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Die Fahnen alter und neuer EU-Mitglieder vor dem Rathaus in Prag.

© dpa

EU-Osterweiterung vor zehn Jahren: Plötzlich waren es 75 Millionen mehr

Vor zehn Jahren wuchs die Europäische Union um zehn neue Mitglieder. Die meisten von ihnen haben wirtschaftlich enorm aufgeholt. Wo stehen sie heute - und wo steht die EU?

Es war die größte Erweiterungsrunde in der Geschichte der Europäischen Union. Vor zehn Jahren, am 1. Mai 2004, wurden acht osteuropäische Länder und zwei Mittelmeer-Staaten Mitglieder der EU. Durch den Beitritt Estlands, Lettlands, Litauens, Maltas, Polens, der Slowakei, Sloweniens, Tschechiens, Ungarns und Zyperns wuchs die EU mit einem Mal um 75 Millionen Einwohner. Neben den wirtschaftlichen Folgen dieser Erweiterung rücken inzwischen durch die Ukraine-Krise auch wieder die Geostrategie und die Nato in den Blickpunkt. Dem westlichen Verteidigungsbündnis waren bereits 1999 Polen, Ungarn und Tschechien beigetreten. Heute fühlen sich die osteuropäischen Mitglieder der Verteidigungsallianz und der EU im Nachhinein in ihrer Beitrittsentscheidung bestätigt – sie vermittelt ihnen das Gefühl, dem Machtbereich Russlands entronnen zu sein.

Welche Auswirkungen hatte die EU-Erweiterung auf den Arbeitsmarkt in Deutschland?

Vor der großen Erweiterungsrunde im Jahr 2004 gab es die Befürchtung, der Arbeitsmarkt in Deutschland könne mit billigen Zuwanderern aus dem Osten überflutet werden. „Die Befürchtungen waren völlig überzogen“, sagt der Experte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Rückblick. Rund drei Viertel der Zuwanderer, die nach 2004 aus dem Osten kamen und in Deutschland eine Arbeit aufnahmen, verfügten nach seinen Angaben über eine Berufsausbildung.

Da der Arbeitsmarkt in Deutschland für Arbeitnehmer aus Osteuropa bis 2011 gesperrt blieb, kamen zahlreiche Polen, Ungarn oder Slowaken als Selbstständige ins Land und fingen dort beispielsweise als Fliesen- oder Parkettleger an – der Gründungsboom führte zwangsläufig zu Konkurrenz für deutsche Baufirmen.

Einen differenzierten Blick richtet der DIW-Experte Brenke derweil auf Arbeitsmigranten aus Bulgarien und Rumänien. Die beiden Länder gehören seit 2007 zur EU. Unter denjenigen, die aus Bulgarien und Rumänien seit 2007 nach Deutschland kamen, befinde sich „ein großer Teil von weniger Qualifizierten“, sagte Brenke.

Wie verlief die wirtschaftliche Entwicklung in den Beitrittsländern?

Die EU-Beitrittsstaaten im Osten Europas haben zwar eine beachtliche ökonomische Aufholjagd hingelegt, hinken aber immer noch hinter den „alten“ EU-Mitgliedstaaten hinterher. Polen verzeichnete vor der Finanzkrise in den Boom-Jahren von 2006 bis 2008 jährliche Wachstumsraten von über fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Aber dies hat nichts am Wohlstands-Vorsprung im Westen der EU geändert: Auch 2012 kam Polen beim BIP pro Kopf nur auf 67 Prozent des EU-Durchschnitts.

Insgesamt können die Beitrittsländer mit der wirtschaftlichen Entwicklung aber zufrieden sein. Denn überall – außer in Slowenien – nahm die Wirtschaftskraft seit 2004 zu. Zu dieser positiven Entwicklung leisteten auch Hunderttausende Osteuropäer ihren Beitrag, die ab 2004 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in Großbritannien und Irland nutzten und von dort einen Teil ihres Lohns nach Hause überwiesen, den sie in London, Bristol oder Dublin als Busfahrer, Hotelportiers und Bauarbeiter verdienten.

Wie die "Neuen" durch die Euro-Krise kamen

Wie kamen die neuen EU-Länder durch die Euro-Krise?

Im Jahrzehnt nach dem EU-Beitritt führten Slowenien, Zypern, Malta, die Slowakei, Estland und Lettland den Euro ein. Zum Sorgenkind wurde neben Slowenien vor allem Zypern. Die meisten osteuropäischen Euro-Länder wurden mit der Schuldenkrise hingegen gut fertig. Als leuchtendes Beispiel gilt Estland, das vor dem Euro-Beitritt einen harten Sanierungskurs durchzog. Der Baltenstaat weist die geringste Staatsverschuldung in der EU vor.

Die EU wird wohl weiter wachsen – droht eine Überdehnung?

Gegenwärtig führt die EU-Kommission Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sowie mit Serbien und Montenegro. Vor der Tür stehen auch Mazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegowina und das Kosovo. Weiterer Zuwachs ist also absehbar, auch wenn der Spitzenkandidat der Konservativen bei der Europawahl, Jean-Claude Juncker, jüngst forderte, in den nächsten fünf Jahren sollten keine neue Mitglieder hinzukommen. Allerdings droht der EU selbst dann keine Selbstblockade, wenn die Zahl ihrer Mitglieder auf über 30 anwachsen sollte. Denn 2007 wurde in Brüssel – übrigens gegen den Widerstand des damaligen polnischen Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski – eine Reform des Abstimmungsmodus im Kreis der EU-Staaten beschlossen, die dem Gewicht großer Mitgliedsländer wie Deutschland Rechnung trägt.

Was ist für die osteuropäischen Staaten wichtiger – die Nato oder die EU?

Die Frage, welchen Wert die Mitgliedschaft in der EU hat, wird in den osteuropäischen Staaten höchst unterschiedlich beantwortet. Es gibt EU-Skeptiker wie den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, die aber wohl kaum einen Austritt aus der Gemeinschaft forcieren würden, weil sie sehr wohl die Vorteile des Binnenmarktes nutzen wollen. Es gibt EU-Gegner wie den tschechischen Ex-Präsidenten Vaclav Klaus, der behauptet, sein Land habe „null Einfluss“ auf die Entscheidungen der Gemeinschaft. Und es gibt Leute wie den ehemaligen polnischen Botschafter in Deutschland, Janusz Reiter. Nach seinen Worten hat für sein Land mit dem EU-Beitritt die „glücklichste Phase unserer Geschichte begonnen“.

Angesichts des vielschichtigen Systems der EU, das von harten Regeln des wirtschaftlichen Wettbewerbs bis zu einer eher diffusen gemeinsamen Außenpolitik reicht, ist die Mission der Nato geradezu simpel: die Gewährung militärischen Beistands im so genannten Bündnisfall. Der Nato-Beitritt, den die osteuropäischen EU-Staaten bis zum Jahr 2004 allesamt vollzogen hatten, war deshalb auch keine Alternative zur Europäischen Union – sondern eine notwendige militärische Ergänzung.

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