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Politik: Europa soll’s richten

Polens Staatschefs Kwasniewski und Bundespräsident Rau wollen den Streit um das Vertreibungszentrum schlichten

Von Christian Böhme, Berlin

und Thomas Roser, Warschau

Seit vielen Monaten wird über das Zentrum gegen Vertreibungen debattiert – und heftig gestritten. Gerade in den vergangenen Wochen haben die gegenseitigen Beschimpfungen, ja Verunglimpfungen zugenommen. Vor allem die deutsch-polnischen Beziehungen haben darunter gelitten. Es herrscht großes Misstrauen, auf beiden Seiten. Der ohnehin schwierige Prozess der Versöhnung scheint vielen Beobachtern zumindest beeinträchtigt. Insofern kommt es nicht von ungefähr, dass jetzt die Präsidenten beider Länder, Aleksander Kwasniewski und Johannes Rau, in einer gemeinsamen Erklärung versuchen, die Wogen zu glätten. Von Danzig aus, wo die Staatschefs an den Journalisten und Verleger Erich Brost erinnerten.

Schuldzuweisungen, Entschädigungsansprüche, das Aufrechnen von Verbrechen und Verlusten – all das dürfe die Diskussion über die Vertreibungen und damit das deutsch-polnische Verhältnis nicht weiter belasten. „Einen besonderen Platz in der Erinnerung des polnischen und des deutschen Volkes nehmen Gräueltaten ein, die an Millionen von Menschen infolge des vom menschenverachtenden nationalsozialistischen Unrechtsregimes entfesselten Krieges verübt worden sind“, heißt es gleich zu Beginn der Erklärung. Dieses „Martyrium“ habe viele Gesellschaften verändert. Und dem müsse man Rechnung tragen. Dazu gehöre auch, dass jede Nation selbstverständlich das Recht habe, um die Opfer zu trauern. Aber es gebe eben die gemeinsame Verpflichtung, darüber zu wachen, dass „Erinnerung und Trauer nicht missbraucht werden“.

Kwasniewski und Rau setzen deshalb auf Europa. Ihre Forderung lautet: „Die Europäer sollten alle Fälle von Umsiedlung, Flucht und Vertreibung, die sich im 20. Jahrhundert in Europa ereignet haben, gemeinsam neu bewerten und dokumentieren.“ Und dieser Dialog müsse im Geist der Versöhnung und der Freundschaft stattfinden. Dazu passt, dass die beiden Staatschefs auf eine Stellungnahme zu einem möglichen Standort des Zentrums gegen Vertreibungen gänzlich verzichten. Berlin, Breslau, Sarajewo oder Straßburg? Eine Antwort auf diese heikle Frage hätte wohl wieder neuen Streit ausgelöst.

Kein Wunder, dass Erika Steinbach, die Mitinitiatorin des geplanten Zentrums und Chefin des Bundes der Vertriebenen, mit der deutsch-polnischen Erklärung gut leben kann. „Wenn Europa sich mit dem Thema Vertreibung auseinander setzt, kann ich das nur begrüßen“, sagt sie im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Diese Form der Diskussion könne schon dazu beitragen, Wogen zu glätten.

Das sagt die CDU-Politikerin vor allem mit Blick auf Polen. Nicht nur der Argwohn gegen die Lobbyisten des Bundes der Vertriebenen verstärkt östlich der Oder das Misstrauen. Dass auch manche deutschen Linken das Projekt befürworten, lässt viele Polen befürchten, dass sich die Nachbarn aus der historischen Verantwortung für die Vertreibungen in eine neue Opferrolle flüchten wollen. Die Heftigkeit der Debatte um ein Vertreibungszentrum in Berlin lässt Politiker, die sich bisher für einen Dialog mit Deutschland stark gemacht hatten, um die Früchte der jahrelangen Versöhnungsarbeit bangen. Inzwischen wird der Streit sogar personalisiert: Erika Steinbach ist zu einer Art Unperson geworden. Ihre nordpolnische Geburtsstadt Rumia plant zum Beispiel, die Vertriebenen-Chefin zur „unerwünschten Person“ zu erklären, da sie sich zu Unrecht als „Vertriebene“ bezeichne und den Ruf der Stadt schädige. Die Schärfe der Angriffe auf ihre Person überrasche sie, sagt Steinbach. „Offenbar fällt es einigen schwer, das Konzept für das Zentrum inhaltlich in Frage zu stellen. Also versucht man, mich bloßzustellen.“

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