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Hilfe für die Helfer: In Malta wird ab Montag über ein neue politische Lösung für gerettete Flüchtlinge verhandelt.

© Fabian Heinz/Sea-Eye/dpa

EU-Treffen in Malta: Wie könnte eine neue EU-Flüchtlingspolitik aussehen?

Einige EU-Innenminister wollen eine Umkehr in der EU-Flüchtlingspolitik anschieben. Werden sie eine Lösung für alle finden? Fragen und Antworten zum Thema.

Von Robert Birnbaum

Wenn Horst Seehofer am heutigen Montag nach Malta fliegt, dann wäre es etlichen Parteifreunden lieber, er bliebe hier. Der Bundesinnenminister trifft sich mit Kollegen aus Frankreich, Italien und des Inselstaats, dazu Vertretern der EU-Kommission und des amtierenden Ratsvorsitzenden Finnland.

Es geht um einen neuen Umgang mit Migranten, die auf dem Mittelmeer in Seenot geraten, und mit ihren Rettern. Offiziell ist die Rede von einer Zwischenlösung. Aber Skeptiker wie der thüringische CDU-Wahlkämpfer Mike Mohring liegen in einem Punkt gar nicht so falsch mit dem Verdacht, dass das Provisorium zur Dauerlösung werden könnte: Die geplante Abmachung von Malta steht für einen Paradigmenwechsel, der sie zum Vorbild für die EU-Flüchtlingspolitik machen könnte.

Bilder von Menschen, zusammengepfercht in wackeligen Gummibooten, unhaltbare Zustände auf Rettungsschiffen, denen Malta und Italien erst nach langem Gezerre das Anlegen erlauben, hunderte Menschen, die weiterhin elend ertrinken – mit dem europäischen Anspruch an eine humane Flüchtlingspolitik hatte die Realität auf dem Mittelmeer zuletzt nur noch wenig zu tun. Eine praktikable Lösung musste schon lange her.

Dass der Versuch jetzt beginnt, hat mehrere Gründe. Der italienische Hardliner Matteo Salvini hat sich selbst ins Aus manövriert; die neue Regierung in Rom eröffnet ein Fenster der Gelegenheit für vernünftige Abmachungen. Malta ist schon lange unzufrieden mit dem Zustand, dass es für jedes Rettungsschiff aufs Neue mit unwilligen europäischen Partnern über die Verteilung der Migranten feilschen muss.

Und in Deutschland wächst der Druck. Allein die Ankündigung der evangelischen Kirche, ein eigenes Rettungsschiff ins Mittelmeer zu schicken, hat die Debattenlage verändert. Privaten Seenotrettern idealistische Naivität zu unterstellen, wie es Innenpolitiker gern mal tun, ist eine Sache; ein Kirchenschiff voll Geretteter auf hoher See hängen zu lassen eine völlig andere.

Deutschland und Frankreich wollen sich deshalb bereit erklären, künftig einen festen Anteil der Schiffbrüchigen zu übernehmen. Seehofer reist mit einem Angebot von 25 Prozent nach Malta, Frankreich hat sich noch nicht genau festgelegt. Beide wollen später beim offiziellen EU-Innenministertreffen am 8. Oktober versuchen, weitere Mitstreiter für eine „Koalition der Rettungswilligen“ zu finden. Seehofer hat insgesamt etwa ein Dutzend EU-Staaten im Auge, die dazu bereit sein könnten.

Macht Deutschland eine Kehrtwende?

Jein. Gemessen an Seehofers Image schon – als CSU-Chef hatte er sich jahrelang als Hardliner gebärdet. In der Praxis hat Deutschland aber seit langem schon stillschweigend die Verantwortung für jeden vierten Schiffbrüchigen übernommen, der auf Malta, Lampedusa oder einem anderen italienischen Hafen an Land durfte. Viele waren das nie – ein paar hundert Menschen pro Jahr. Seehofer hielt den Kritikern seines Vorstoßes denn auch vor, ihr Alarmgeschrei sei völlig unverhältnismäßig. Er kam ihnen aber insofern entgegen, als er versicherte, die 25-Prozent-Zusage gelte nur so lange, wie sich aus dem neuen Verfahren kein neuer „Pull-Faktor“ ergebe.

Welche Folgen könnte Seehofers Angebot haben?

Was den konkreten Umgang mit Schiffbrüchigen angeht, ist das noch kein Paradigmenwechsel. Trotzdem steckt in dem Vorstoß mehr. Er kann zum Muster für eine veränderte Herangehensweise in der Europäischen Union an das Flüchtlingsproblem werden. Denn er macht im besten Fall vor, wie eine Lastenteilung aussehen könnte, die auf unterschiedliche nationale Belange Rücksicht nimmt.

Längst ist ja klar, dass die lange besonders von Deutschland forcierte Idee gescheitert ist, Migranten und Flüchtlinge anteilig auf alle EU-Staaten zu verteilen. Die Osteuropäer sträuben sich, andere ducken sich leise weg, wieder andere klagen lautstark über Überlastung, obwohl die realen Flüchtlingszahlen im Land dazu gar keinen Anlass geben.

