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Politik: EU-Sanktionen: Ein Mann mit starken Nerven

Noch ein bisschen dürrer ist er geworden im letzten halben Jahr. An manchen Anzügen sieht man das.

Noch ein bisschen dürrer ist er geworden im letzten halben Jahr. An manchen Anzügen sieht man das. Aber er hat eine Nervenstärke bewiesen, die ihm selbst enge Mitarbeiter nicht zugetraut hätten. Seit Mitte Januar schon, seit er das Unfassbare gewagt und sich für eine Regierungsbündnis mit der FPÖ entschieden hat, steht Wolfgang Schüssel mitten im Feuer. Und immer ist er kühl geblieben. Andere sind ausfällig geworden, haben wüste Attacken gegen heimische Gegner und die verschwörerische EU geritten - Schüssel hat sich nicht provozieren lassen. Von ihm gibt es aus der ganzen, harten Zeit keinen einzigen polemisch zugespitzten Spruch, kein Zitat, das ihm jemand um die Ohren schlagen könnte. Jetzt hat Wolfgang Schüssel gewonnen. Und selbst von diesem Sieg hat er sich zu keiner Unüberlegtheit hinreißen lassen. Das Triumphgeschrei stimmten andere an.

"Schüssel hat einen für Spitzenpolitiker fatalen Fehler: Kanzler sehen anders aus." Das befanden die renommierten "Salzburger Nachrichten" in einer Wahlkampfreportage vor ziemlich genau einem Jahr. Vor Augen hatten sie den Chef der kleineren Koalitionspartei, schmallippig, schnippisch, übernervös, beinahe zitternd vor Ehrgeiz, hinter jeder Gelegenheit herhechelnd, sich ins Fernsehen zu bringen. Das war Schüssels Kampf gegen die übermächtige, gut geölte PR-Maschinerie der Sozialdemokraten, die den "kleinen Prinzen" ständig mit Spötteleien bedachte - und in einer für sie fatalen Weise zu seiner Unterschätzung beitrug.

Nur wenige Tage nach dem zitierten Zeitungsporträt hebelte Schüssel die SPÖ-Maschine derart kräftig aus, dass sie bis heute nicht mehr im Takt läuft. Schüssels Ankündigung, die von ihm geführte ÖVP werde bei einem Zurückfallen hinter Haiders FPÖ in die Opposition gehen, zwang die SPÖ zur Sorge um den Koalitionspartner und dazu, die Attacken gegen ihn einzustellen. Am Wahlabend stand die SPÖ mit starken Verlusten da; nur mit der ÖVP hätte sie weiterregieren können - so wurde Schüssel endgültig zum starken Mann. Und als die Koalitionsgespräche nicht zu seinem Wunschresultat führten, nützte er die Gelegenheit zum Absprung. Mit der Stärke des Augenblicks konnte Schüssel selbst Haider zum Verzicht auf das Kanzleramt zwingen und der FPÖ ein unerwartetes Bekenntnis zu EU, Volksgruppenrechten und Zwangsarbeiter-Entschädigung abringen. Am 4. Februar wurde Schüssel als Kanzler und erster Chef einer ÖVP/FPÖ-Regierung vereidigt.

Seither hat der 55jährige promovierte Jurist an Statur gewonnen. Es gibt in Österreich kaum jemanden, der das noch in Frage stellen würde. Die von ihm propagierte "neue Art des Regierens" beweist Schüssel durch einen schon beinahe manieriert partnerschaftlichen Umgang mit der FPÖ. Zu Haiders Sprüchen schweigt Schüssel konsequent. Und wo Haider in gewohnt selbstbezogener Art sich und seine FPÖ herausstellt, da spricht Schüssel genauso prononciert vom "Wir" in der Koalition.

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