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Der Durchschnittslohn in der Slowakei beträgt 762 Euro. In Italien oder Spanien ist er mehr als doppelt so hoch. Trotzdem zahlt die Slowakei für den ESM.

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Euro-Land Slowakei: Arm, aber zum Zahlen gezwungen

Als die Slowakei in den Euro aufgenommen wurde, war der Jubel groß. Doch heute soll das Land, wie die anderen EU-Länder, Garantien im Rahmen des ESM übernehmen. Dabei ist die Slowakei eines der ärmsten Länder der EU. Allmählich schlägt die Stimmung um.

In den Minuten, die er vorne am Rednerpult steht, ist Richard Sulik der mächtigste Mann Europas. Fernsehsender aus aller Welt haben ihre Korrespondenten nach Bratislava geschickt, um zu hören, was er sagen wird. Es ist der 11. Oktober 2011, die Slowakei stimmt über die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms ab – und wenn die Abgeordneten Nein sagen, blockieren sie damit die ganze Europäische Union. Richard Sulik schwitzt, er stützt die Hände auf das massige Rednerpult aus dunklem Holz, fast 20 Minuten nimmt er sich, um seine Argumentation aufzubauen. Nur wenige Sekunden dauert es, bis alle merken: Er wird nicht einlenken, er bleibt bei seinem Nein.

Er sagt: „Wir reden nicht von Millionen, sondern von Milliarden, die eines Tages unwiderruflich aus der Slowakei abfließen. Diese Schäden werden wohl noch die nächsten zwei Generationen abbezahlen. Da gelte ich lieber in Brüssel als Außenseiter, als dass ich mich vor meinen Kindern schämen muss.“

In seinem eng geschnittenen Anzug wirkt Richard Sulik am Rednerpult wie ein Fremdkörper, sein Stil passt nicht hierher. Der Plenarsaal in Bratislava stammt aus den 80er Jahren, die Wände sind holzvertäfelt. Die Bänke strahlen die schwere Würde aus, die sich das Land damals in den letzten Jahren des Sozialismus verordnet hat. Als er seine Rede hält, ist Richard Sulik noch Parlamentspräsident, mit seinen 43 Jahren der jüngste in der Geschichte des Landes. Hinter ihm auf der Regierungsbank sitzt Iveta Radicova, die Premierministerin, die er mit seiner Ablehnung um ihr Amt bringen wird.

Sulik sagt: „Die Slowakei ist nicht verantwortlich für die Rettung der Welt. Wir haben die Probleme nicht gemacht, wir haben keinen Grund zu zahlen.“

Heute empfängt Richard Sulik seine Besucher in einem kleinen Konferenzraum, versteckt gelegen an einem endlos langen Flur im Parlamentsgebäude von Bratislava. Fünf mal sechs Schritte misst das Zimmer, jeder Winkel ist vollgestellt mit Stühlen und Sesseln. „Unsere Räume sind bescheiden“, sagt Sulik zur Begrüßung, es klingt wie eine Entschuldigung. Das vergangene Jahr war für ihn ein Abstieg: Weil er mit seiner Partei den Euro-Rettungsschirm EFSF abgelehnt hat, ist die Mitte-Rechts-Regierung gestürzt und er war seinen Posten als Parlamentspräsident los. Bei den Neuwahlen in diesem Frühjahr hat es Suliks Partei „Freiheit und Solidarität“ (SaS), zuvor stattliche zwölf Prozent stark, nur noch knapp über die Fünfprozenthürde geschafft. Seither residiert Sulik hier in dieser Kammer für die Opposition.

Und der Finanzpakt? Der wurde ein paar Tage nach seiner Rede doch noch verabschiedet, dann eben mit den Stimmen der Opposition.

„Das ist eine Tragödie, die unser Land erlebt“, sagt Sulik. „Die Slowakei hat nach dem Sozialismus einen steinigen Weg hinter sich gebracht, die ersten Ergebnisse haben sich eingestellt. Und jetzt schicken wir Milliarden von Euro in Länder, die nicht bereit waren, sich der neuen Zeit anzupassen. Das ist zum Heulen.“

Solche Sätze sind es, wegen denen ihn manche für einen Helden halten, der sein Amt für seine Überzeugung geopfert hat und der den Mut aufbringt, gegen alle Partner in der EU anzukämpfen.

