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Euro: Harte Bewährung

In Brüssel haben sich am Donnerstag die Staatschefs der Europäischen Union getroffen. Sie wollen den Euro retten. Wie soll das gelingen?

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Erster Tagesordnungspunkt in Brüssel war die Verabschiedung eines Gesamtpakets zur Absicherung und Stabilisierung des Euro und zur Nothilfe für krisengeschüttelte europäische Staaten. Doch der Wettbewerbspakt stößt in Europa nicht nur auf Zustimmung. Wegen der befürchteten sozialen Verwerfungen in den Mitgliedsstaaten gab es am Rande des Gipfels massive Proteste.

Was sieht das Paket zur Absicherung des Euro vor?

Das Paket, das die EU-Staatschefs am Donnerstag in Brüssel verabschiedeten, besteht aus mehreren Teilen. Zunächst wird der provisorische Rettungsschirm (EFSF) aufgestockt, mit dem EU-Staaten in finanziellen Notsituationen geholfen werden kann. Der Rettungsfonds soll künftig ein Kreditvolumen von 440 Milliarden Euro umfassen. Bisher waren dafür 250 Milliarden Euro vorgesehen.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der von 2013 an den aktuellen Rettungsschirm ablösen soll, wird von den Eurozonenländern mit 700 Milliarden Euro ausgestattet. Diese Summe ist deutlich höher als die Ausleihsumme von 500 Milliarden Euro, die zur Verfügung stehen soll, weil die internationalen Ratingagenturen die Garantien zahlungsschwächerer Länder nicht berücksichtigen.

Die Gesamtsumme bringen die Eurostaaten mit Garantien über 620 Milliarden Euro und eine direkte Kapitaleinzahlung über 80 Milliarden Euro auf. Deutschland hat als größtes Mitgliedsland 27,1 Prozent beider Summen zu tragen. Die derzeitige Garantiesumme für den Rettungsschirm in Höhe von 123 Milliarden Euro muss demnach auf 168 Milliarden Euro aufgestockt werden. Direkt überweisen muss Berlin knapp 22 Milliarden Euro. Die Hälfte davon soll eigentlich bis 2013 eingezahlt werden, der Rest in den folgenden drei Jahren. Doch genau diese Regelung hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf Druck aus der eigenen Koalition nun aufgeweicht und damit Irritationen in Brüssel ausgelöst.

Wie hat der EU-Gipfel auf die Nachricht von der bevorstehenden Pleite Portugals reagiert?

Die in der EU vereinbarten Reformen im Wettbewerbspakt oder dem „Pakt für den Euro“, wie er auch genannt wird, waren in der Europäischen Union ironischerweise gerade erst dadurch möglich geworden, das auch das krisengeschüttelte Portugal angekündigt hatte, ein umfassendes und hartes Reformprogramm anzuschieben. Das war vor zwei Wochen. Am vergangenen Montag dann präzisierten die EU-Finanzminister die Grundzüge für die neue Finanzinstitution, die hoch verschuldete Staaten vor der Pleite schützen soll. Als sich die Staatschefs nun am gestrigen Donnerstag in Brüssel trafen, um die Reformen zu verabschieden, war das Treffen überschattet von der Nachricht, dass Portugal vor der Pleite steht. Das Sparpaket von Premier José Sócrates war im Parlament gescheitert, und Sócrates selbst war noch am Mittwochabend zurückgetreten. Portugal dürfte somit nach Irland das nächste Euroland sein, das den EU-Rettungsschirm in Anspruch nehmen muss. Am Gipfel nahm Sócrates nur als geschäftsführender Premier seines Landes teil. Er ist nach dem Iren Brian Cowen schon der zweite Regierungschef, den die zur Eurorettung in Brüssel verordneten Maßnahmen das Amt kosteten.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker und Kanzlerin Merkel forderten in Brüssel das hoch verschuldete Land auf, an dem eingeschlagenen Sparkurs festzuhalten. Die Einsparungen in Portugal seien „unabdingbar“ und wichtig für das Vertrauen in die portugiesische Wirtschaft, mahnte Barroso sein Heimatland. Juncker forderte weitere Haushaltsentlastungen von Portugal, um sein Staatsdefizit wie vereinbart zu senken.

Welche Argumente bringen die Gegner des Wettbewerbspaktes vor?

