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Europa: Terror im Land der Ungläubigen

In Deutschland konnten Anschläge von militanten Islamisten bislang unterbunden werden. Doch Sicherheitsexperten halten Europa inzwischen für gefährdeter als die USA und rechnen auch weltweit 2008 mit größeren Anschlägen.

Von Frank Jansen

Sie sehen sich ähnlich, mit ihren wilden, langen Haaren und dem jugendlichen Rebellenblick. Jussef Mohamad al Hajdib und Daniel S. waren im vergangenen Jahr die markantesten Gesichter der hiesigen Generation Terror. Der 23-jährige Libanese und der ein Jahr jüngere Deutsche könnten Figuren aus einem Abenteuerroman sein. Doch was sie vorhatten, ist fern jeder Romantik. Hajdib muss sich seit dem 18. Dezember vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf für den im Juli 2006 nur knapp gescheiterten Anschlag auf zwei Regionalzüge verantworten. Gemeinsam mit dem bereits im Libanon verurteilten Landsmann Dschihad Hamad hatte Hajdib Kofferbomben konstruiert, die bei einer Detonation Feuerbälle ausgelöst hätten. Daniel S. , vor seiner Bekehrung zum Islam Katholik, baute in einem Ferienhaus im Sauerland mit mehreren Gleichgesinnten Autobomben. Mutmaßliches Angriffsziel waren amerikanische Einrichtungen in Deutschland.

Das von den militanten Islamisten erhoffte Fanal blieb allerdings im vergangenen Jahr in der Bundesrepublik aus. Daniel S. und seine Komplizen wurden Anfang September verhaftet, die Sicherheitsbehörden hatten das Treiben der Gruppe schon lange beobachtet. Doch die Kofferbomben 2006 und die geplanten Autobomben 2007 zeugen vom ungebrochenen Furor, mit dem die islamistische Terrorszene die Bundesrepublik angreift. Dass auch 2008 und danach Anschläge in Deutschland vorbereitet werden, steht für Polizei und Nachrichtendienste fest. Und sie wissen: Die Terroristen haben Zeit. Einmal, so befürchten Sicherheitsexperten unisono, wird ein Angriff auch hier gelingen.

Al Qaida gibt nicht auf, die mehr oder weniger auf eigene Faust werkelnden Homegrown-Terroristen oder zugereiste Instant-Dschihadisten vom Typus der Kofferbomber lassen sich ebenfalls von Misserfolgen kaum beeindrucken. Auch die Rückschläge, die Al Qaida derzeit im Irak hinnehmen muss, sind kein Anlass zur Entwarnung. Das globale Terrorunternehmen diversifiziert sich weiter, nutzt das Internet als virtuellen Kriegsschauplatz und gleicht Schwächen in einer Weltregion durch Stärken in anderen aus. Mit Sorge blicken Sicherheitsexperten vor allem nach Pakistan und Afghanistan sowie nach Nordafrika.

Das Erstarken der Al-Qaida-Zentrale im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan sei „die wichtigste Entwicklung der Jahre 2006 und 2007“, schreibt Guido Steinberg, einst Terrorismusexperte im Bundeskanzleramt und heute bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), in der November-Ausgabe von „SWP-Aktuell“. Halte dieser Trend an, „muss mit neuen, großen Anschlägen weltweit gerechnet werden“.

Es kommt hinzu, dass auch militante Netzwerke und Organisationen, die Al Qaida nahestehen, von Pakistan aus agieren können – und deutsche Ziele ins Visier nehmen. Die Taliban sind eine permanente Bedrohung für die Soldaten der Bundeswehr, die in Afghanistan stationiert sind. Im Sommer drohten die Taliban zudem mit der Entsendung von Selbstmordattentätern in die Bundesrepublik und andere Staaten des Westens. Außerdem hat sich in Pakistan die „Islamische-Dschihad-Union“ eingenistet, die mit Al Qaida kooperiert, aber auch rivalisiert. In Lagern der Dschihad-Union wurden Daniel S. und Komplizen trainiert. Für den Heiligen Krieg in Deutschland.

In Nordafrika hat sich die Terrorszene im vergangenen Jahr weiter vernetzt – unter dem Rubrum „Al Qaida im islamischen Maghreb“. Die algerische Gruppierung GSPC hatte schon 2006 nach schweren Niederlagen im Kampf gegen die Sicherheitskräfte den Schulterschluss mit Osama bin Laden und seinem Vize Aiman al Sawahiri gesucht – in der Hoffnung, der Beitritt zur Terrorholding Al Qaida bringe neue Stärke. Es hat funktioniert. Die GSPC führt seit Anfang 2007 „Al Qaida im islamischen Maghreb“, inzwischen sind militante Gruppierungen aus Marokko, Mauretanien, Tunesien, Libyen und Mali eingebunden. Zahl und Wucht der Anschläge in der Region nahmen zu, im September wollte ein Selbstmordattentäter den algerischen Staatschef Abdelaziz Bouteflika töten.

Parallel werden die Verbindungslinien zwischen der Al-Qaida-Zentrale in Pakistan und den weitgehend autonomen Filialen in Nordafrika, Irak, Saudi-Arabien und Jemen enger. Die Zahl der nordafrikanischen Dschihadisten, die zum Kämpfen und Sterben in den Irak ziehen, steigt seit etwa zwei Jahren. Wer überlebt, so befürchten Sicherheitsexperten, kehrt irgendwann zum Kampf in die Heimat zurück oder wird für einen Anschlag in ein Land der „Ungläubigen“ geschickt. Europa sei inzwischen noch stärker gefährdet als die USA, die nach dem Schock des 11. September 2001 eine nur noch schwer zu durchdringende Terrorabwehr aufgebaut haben.

Das Gefahrenszenario in Europa ist kaum noch überschaubar: Rückkehrer aus dem Irak, über das Internet radikalisierte Homegrown-Terroristen, fanatische Konvertiten, eingeschleuste Attentäter – 2008 dürfte ein heikles Jahr werden.

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