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Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin. Sie war unter anderem Chefredakteurin von "impulse".

© Mike Wolff

Europa nach dem Brexit: A la carte ist die Lösung

Das Essen muss dem Gast schmecken. Und nicht dem Koch. Das gilt auch für die EU. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ursula Weidenfeld

"Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.“ Dieser Satz des Sozialdemokraten Kurt Schumacher hat in europäischen Angelegenheiten bisher keine große Bedeutung gehabt. Politik begann zwischen Brüssel, Straßburg, Berlin und Paris mit dem Streben nach Höherem. In der Wirklichkeit aber gibt es dafür leider keinen guten Willen, keine Zustimmung und keine Mehrheiten mehr.

Die europäische Denkfabrik Bruegel in Brüssel hat in der vergangenen Woche ebenfalls Antworten für diese Wirklichkeit gesucht. Die Experten und hochrangigen Regierungsberater haben ein Europa der konzentrischen Kreise vorgeschlagen. Um ein Kerneuropa herum soll beispielsweise England in eine kontinentale Partnerschaft eingeladen werden. England müsste mit der EU über die Intensität dieser Partnerschaft verhandeln, und es müsste natürlich einen Preis für den Zugang zu europäischen Handelsverträgen, dem europäischem Binnenmarkt oder europäischen Finanzmarktregeln bezahlen.

Für glühende Europäer ist dieser Vorschlag kaum akzeptabel

Das Modell steht in wohltuender Nüchternheit neben den Gipfelreden von Bratislava. Es würde den Briten die Wege nach Europa offenhalten. Andere Länder könnten in ähnlichen Partnerschaften näher oder weiter an die Kerneuropäer gebunden werden. Ungarn, Polen und Tschechien könnten verhandeln, wie intensiv sie dabeibleiben wollen. Vielleicht könnte irgendwann auch die Türkei einen Weg nach Europa finden, ohne Mitglied der EU zu werden.

Für glühende Europäer ist dieser Vorschlag natürlich kaum akzeptabel. Europa à la carte werde es nicht geben, hat der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, in dieser Woche in Richtung England geschleudert. Doch was ist daran so schlecht? Europa – das ist heute eine Kantine mit Einheitsessen. Warum sollte es sich nicht zu einem richtigen Restaurant entwickeln? A la carte speist hier derjenige mit dem Bedürfnis nach Individualität. Den höheren Preis für die Extra-Speisefolge bezahlt er gern. Das Kantinenmenü ist natürlich billiger; trotzdem gilt auch hier: Das Essen muss dem Gast schmecken. Und nicht dem Koch.

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