Neue Ideen sind gefragt, um die gegenseitigen Blockaden aufzubrechen. Die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat denn auch bereits in ihrer Bewerbungsrede vor dem EU-Parlament einen „neuen Pakt für Migration und Asyl“ versprochen. Es geht im Kern um die Reform des Dublin-Systems, das den Grenzstaaten die gesamte Verantwortung für Asylverfahren aufbürdet. Sie verstehe gar nicht mehr, wie man sich darauf je habe einlassen können, gab die CDU- Politikerin unlängst zu.

In Umrissen ist längst klar, wie diese Reform aussehen soll. Manche EU-Staaten könnten mehr Asylsuchende aufnehmen als andere, dafür könnte die sich beispielsweise stärker beim gemeinsamen Außengrenzschutz und dem Aufbau der EU-Grenztruppe Frontex auf die geplanten 10.000 Mann einbringen.

In Seehofers Malta-Paket ist beispielhaft für solche gegenseitige Unterstützung das Angebot enthalten, deutsche Beamte auszuleihen, die in Italien und auf Malta bei der Bearbeitung von Asylanträgen helfen. Früher hatte der CSU-Mann auf peinlich genauer Einhaltung der Dublin-Regeln bestanden. Aber Seehofer hat dazu gelernt: „Was hilft uns ein System, das nicht funktioniert?“

Auch Leyen weiß, dass sie massive Widerstände überwinden muss, die sich in den hitzigen Debatten seit 2015 aufgetürmt haben. Nicht zufällig wies sie jüngst in einem Interview darauf hin, dass etwa Polen rund 1,5 Millionen Ukrainer aufgenommen hat, die vor dem Bürgerkrieg geflohen sind. „Wir müssen anfangen, die polnische Sichtweise mitzudenken“, sagte die designierte Kommissionschefin, „und bereit sein, Argumente anzuhören, die jenseits unserer Wahrnehmung liegen. Das erwarte ich von uns allen.“

Dahinter steckte erkennbar die Hoffnung, dass die Regierung in Warschau nicht nur das Verständnis goutiert, das Leyen aus ihren Erfahrungen als Verteidigungsministerin den Osteuropäern entgegenbringt, sondern dass Polen seinerseits die „Eure Flüchtlinge gehen uns gar nichts an“-Haltung aufweicht.

Führt der Malta-Pakt nicht dazu, dass mehr Migranten nach Europa kommen?

Mit dem Vorwurf, ein „Pull-Faktor“ zu sein, müssen sich Seenotretter seit langem herumschlagen. Kritiker werfen ihnen vor, das Geschäft der Schleuser zu betreiben, weil das Wissen um die vor der Küste kreuzenden Rettungsschiffe Migranten dazu ermutigen könne, in den überfüllten Booten aufs Meer hinaus zu fahren.

Belege für diese Theorie gibt es allerdings nicht. Selbst als EU-Marineschiffe in der Operation „Sophia“ vor Libyen unterwegs waren, stieg der Andrang nicht dramatisch an. Migrationsforscher halten ohnehin „Push-Faktoren“ für die ausschlaggebenden: Wer in den Lagern Libyens jeden Tag Schläge, Vergewaltigung und Hunger ertragen müsse, setze sein Leben auf dem Meer aufs Spiel, sobald sich die erste Gelegenheit biete, und warte nicht auf gutes Wetter oder ein Rettungsschiff irgendwo da draußen.

Tatsächlich ist die Seenotrettung nur deshalb so ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, weil der seinerzeitige italienische Innenminister Salvini sie zum Großproblem aufplusterte und sogar bewirkte, dass die EU-Partner frustriert ihre „Sophia“-Flotte abzogen. Die Marineschiffe hatten in dreieinhalb Jahren rund 50000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet – gemessen an der sonstigen Migration eine vernachlässigbare Zahl.

Größere Probleme gibt es anderswo. An der türkisch-griechischen Grenze etwa, wo in letzter Zeit wieder deutlich mehr Flüchtlinge nach Europa gekommen sind; auch auf der Balkanroute. Und nicht zuletzt im Schlüsselland der Flüchtlingsbewegungen im zentralen und westlichen Mittelmeer: Libyen. Die Lage dort ist chaotisch.

Das nordafrikanische Land, in dem zehntausende Migranten auf die Überfahrt nach Europa warten, destabilisiert die Region bis nach Mali und Niger – ihrerseits Schlüsselstaaten für den Versuch der Europäer, Menschen ohne Asylanspruch wieder nach Hause zu schicken und ihnen dort eine Perspektive zu eröffnen.

Doch seit dem Sturz und Tod des Diktators Muammar al Gaddafi 2011 hat sich Libyen zu einem „failed state“ entwickelt, in dem Milizen, Terroristen, Drogen- und Waffenschmuggler und Schlepperbanden ihr Unwesen treiben. Regierungschef Fajes al Serradsch beherrscht gerade mal Tripolis. Der zweite Kriegsherr, General Haftar, scheiterte vor kurzem damit, die Hauptstadt zu erobern.

Die Bundesregierung hält die Lage für derart bedrohlich, dass Kanzlerin Angela Merkel eine diskrete Krisendiplomatie in Gang gesetzt hat. Hauptziel ist es, die ausländischen Unterstützer der verschiedenen Konfliktparteien – von der Türkei bis Ägypten – an einen Tisch zu bekommen. Neulich gab es ein erstes Treffen in Berlin. Merkel will die UN-Umweltkonferenz ab Montag in New York nutzen, um die Bemühungen voran zu treiben.

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