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Politik: „Europa kann sich auf uns verlassen“

Norwegens Regierungschef Stoltenberg über Energiepolitik, die EU und Väter in Elternzeit

Norwegen ist durch die Diskussion über die Energiesicherheit in Europa ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Wird Ihr Land seinen Beitrag zur europäischen Energieversorgung noch erhöhen?

Wir spielen schon jetzt eine wichtige Rolle in der Energieversorgung Europas. Ein Drittel der Gaslieferungen für Deutschland kommt aus Norwegen. Unser Land ist Teil des europäischen Marktes und hat alle EU-Direktiven für den Energiesektor umgesetzt. Unser Gas ist damit praktisch Europas eigenes Gas. Es gibt die Möglichkeit, die norwegischen Gasexporte nach Europa zu erhöhen. Aber das ist keine Entscheidung der Regierung, sondern der einzelnen Firmen.

Energiepolitik wird aber mehr und mehr zu einem Bestandteil der Außenpolitik.

Europa kann sich auf die norwegischen Gaslieferungen verlassen. Es ist besser für Europa, wenn es über verschiedene Energieversorger verfügt.

Sie haben gerade die Regierungsstrategie für den Hohen Norden, die Region nördlich des 66. Breitengrades, vorgestellt. Hat die neue Aufmerksamkeit Ihrer Regierung für diese Region nicht auch mit Energiepolitik zu tun?

Wir glauben, dass es riesige Energiereserven im hohen Norden gibt. Die Barentssee ist bisher kaum erkundet. Europa muss sich des großen Potenzials dieser Region erst noch bewusst werden. Wir würden gern mit Deutschland zusammenarbeiten und gemeinsam die Energieressourcen des hohen Nordens erschließen. Das ist im beiderseitigen Interesse. Zugleich muss dies auf umweltfreundliche Weise geschehen. Auch dabei können wir mit Deutschland zusammenarbeiten.

Russland hat ebenfalls ein großes Interesse an den Energiereserven im hohen Norden. Allerdings haben sich Norwegen und Russland bisher nicht einmal darauf verständigen können, wo die Seegrenzen zwischen ihren beiden Ländern verlaufen. Wie würden Sie die Beziehungen zu Russland beschreiben?

Wir haben gute nachbarschaftliche Beziehungen zu Russland. Aber natürlich gibt es ungelöste Probleme. Wir konnten keine Einigung über die Grenzen finden, obwohl wir darüber schon seit den 70er Jahren verhandeln. Und ich kann nicht sagen, wann – oder ob – wir uns einigen werden. Das ist ein wirkliches Problem für die Entwicklung der Region.

Wann wird Norwegen der EU beitreten?

Norwegen ist das einzige Land, das einen Beitrittsvertrag ausgehandelt hat und dann zweimal in Referenden dagegen gestimmt hat. Wir müssen akzeptieren, dass das Thema jetzt nicht auf der Tagesordnung steht. Viele unterschätzen aber, in welchem Ausmaß Norwegen schon zur EU gehört. Wir sind Teil des Europäischen Wirtschaftsraums und sind sogar zweitbester in der Klasse, wenn es um die Umsetzung von EU-Richtlinien geht. Wir haben Soldaten in der EU-Eingreiftruppe, beteiligen uns am Schengen-Abkommen und unterstützen die Erweiterung finanziell. In fast allen Bereichen ist Norwegen praktisch schon Mitglied der EU – nur mitentscheiden dürfen wir nicht.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir können nicht einfach zum dritten Mal die Mitgliedschaft beantragen, sobald in den Umfragen 51 Prozent der Bürger dafür sind. Wir brauchen eine breite Unterstützung. Über einen Zeitpunkt will ich lieber nicht spekulieren.

Was kann die EU von Norwegen lernen?

Die nordischen Staaten werden zu den wettbewerbsfähigsten Ländern der Welt gezählt. Zugleich gehören wir aber zu den Ländern mit der größten Verteilungsgerechtigkeit. Die gleiche Verteilung von Wohlstand, die Chancengleichheit und ein starker Sozialstaat steigern tatsächlich die Wettbewerbsfähigkeit. Außerdem haben wir eine sehr hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen, aber gleichzeitig eine höhere Geburtenrate als in den meisten anderen Ländern Europas. Auch das ist Teil des nordischen Modells.

Dennoch gibt es auch in Norwegen nur wenige Frauen in Spitzenpositionen der Wirtschaft. Sogar in einem Land mit einer langen Tradition von Frauen im Erwerbsleben und mit einer ehrgeizigen Familienpolitik war es bisher nicht möglich, das zu ändern. Woran liegt das?

Das zeigt, dass es viele unsichtbare Mechanismen gibt, die es Frauen erschweren, Spitzenpositionen zu erreichen. Die norwegische Wirtschaft verpasst dadurch die großen Möglichkeiten, die die Hälfte der Gesellschaft bietet. Das wird sich hoffentlich im Laufe der Zeit ändern. Wir haben aber bereits konkrete Schritte beschlossen: Ab 2008 müssen alle börsennotierten norwegischen Firmen mindestens 40 Prozent Frauen in ihrem Aufsichtsrat haben. Wenn sie das nicht freiwillig umsetzen, werden wir sie dazu zwingen.

Norwegen bemüht sich seit langem darum, dass sich auch die Väter an der Kinderbetreuung beteiligen. „Vätermonate“ für das Elterngeld, wie sie Deutschland im Januar einführt, gibt es bei Ihnen in ähnlicher Form schon seit 1993. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Die Erfahrungen waren sehr gut. Die Zahl der Väter, die sich um ihre kleinen Kinder kümmern, ist enorm gestiegen. Jetzt muss der Vater von dem einen Jahr Elternzeit mindestens sechs Wochen nehmen. Meist bleibt er sogar länger zu Hause. Dabei geht es nicht nur um diese Zeit. Wenn ein Vater mit seinem Kind zwei oder drei Monate allein zu Hause ist, schafft das ein völlig neues Verständnis, das für das ganze Leben des Kindes von Bedeutung ist. Bevor die Elternzeit bei uns eingeführt wurde, war dieses Modell sehr umstritten. Heute ist das Ganze ein großer Erfolg.

Haben Sie auch Elternzeit genommen?

Ja, als mein Sohn sechs Monate alt war, blieb ich fast ein halbes Jahr zu Hause. Damals – das war 1989 – gab es noch keine verpflichtende Regelung für Väter, ich habe das freiwillig gemacht. Das war eine großartige Erfahrung. Ich habe viel gelernt und gemerkt, wie schwer es ist, sich um ein Kind zu kümmern.

Das Interview mit Stoltenberg führte Claudia von Salzen.

Jens Stoltenberg (47) ist seit Oktober 2005 norwegischer Ministerpräsident. Der Chef der sozialdemokratischen Arbeiterpartei führte die Regierung bereits in den Jahren 2000 und 2001.

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