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Europaabgeordneter Werner Schulz zum Fall Timoschenko: „Das ist ein Rachefeldzug“

Der Fall Timoschenko erregt großes Aufsehen – gerade weil Europa wegen der bevorstehenden Fußball-EM auf das Land schaut. Der EU-Parlamentarier Werner Schulz

Von Matthias Schlegel

Ist die Ukraine ein demokratischer Staat?
Das ist sie leider nicht mehr. Sie ist in demokratischer Hinsicht auf dem Rückmarsch. Nach der orangenen Revolution sah es gut aus, obwohl sich die führenden Kräfte gegenseitig zerlegt haben. Nun hat sich Präsident Janukowitsch vorgenommen, die Opposition und die ehemalige Regierung praktisch zu liquidieren. Das ist ein Rachefeldzug sondersgleichen.

Belastet der Fall Timoschenko die EM?
Ihr Fall ist nur die Spitze des Eisbergs. Mehr als 15 Mitglieder der ehemaligen Regierung oder der Regierungspartei wurden mittlerweile verurteilt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Es ist unglaublich, was da läuft, und natürlich belastet das die Fußball-EM enorm. Sie wurde zu einem Zeitpunkt vergeben, als man der Überzeugung war, die Ukraine entwickle sich in Richtung EU. Deshalb hat man diese Sport-Brücke gebaut. Und nun wird diese Brücke von Janukowitsch regelrecht abgebrochen.

Sie sprechen also von politischer Justiz?
Das sind Schauprozesse wie es sie zur Stalinzeit gegeben hat, auch wenn sie nicht mit dem Todesurteil enden. Der angewandte Paragraph des Amtsmissbrauchs stammt von Mitte der 50er Jahre und ist vom stalinistischen Geist geprägt.

Wie sollte Deutschland reagieren?
Deutschland hat bisher sehr klar reagiert. Von der Ukraine wurde unmissverständlich die Freilassung Timoschenkos und der anderen gefordert. Es gibt Informationen, wonach Janukowitsch Bundeskanzlerin Merkel angeboten habe, wenn Timoschenko 300 Millionen Lösegeld bezahle, sei sie frei. Der EU-Kommission hat man angeboten, wenn eine Beitrittsoption in das Assoziierungsabkommen eingefügt werde, lasse man sie ebenfalls frei. Das ist Menschenhandel auf hohem Niveau. Auf all das sind Deutschland und die EU nicht eingegangen.

Sollte man die Fußball-EM boykottieren?
Nein, ich halte von Boykott nichts. Man muss vielmehr bei dieser EM in aller Deutlichkeit sagen, in welchem Zustand sich dieses Land befindet.

Können deutsche Offizielle auf der Tribüne stehen, kann eine deutsche Mannschaft in einem Stadion spielen, das nah bei Timoschenkos Haftort liegt?
Das ist eine schwere Zumutung. Das müssen sich die Einzelnen selbst überlegen. Die Sportler sollten in Interviews auf die politischen Zustände im Land hinweisen. Sport findet nicht im luftleeren Raum statt.

Werner Schulz (62) ist Mitglied von Bündnis 90/Grüne und seit 2009 Abgeordneter im Europaparlament. Mit ihm sprach Matthias Schlegel.

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