten Jahre hinaus bereits besetzt, erklärt sie: „Alle wichtigen Positionen im Land werden kontrolliert von Wladimir Plachotnjuk.“

Der 53-Jährige ist Chef der Demokratischen Partei, allerdings reicht seine Macht weit über die PDM hinaus. Der Oligarch gilt als graue Eminenz im Land, bei dem alle Fäden zusammenlaufen. Zogen die Demokraten 2014 mit 19 Sitzen ins Parlament, besetzen sie heute 42 Sitze und sind damit die stärkste Fraktion. Die Zahl kommt nicht durch eine Wahl zustande, sondern durch Parteiwechsel. Druck und Geld sollen dabei eine Rolle gespielt haben.

Eine Wahlrechtsreform gilt als Versuch der PDM, sich an der Macht zu halten. Statt in einer Verhältniswahl wird diesmal in einem gemischten System mit Parteilisten und neuen Einzelwahlkreisen gewählt. Die Stimmbezirke seien zugunsten der PDM zugeschnitten worden, lautet die Kritik hier. Ein Referendum am Wahltag soll außerdem die Möglichkeit testen, das Parlament später zu verkleinern: von 101 auf 61 Sitze. Um die Staatsausgaben zu reduzieren, sagen die Demokraten. Um weniger Leute schmieren zu müssen, warnen Beobachter.

Stärkere Auswanderung befürchtet

Intrigen, Schmutzkampagnen, und Propaganda auf allen Seiten gehören in Moldau zum Wahlkampf. Strafverfolgung und Urteile der gelenkten Justiz zählen zum politischen Repertoire. Die Bürger sind zunehmend desillusioniert und frustriert. Sie haben die Zustände satt, in denen eine Machtelite das Land für die eigene Bereicherung missbraucht.

Journalistin Morar will Überraschungen beim Wahlergebnis nicht ausschließen. Im vergangenen Sommer setzte sich ein Oppositionskandidat bei der Wahl um das Bürgermeisteramt von Chişinău überraschend durch. Das Oberste Gericht erklärte das Ergebnis jedoch für ungültig, unerlaubte Agitation am Wahltag lautete die offizielle Begründung. Tatsächlich soll einmal mehr Plachotnjuk seinen Einfluss geltend gemacht haben. International gab es Protest. In der Hauptstadt gingen Bürger auf die Straße – was jedoch folgenlos blieb. „Die Elite hat Demonstrationen in der Vergangenheit ignoriert“, sagt Morar. Dies zerstöre die Bereitschaft für Proteste.

Zwar sind erneute Demonstrationen nach der Wahl nicht auszuschließen, als wahrscheinlicher gilt jedoch eine noch stärkere Abwanderung in die EU oder nach Russland, wo Löhne und Lebensstandard höher sind.

Oppositionskandidatin Maia Sandu: „Es wird nicht einfach.“
Oppositionskandidatin Maia Sandu: „Es wird nicht einfach.“

© Oliver Bilger

Bei der nächsten Wahl werde es dann „nicht mehr genügend Menschen geben, die für die Demokratie stimmen“, befürchtet Maia Sandu. Die ehemalige Bildungsministerin und Präsidentschaftskandidatin tritt mit der 2016 gegründeten Partei „Aktion und Solidarität” im proeuropäischen Acum-Bündnis an. „Wir haben es nicht geschafft, einen starken Staat aufzubauen“, kritisiert die 46-Jährige die Lage in den zurückliegenden Jahren. Eine kriminelle Elite habe das Land als Geisel genommen. „Aber so schlimm wie jetzt war es noch nie.“

Für Sandu steht deshalb der Kampf gegen die Korruption ganz oben auf der Agenda, die Reform der Justiz, des Bankensystems. Keine einfache Aufgabe in der Republik Moldau. „Ich bin nicht naiv”, sagt Sandu. „Ich kenne das System – es wird nicht einfach.“

Die Recherche wurde unterstützt vom Internationalen Journalisten- und Mediendialogprogramm der Friedrich-Naumann-Stiftung.

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