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Zufrieden mit dem Gipfelergebnis: Kanzlerin Angela Merkel

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Europäische Schuldenkrise: Fiskalpakt lässt Merkel ein bisschen aufatmen

Nie mehr Schuldenberge, stattdessen knallhartes Sparen: 25 EU-Staaten haben am Freitag einen historischen Fiskalpakt beschlossen. Kanzlerin Merkel spricht von einem "Meilenstein", sieht Europa aber weiter "in einer fragilen Situation".

Nach dem Ende des zweitägigen Frühjahrsgipfel ist Angela Merkel erschöpft, aber zufrieden. "Wir haben Fortschritte erzielt", konstatiert die Bundeskanzlerin in Brüssel - um direkt im nächsten Atemzug einzuschränken, dass es für eine endgültige Entwarnung noch zu früh sei. "Wir sind nach wie vor in einer fragilen Situation."

Zuvor hatten sich die EU-Staaten als Lehre aus der Schuldenkrise striktere Sparvorgaben auferlegt. Auf dem Gipfel unterzeichneten 25 der 27 EU-Länder am Freitag den von Deutschland und Frankreich durchgesetzten Fiskalpakt. Nur die Nicht-Euro-Länder Großbritannien und Tschechien verweigerten sich dem schärferen Spardiktat. Insbesondere Deutschland hatte auf strengere Regeln gepocht, um zu verhindern, dass einzelne Staaten jemals wieder gigantische Schuldenberge anhäufen - und sich ein Fall wie die "griechische Tragödie" wiederholt. Merkel begrüßte das Abkommen denn auch als "Meilenstein in der Geschichte der Europäischen Union".

Der Fiskalpakt sieht unter anderem eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild vor, die vom Europäischen Gerichtshof kontrolliert wird. Laut Vertragstext streben die Unterzeichner nahezu ausgeglichene Haushalte an. Verschuldet sich ein Staat zu sehr, wird automatisch ein Defizitverfahren ausgelöst. Zudem sollen nur Euro-Länder, die den Pakt unterschrieben haben, künftig Hilfen aus dem ständigen Krisenfonds ESM erhalten können.

Damit ist in einer Rekordzeit von wenigen Monaten ein aus Sicht der Bundesregierung zentrales Projekt für die weitere Entwicklung der EU umgesetzt worden. Gleichzeitig ist der Fiskalpakt ein politischer Zwitter: Er dient sowohl der Disziplinierung der Euro-Staaten als auch zur Beruhigung der innenpolitischen Diskussion etwa in Deutschland, um Abgeordneten weitere Hilfspakete schmackhaft zu machen. Allerdings weist er auch eine Reihe von Schwachstellen auf - und gilt manchem angesichts der notwendigen Kompromisse bereits jetzt wieder reformbedürftig.

Der Vertrag soll notorische Haushaltssünder in der Euro-Zone per Gerichtsurteil und einer neuen Geldstrafe zu härterem Sparen zwingen. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist er damit "ein erster Schritt auf dem Weg zur Stabilitätsunion, ein Schritt zur Politischen Union". Tatsächlich bringt das Abkommen mehr Verbindlichkeit für die Einhaltung der Regeln, die im Grunde schon seit 20 Jahren in der Währungsunion gelten. Allerdings hat Merkel nicht alle Ziele erreichen können.

Zum einen ist die Rolle des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) wesentlich begrenzter als Merkel dies wollte. Weil sich vor allem Frankreich weigerte, Verstöße gegen den Stabilitätspakt durch den EuGH sanktionieren zu lassen, wird nun bloß noch gerichtlich überprüft, ob die Unterzeichnerstaaten ihre nationalen Schuldenbremsen auch umsetzen.

Mit dem Spardiktat konnte Merkel ein deutsches Anliegen durchsetzen.
Mit dem Spardiktat konnte Merkel ein deutsches Anliegen durchsetzen.

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Zum anderen haben sich die 25 Länder ein Hintertürchen offen gelassen, um Sanktionen bei einem Verstoß gegen den Pakt doch noch abwenden zu können. Zwar soll künftig eine Trias aus der vorangegangenen, derzeitigen und kommenden EU-Ratspräsidentschaft beim EuGH gegen Verletzungen klagen können - ein von Berlin geforderter "Quasi-Automatismus" aus deutscher Feder, der klagende Regierungen vor politischem Druck bewahren soll. Dennoch bleibt die Sorge vor einem "System wechselseitiger Rücksichtnahmen" der EU-Regierungen, vor dem Bundestagspräsident Norbert Lammert noch im Januar gewarnt hat.

Ein weiterer Schönheitsfehler: Die in Rede stehende Strafe von 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird erst fällig, wenn der EuGH einem Staat per Urteil bescheinigt, die Schuldenbremse nicht vereinbarungsgemäß umgesetzt zu haben - und wenn der Staat dies anschließend nicht korrigiert. Eine Geldstrafe droht also erst nach potenziell jahrelangem Rechtsstreit und somit in sehr großem zeitlichen Abstand zum Verstoß.

Und schließlich liegt das vierte Manko darin, dass Großbritannien und Tschechien erfolgreich den Versuch sabotiert haben, den Fiskalpakt auch in die EU-Verträge zu integrieren und damit rechtliche Klarheit zu schaffen - weshalb die Vereinbarung lediglich als zwischenstaatlicher Vertrag geschlossen wurde. Somit werden im ohnehin schon komplizierten europäischen Rechtssystem neue institutionelle Fragen aufgeworfen.

Der Vertrag soll möglichst zum 1. Januar 2013 in Kraft treten. Dazu müssen ihn mindestens zwölf Euro-Länder ratifiziert haben. Irland will zudem das eigene Volk darüber abstimmen lassen, mit ungewissem Ergebnis. Nach fünf Jahren will die EU versuchen, den Kern des bisher zwischenstaatlichen Vertrags in allgemeines EU-Recht zu überführen. Dazu müssten dann aber auch die bisherigen Verweigerer Großbritannien und Tschechien mit im Boot sein.

(rtr/AFP/dpa)

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