„Nein zum Wettbewerbspakt“, war in Brüssel auf den Transparenten der Demonstranten in den 17 Sprachen der Euroländer zu lesen, „Ja zu einem Solidarpakt!“. Immerhin einer von ihnen durfte ins Justus-Lipsius-Gebäude hinein. John Monks, Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, nahm am Sozialgipfel teil, der traditionell dem Europäischen Ratstreffen vorgeschaltet ist. Und er fand deutliche Worte. „Die Menschen da draußen sehen, dass Europa sich zu einem Big Brother entwickelt, der ihre Löhne und Gehälter kontrolliert.“ Er meinte damit die Passagen im „Pakt für den Euro“, in denen die Staats- und Regierungschefs eine „Überprüfung der Lohnbildungsregelungen“ sowie Arbeitsmarkt- und Rentenreformen vereinbaren, die sie zu Hause in ihren Parlamenten durchdrücken wollen.

EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy verteidigte die Maßnahmen: „Wir machen das alles ja nicht zum Vergnügen“, so der Belgier, die strikten Sparauflagen, die Verschärfung des Stabilitätspaktes sowie die Sozialreformen seien aber „unabdingbar“, um die makroökonomische Stabilität der Eurozone wiederherzustellen. Auch Manfred Weber, stellvertretender EVP-Fraktionsvorsitzender und CSU-Präsidiumsmitglied, sagte, im Vergleich zum deutschen Länderfinanzausgleich müssten die Empfängerländer in der EU künftig strikt sparen. „Sie bekommen keine Subvention, sondern Kredite, die verzinst werden. Das ist ein großer Erfolg der Kanzlerin“, sagte Weber dem Tagesspiegel. Beim Pakt für den Euro werde im Bundestag einerseits kritisiert, dass die Vereinbarungen in Brüssel nicht verbindlich seien. Andererseits werde ständig davor gewarnt, dass die EU nicht neue Vorgaben machen dürfe, die den Bundestag binden. „Das passt nicht zusammen“, sagte Weber.

Die europäischen Sozialdemokraten hingegen lassen kein gutes Haar am Reformpaket. Ihr Fraktionschef im Europaparlament, Martin Schulz, spricht von einer „sozial unausgewogenen und ungerechten Kürzungsorgie“. Die rheinland-pfälzische Abgeordnete Jutta Steinruck kritisiert, dass „die Verursacher der Krise praktisch unbehelligt bleiben“. Christopher Ziedler

Lesen Sie auf Seite 2 mit welchen Argumenten Kanzlerin Merkel für den Wettbewerbspakt wirbt

Am europäischen Pakt zur Stabilisierung des Euro hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen großen Anteil. Bevor die Kanzlerin am Donnerstag zum EU-Gipfel nach Brüssel reiste, der den Pakt verabschiedete, musste sie am Vormittag im Bundestag in einer Regierungserklärung aber erst einmal das umstrittene Maßnahmenpaket verteidigen.

Wie war ihr Auftritt?

Noch weiter auseinanderfallen konnten sie an diesem Tag wohl kaum: die Wahrnehmung der Öffentlichkeit über ihre Kanzlerin und deren eigene Versuche, ihr Bild geradezurücken. Gegen Ende ihrer letzten Rede vor dem Bundestag, bevor in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am Sonntag gewählt wird, verstieg sich Merkel sogar zu der Feststellung, "das Jahr 2011 wird zum Jahr des Vertrauens". Merkel meinte damit zwar den Stabilitätspakt, den die europäischen Länder in diesem Sommer in den EU-Vertrag aufnehmen wollen und der dafür sorgen soll, dass solche Pleiten wie in Griechenland und Irland so rasch nicht mehr das ganze EU-Haus zum Wanken bringen können. Und vielleicht bringt der Pakt ja auch Vertrauen. Die Wucht des Satzes im Vergleich zur allgemeinen Unsicherheit über den wenig vertrauenerweckenden Regierungskurs fiel dann aber doch sehr auseinander. Als Merkel den großen Satz gesagt hatte, wurde es für einen Moment ganz still im Saal. Auch in den Reihen von Union und FDP. Bevor die Opposition in Gelächter ausbrach.

Die innenpolitischen Begleitumstände ihrer Reise zum Gipfeltreffen nach Brüssel hatte sich die Kanzlerin ganz anders vorgestellt. Zwei Tage vor den Wahlen im Südwesten wollte Merkel den Deutschen eine glaubwürdige Botschaft über ihren Beitrag zur Stabilität des Euro bringen. Und vor allem wollte sie den Deutschen Gewissheit darüber geben, dass sie in Zukunft nicht für die Schuldenmacherei von Rom bis Athen bezahlen müssen.