Es sind Sätze, die heute so oder ähnlich auch ganz andere sagen. Der Internationale Währungsfonds IWF beispielsweise will Griechenland keine weiteren Finanzhilfen gewähren. Die hält das Land für nötig, weil es mit seinen Reformen nicht zügig genug voran kommt. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ meldet, der IWF habe seinen Rückzug bereits signalisiert. Damit werde eine Pleite Griechenlands im September wahrscheinlicher, denn viele Regierungen der Euro-Zone seien ebenfalls nicht mehr bereit, neue Geldspritzen für das Land zu schultern.

Kaum ein Land hat so radikal gespart wie die Slowakei

Richard Sulik war früher Parlamentspräsident. Bei den letzten Wahlen hat seine Partei gerade noch die Fünf-Prozent-Hürde genommen. Das Bild zeigt ihn während der Rede gegen den ESM-Beitrag der Slowakei.
Richard Sulik war früher Parlamentspräsident. Bei den letzten Wahlen hat seine Partei gerade noch die Fünf-Prozent-Hürde genommen. Das Bild zeigt ihn während der Rede gegen den ESM-Beitrag der Slowakei.

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Dass Europa nur noch als wirtschaftlicher Begriff verstanden wird, nicht als politische Idee oder gar als gemeinsame Erzählung, gehörte auch zu dem, was Sulik vorgeworfen wurde. Er hat das nie akzeptiert. Sulik sagt: „Ich stelle fest, dass die Slowakei das ärmste Land in der Euro- Zone ist und zugleich im Verhältnis zu seiner Finanzkraft am meisten zahlen soll.“

Ist das fair? Es ist diese Frage, die das Land spaltet. 762 Euro beträgt der Durchschnittslohn in der Slowakei, die durchschnittliche Rente ist wesentlich niedriger. In Griechenland, Spanien und Italien dagegen liegen die Durchschnittseinkommen zwei- bis dreimal höher. Geht die Pflicht zur Solidarität so weit, viel reichere Länder in Europa zu unterstützen? Ist es wirklich richtig, dass die slowakischen Politiker jahrelang gespart haben, um die Schulden niedrig zu halten, und jetzt Kredite aufnehmen müssen, um anderen zu helfen?

Die Slowakei: fünf Millionen Einwohner, eine herrliche Natur, geprägt von den Jahrhunderten unter der Habsburger Monarchie. Gerade einmal 50 Kilometer liegen zwischen der slowakischen Hauptstadt Bratislava und dem österreichischen Wien, jede Stunde fährt ein Schiff im Pendelverkehr über die Donau. Im Kommunismus war das Land – damals noch als Teil der Tschechoslowakei – einer der wichtigsten Industriestandorte für die Sowjetunion. Weil die Menschen gut ausgebildet sind, haben nach der Wende viele Firmen aus dem Westen hier ihre Werke aufgebaut. Kontinuierlich stiegen die Löhne, die Arbeitslosigkeit sank.

Als die Slowaken 2004 in die Europäische Union aufgenommen wurden, war der Jubel gewaltig: Endlich ist man drin in dem Klub, für den man sich jahrelang so aufgerieben hat. Endlich wird man als vollwertiges Land betrachtet und nicht bloß als Teil des früheren Ostblocks. Und es ging weiter. Der Euro sollte folgen.

Um die Gemeinschaftswährung 2009 einzuführen, haben die Slowaken so hart geschuftet und so radikal gespart, wie es wohl in keiner westlichen Gesellschaft ohne Massenproteste gegangen wäre: Sie haben ihr Rentensystem reformiert, ihr Gesundheitssystem, ihr Steuersystem, ihre Arbeitsgesetze. Sie haben keine Autobahnen gebaut, obwohl die dringend nötig wären. Sie haben die Renten nicht erhöht, obwohl manche Rentner fast verhungern. Sie haben die Sozialhilfe gekürzt, obwohl sie ohnehin lächerlich niedrig war. Damals hatte die Slowakei eine Staatsverschuldung von 27 Prozent – so gut stand kaum ein anderes EU-Land da. Und auf eine Art zahlte sich das aus. Wenn Firmen gefragt werden, wo sie investieren möchten, zählt die Slowakei regelmäßig zu den attraktivsten Standorten in Europa.

