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Politik: Europa ist patriotisch

Von Wolfgang Schäuble

Das Bekenntnis zum Patriotismus ist derzeit in aller Munde. Einige Beiträge lassen Nachdenklichkeit und Verantwortungsbewusstsein erkennen, vieles aber scheint eher in der Absicht zum Besten gegeben, sich gegenseitig zu überbieten. Dies zeigt, wie leicht diese Diskussion verkrampft und gekünstelt wirken kann, und wie schwer es ist, das eigentliche Wesen des Patriotischen zu begreifen, es in unser Heute und Morgen, in unsere globalisierte Welt einzupassen. Das gleiche gilt für die Debatte um den richtigen Weg in der Integrationspolitik, wobei es sich doch um zwei Seiten einer Medaille handelt.

Sucht man Klarheit, hilft ein Blick nach Außen. In der Ukraine sind wir faszinierte Zeugen des Bemühens der Menschen, ihr Staatsoberhaupt in fairen und freien Wahlen zu bestimmen. Sie scheuen weder eisige Kälte noch Repressalien der mächtigen Sicherheitsapparate und beweisen damit, welch hohes und teures Gut freie Selbstbestimmung ist, wozu für die Mehrzahl der Ukrainer gehört, nicht von Moskau gesagt zu bekommen, wie Wahlen auszugehen haben. Dabei schärft der Kampf gegen Fremdbestimmung das WirGefühl. Die Ukrainer führen uns vor, wie eng die Sehnsucht nach Freiheit und die Bindung an das Gemeinsame zusammengehören. Patriotismus ist eben unbestreitbar mehr als das wichtige Bekenntnis zur eigenen Verfassung.

Die Reife der Reformpolitiker in Kiew lässt sich darin erkennen, dass sie ihre Verantwortung nicht vernachlässigen, das Land stabil zu halten. So bemühen sie sich auch um Kompromisse, weil sie wissen, dass die friedliche Zukunft ihres Landes einen tragfähigen Ausgleich verlangen wird mit der großen Zahl derjenigen, die sich dem Russischen zugehörig fühlen und sich verständlicherweise sorgen, dass ihnen die Ukraine nach Jahrzehnten von der Heimat zur Fremde werden könnte. Auch hier gehören Patriotismus und Integration zusammen.

Oft fühlt man sich an den ebenso humorvollen wie ernsten Satz Karl Valentins erinnert: „Der Fremde ist nur in der Fremde fremd.“ Dies gilt bei uns wie in der Ukraine. Patriotismus verlangt die Bereitschaft zur Integration derjenigen, die in einer Gesellschaft nicht absichtlich fremd bleiben wollen. Wir müssen so offen sein, dass Fremde unser Land als Heimat annehmen können. Sie aber müssen bereit sein, das anzunehmen, was unser Land und das Zusammenleben der Menschen bei uns ausmacht.

Die Menschen in Kiew zeigen keinen Zweifel daran, Europäer zu sein. So mühsam Europa oft sein mag, ist und bleibt es die einzig richtige Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft. Deshalb ist das Bemühen um eine gemeinsame europäische Außenpolitik die beste Form von Patriotismus in Deutschland. Die in letzter Zeit viel zu oft feststellbaren Tendenzen zur Renationalisierung unserer Außenpolitik sind gerade das Gegenteil davon.

Der Autor ist Mitglied des CDU-Präsidiums.

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