Und beinahe wäre das sogar gelungen. Das Ergebnis des knapp einjährigen politischen Prozesses trägt in weiten Teilen Merkels Handschrift. Mit dem Gesamtpaket, sagte sie, "ziehen wir die Lehren aus der Schuldenkrise". Ein Pakt, der das Schuldenmachen der EU-Länder in Zukunft schwerer macht. Ein Pakt, der die Länder auf den Weg wirtschaftspolitischer Harmonisierung führt. Und ein Fonds, der die Solidarität aller Länder garantiert, ohne dass jedes Mal teure Rettungsaktionen nötig sind. "Es war richtig, für diese Prinzipien gekämpft zu haben", sagte Merkel und meinte in erster Linie damit ihren eigenen Kampf. Ein Kampf, der ihr immer wieder schwerste Vorwürfe aus den EU-Hauptstädten eingetragen hatte. Anti-Europäerin hat man sie genannt. Und auch gelächelt über ihre Forderung einer Vertragsänderung.

Wie kam Merkels Euro-Politik in den Regierungsfraktionen an?

Dass sich Merkel in vielen Punkten durchgesetzt hat, kam an diesem Donnerstag nicht zum Tragen. Weder die Opposition glaubte Merkel ihre Beteuerungen, es "wird keine Vergemeinschaftung von Schulden geben". Noch trauten ihr die zahlreichen Skeptiker in den eigenen Reihen über den Weg, als sie sagte, "Solidarität wird es nur bei Eigenverantwortung jedes Einzelnen geben".

Der Grund für all die Skepsis ist in erster Linie eine Zahl: 22 Milliarden Euro muss Deutschland in den nächsten Jahren nach Brüssel überweisen. Es ist der Eigen-Bar-Anteil der Deutschen am dauerhaften EU-Hilfsfonds. Und es ist das Eingeständnis der Bundesregierung dafür, dass die Krise der Euro-Länder eben doch von den Deutschen mit viel Geld bezahlt werden muss. Denn, auch wenn das Geld eine Einlage ist und damit faktisch nicht verloren. Zunächst muss es aus dem Bundeshaushalt nach Brüssel überwiesen werden. Die Risiken für die Steuerzahler beim neuen Euro-Gesamtpaket sind nach Ansicht der Kanzlerin gedeckelt. "Die Haftung für Deutschland ist nach oben begrenzt", sagte sie. "Es wird also weder regelmäßige noch dauerhafte Transferleistungen geben."

Wie überzeugt die Abgeordneten von Union und FDP von dem Paket sind, das Merkel verhandelt hat, konnte man im Bundestag gut beobachten. Weil es viele einzelne Bedenken und Sorgen und auch Verärgerungen über das große Paket gibt, spendeten vor allem Finanz- und Wirtschaftspolitiker nur sehr spärlich Beifall. Und - den dortigen Groll spürend - musste Merkel bewusst in Richtung FDP sprechen, als sie versprach, dafür zu sorgen, dass die 22 Milliarden Euro in fünf Jahrestranchen und das auch erst ab 2013 bezahlt werden müssen. Eine frühere Zahlung würde bedeuten, dass die Träume der Liberalen von einer Steuerreform noch in dieser Legislaturperiode endgültig ausgeträumt sind.

Wie reagierte die Opposition?

Fast zwei Jahre hatte man Peer Steinbrück im Bundestag nicht mehr am Rednerpult gesehen. Und auch in den Ausschüssen gilt der frühere Finanzminister der SPD in der Großen Koalition als rarer Gast. Aber wie das so ist mit seltenen Gästen: Wenn sie denn einmal im Rampenlicht auftauchen, dann hat man gleich das Gefühl, an einem außergewöhnlichen Ereignis teilgehabt zu haben. War es das Comeback des großen sozialdemokratischen Finanzexperten Steinbrück, ein erster Blick auf den Kanzlerkandidaten der SPD? Wohl kaum. Solche Sentimentalitäten lassen außer Acht, dass Steinbrück bei vielen Sozialdemokraten so beliebt ist wie Wolfgang Clement, der mit der SPD gebrochen hat. Und Steinbrück ist auch nicht immer voller Begeisterung für seine Parteifreunde.

Aber er versteht etwas von der Sache, und er versteht etwas vom schneidigen Wort: "Wortblasen" warf er der Kanzlerin vor und sezierte scharf all die Widersprüche in Merkels Politik. "Zu viele Volten", lautet sein Fazit. In der Sache - dem Euro-Paket - gab ihr Steinbrück indes recht. Ein bisschen spät, ein bisschen zaghaft, was Glaubwürdigkeit gekostet, Märkte irritiert und Partnerländer verstört habe. Aber im Prinzip in Ordnung. Ein Fachmann, ein Staatsmann, ein fairer Oppositionspolitiker: So kam Steinbrück aus der Tiefe seiner Fraktion. Und so verschwand er auch wieder. Ohne, dass man weiß, ob er wieder auftauchen wird. Antje Sirleschtov

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