Mit der neuen Währung hat das Land seine großen Konkurrenten abgehängt: Die Tschechen zahlen noch mit ihren Kronen, die Ungarn mit ihrem Forint, die Polen mit ihrem Zloty. „Gerade in den 90er Jahren mussten wir immer zu Tschechien und Ungarn aufschauen, wo die Entwicklungen viel schneller liefen. Endlich sind jetzt wir in unserer Region einmal vorne“, sagte noch 2008 Igor Barat. Er trug den Titel „Regierungsbeauftragter für den Euro“, saß im Finanzministerium mitten in Bratislava und war für die guten Nachrichten zuständig. „Der Euro wird unserer Wirtschaft Impulse geben, so dass wir schneller wachsen und schneller den Wohlstand des Westens aufholen. Das versuchen wir unseren Bürgern zu erklären.“ Nötig war die Werbung nicht: Die Mehrheit der Slowaken, das zeigten damals die Meinungsumfragen, freute sich auf die Gemeinschaftswährung.

Trotzdem ließ Igor Barat Infobroschüren mit Millionenauflagen drucken, jedem Haushalt im ganzen Land schickte er einen Währungsrechner zu, mit dem sich die slowakischen Kronen im Handumdrehen in Euro umrechnen ließen. Die Slowakei, so schien es damals, platzte vor Stolz. „Die stärkste Währung der Welt“, hieß es in einem Werbespot, der zur besten Sendezeit im Fernsehen lief, „ist bald auch in unseren Geldbeuteln.“

2008 stand der Euro zwischenzeitlich bei 1,60 US-Dollar. Derzeit steht er bei 1,21 US-Dollar – und ist zu einem Krisenfaktor geworden, der sogar beim G-20-Gipfel in Mexiko Mitte Juni das wichtigste Thema war. Die „stärkste Währung der Welt“ – das war einmal.

Nur ein Jahr lang ging die Geschichte mit der Slowakei und dem Euro gut. Dann brach die Griechenlandkrise auch in Bratislava ein, 1700 Kilometer entfernt von Athen. Das slowakische Parlament stimmte für die erste Tranche des Rettungsschirms – auch mit den Stimmen der Partei SaS von Richard Sulik. Dann wurden die Zahlen immer größer und die Dimensionen immer ungeheuerlicher, und es wuchs der Widerstand. Trotzdem unterstützten alle Parteien, die im Parlament vertreten sind, weiter den Rettungsschirm – aber nun mit Ausnahme von Richard Suliks SaS, die damit zum Außenseiter geworden ist. 7,7 Milliarden Euro an Garantien hat die Slowakei bislang allein zum Europäischen Stabilitätsmechanismus EFSF beigetragen.

Mitgefangen, mitgehangen: Was die Slowakei gewinnt, was sie zu verlieren hat

Iveta Radicova folgte Sulik nach. Auch sie hat mit der Euro-Rettung zu kämpfen.
Iveta Radicova folgte Sulik nach. Auch sie hat mit der Euro-Rettung zu kämpfen.

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Was machen diese Summen mit einem Land, in dem jemand mit 1000 Euro Monatslohn schon zu den Besserverdienenden zählt? Und wie ändern die Dimensionen den Blick auf Europa?

Ein Treffen mit Ivan Dianiska, der sich mit den Slowaken so gut auskennt wie sonst kaum jemand. Dianiska ist Soziologe am Meinungsforschungsinstitut Focus. Mit seinem Team hat er ein feines Netz über das Land gebreitet, das die Stimmung im Land permanent misst. „Am Anfang herrschte hier in der Slowakei der Eindruck vor, dass die Griechen den ganzen Tag in der Sonne liegen und Ouzo trinken, während wir hart arbeiten“, sagt er. Das waren die Zeiten, als die slowakische Zeitung „Hospodarske Noviny“ eine Studie veröffentlichte, nach der 77 Prozent der Slowaken es ablehnen, dass sich ihr Land an Finanzhilfen für Griechenland beteiligt. Und dann breitet Dianiska die Zahlen aus, die am überraschendsten wirken: Heute, ein Jahr später, wächst die Zustimmung für den Euro-Rettungsschirm in der Slowakei – obwohl die Nachrichten immer düsterer werden. „Wir sind ein kleines Land“, sagt Dianiska, „und es verbreitet sich die Meinung: Wenn wir jetzt nicht mithelfen, kümmert sich auch kein Mensch um uns, wenn wir einmal in Not geraten.“

Ein anderer Indikator aber fällt in der Slowakei dramatisch: die Zufriedenheit mit dem Euro. Eine Tabelle in Dianiskas Büro zeigt das. 2009 lehnten 21 Prozent der Slowaken den Euro ab. 2012, nur drei Jahre später, sind es 40 Prozent.

