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Die EU-Armee ist Zukunftsmusik - Deutschland und Europa bleiben angewiesen auf die Nato.

© AFP

Europäische Armee: Fantasien für übermorgen

EU-Armee und europäische Kampfdrohnen. Die Ukrainekrise und der Kampf gegen den IS lassen Europa militärisch zusammenrücken. Alles richtig, alles gut. Langfristig. Aber: Hier und jetzt kann es nur darum gehen, die Nato zu stärken. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Michael Schmidt

Fast möchte man Danke sagen. Danke Putin! Danke al Baghdadi! Denn ist es nicht die Bedrohung, die vom annexionshungrigen russischen Präsidenten ausgeht, die Europa das Fürchten lehrt? Und sind es nicht die Videos und Bilder enthaupteter „Ungläubiger“, die der Kalif und seine Henker ins Netz stellen, die Europa in dieser Furcht zusammenrücken lassen? Der Krieg als Vater europäischer Einigung – das hat es doch schon einmal gegeben.

Aus Angst vor der Gewalt sind es also ausgerechnet das Militär, die Rüstungsindustrie, die Vorbereitung auf den Krieg, die diesen von wirtschaftlichen und sozialen Fliehkräften zerrissenen Kontinent zusammenhalten sollen. So hat der Kommissionspräsident die alte Idee einer EU-Armee aufs Neue ins Gespräch gebracht. Der Impuls wirkt folgerichtig. Die Union der 28 würde militärisch einen Riesensprung machen. In ihren Staaten stehen zusammengenommen immerhin 1,5 Millionen Soldaten unter Waffen, weit mehr als in den USA. Ob aber eine uniformierte Einheitlichkeit dazu taugte, die chronische Uneinigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik vergessen zu machen? Man darf seine Zweifel haben, dass just die Idee gemeinsamer Streitkräfte die Beschwörung gemeinsamer Werte mit neuem Leben erfüllte. Andererseits – unmöglich wäre es sicher nicht: Wo Gefahr ist, wächst bekanntlich das Rettende; wo Bedrohung ist, vielleicht auch das Gemeinschaftliche.

Es passt ins Bild, dass Deutschland, Frankreich und Italien in diesen Tagen ankündigen, gemeinsam eine Kampfdrohne entwickeln zu wollen. Wahrscheinlich hat Merkel sogar recht (was vor Zeiten in der pazifistisch grundgestimmten Bundesrepublik kaum vorstellbar war), wenn sie feststellt, es gebe „eine Akzeptanz dafür, dass wir solche Beobachtungsdrohnen entwickeln, die dann gegebenenfalls nach parlamentarischem Beschluss auch mit Bewaffnung ausgestattet werden können“. Die gefühlte Bedrohung im Zeichen der Ukrainekrise und des Kampfes gegen die Terrormiliz der Dschihadisten im Irak lässt das durchaus plausibel erscheinen. Und wer wollte etwas gegen eine vertiefte Integration in Europa sagen: In Zeiten knapper Kassen ist es ja geradezu zwingend geboten, dass nicht jeder Staat alles selbst produziert. Mehr Zusammenarbeit und Lastenteilung – das kann Europa nur stärker machen. Aber macht es Europa auch sicherer?

Jein. Pooling und Sharing gelten als smart, weil günstig und ressourcenschonend. Sind sie auch. Und perspektivisch gehört ihnen die Zukunft. Aber erstens: Die EU-Armee ist nicht die richtige Antwort auf Putins Großmachtgehabe. Dessen aggressiver Expansionspolitik ist nicht, zumindest nicht allein militärisch zu begegnen. Und der Weg hin zu einer EU-Armee wäre allemal zu lang, voller Hindernisse und Stolpersteine. Von der nötigen Einstimmigkeit bei militärischen Entscheidungen über die Kontrolle der Bundeswehr durch den Bundestag bis hin zu der Frage, wem die britischen und französischen Atomwaffen unterstehen sollen. Nein, die EU-Armee wäre, wenn überhaupt, ein Zukunftsprojekt. Nichts, was hier und heute helfen könnte.

Und zweitens: Der Wunsch nach mehr Unabhängigkeit von den USA – befeuert durch das Euro-Hawk-Debakel – ist nicht das richtige Motiv für europäische Sonderwege. Im Gegenteil. Deutschland und Europa bleiben auf die USA, bleiben auf die Nato angewiesen. Die Antwort auf Moskaus Politik und den „Heiligen Krieg“ des IS gegen den Westen darf nicht die Schwächung der transatlantischen Beziehungen sein. Sie muss vielmehr in einer Stärkung der Nato und dessen europäischem Pfeiler liegen. Wenn Geld ausgegeben wird, dann dafür. Denn diese Strukturen sind bereits vorhanden. Diese Befehlswege sind klar. Diese Allianz verfügt über Atomwaffen: Sie ist das mächtigste Verteidigungsbündnis der Geschichte. Um dessen Abschreckungsfähigkeit muss es gehen – nicht um eine weitere, gänzlich neu zu schaffende EU-Fantasiearmee.

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