Am Anfang waren die Slowaken begeistert für den Euro und umso schwerer enttäuscht, als der in Turbulenzen geriet. Jetzt würden sie sich nicht mehr für den Euro entscheiden – aber nun sind sie drin. Mitgefangen, mitgehangen also? „Es gibt zwei Möglichkeiten für uns Slowaken“, fasst Ivan Dianiska schon fast sarkastisch zusammen. „Entweder wir zahlen oder wir zahlen nicht. Beide Möglichkeiten sind schlecht, aber das Geld zu überweisen ist vielleicht ein bisschen weniger schlecht.“

Die Europafreunde versuchen gute Stimmung zu machen, indem sie sagen: Wir haben ja auch viel bekommen. Die Slowakei ist seit Jahren eines der Empfängerländer in der Europäischen Union. Sie bezahlt ihre Beiträge in Richtung Brüssel, aber bekommt über die Struktur-, Regional-, Sozial- und all die anderen Fonds ein Mehrfaches wieder zurück. Ist es nicht gerade deshalb die moralische Pflicht der Slowakei, in schwierigen Zeiten auch etwas zurückzugeben?

Richard Sulik lässt das nicht gelten. Über die vielen Hilfsfonds lästert er, sie hätten erfolgreich die Korruption genährt, den Wettbewerb verzerrt und die Landwirtschaft beinahe vernichtet. Er habe nicht den Eindruck, der Slowakei sei etwas geschenkt worden. Er sitzt in der Kammer der Opposition und sagt: „Als wir der Euro-Zone beigetreten sind, hat die den Eindruck eines Klubs erweckt, in dem die Regeln gelten. Einer ehrenwerten Gesellschaft.“

Inzwischen aber, klagt er, gelte morgen nicht mehr, was heute noch versprochen werde. Und vieles von dem, was er vor Monaten prognostiziert hat, ist inzwischen eingetreten: Er hat gleich gesagt, dass aus dem zeitweiligen Rettungspaket ein langfristiges Engagement werde, obwohl das offiziell ausgeschlossen wurde. Er hat angekündigt, dass nach Griechenland noch weitere Länder hinzukommen, die gerettet werden müssen. Er hat geahnt, dass die EU eines Tages nicht nur Staaten retten werde, sondern auch private Banken. Er schüttelt den Kopf. Hämisch ist er nicht. Europa rase auf eine Wand zu, sagt er, die noch 100 Meter entfernt sei – „und alle wissen, dass wir einen Bremsweg von 300 Metern haben.“

Was er denn wolle, wird er oft gefragt, und ob er denn eine Alternative habe. Richard Sulik doziert dann über einen geregelten Bankrott, über einen Euro-Ausstieg der Problemländer. Darüber, dass es zwar einen Haufen Geld kosten werde, aber eben nur einmal und nicht über Jahre hinweg immer wieder. Er ist damit kein Außenseiter mehr. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) erklärte am Sonntag in der ARD, für ihn habe ein Austritt Griechenlands „längst seien Schrecken verloren“ und laut „Spiegel“ halten die Euro-Länder das Risiko eines griechischen Abschieds von der Währung inzwischen für beherrschbar. Zunächst solle aber der Beginn des neuen Rettungsschirms ESM abgewartet werden. Den hat die neue sozialdemokratische Regierung der Slowakei bereits Ende Juni ratifiziert, denn ursprünglich sollte der am 1. Juli in Kraft treten. Dass das nicht geschieht, liegt an Deutschland, dessen Bundesverfassungsgericht erst am 12. September über Klagen zum ESM entscheiden wird.

Fragt sich Sulik eigentlich manchmal, ob es nicht besser wäre, wenn die Slowakei ihre Kronen wieder einführte und die dreieinhalb Jahre mit dem Euro abhakte? „Ich sage doch nicht, wir sollen aussteigen!“, ruft er da. Sie hätten doch nichts verbrochen. Sie nicht.

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