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Europäische Union: Mehr Rechtsschutz in Europa

Der Lissabon-Vertrag ist vorläufig gestoppt – doch mit einem neuen Eilverfahren können EU-Bürger schneller an ihr Recht kommen.

Während der EU-Reformvertrag nach dem Nein der Iren europaweit in der Kritik steht, hat sich der Rechtsschutz für Unionsbürger in einem sensiblen Bereich deutlich verbessert. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat jetzt erstmals in einem sogenannten Eilvorlageverfahren entschieden, ein von der Mutter in deren Heimatland entführtes Kind müsse an den Vater zurückgegeben werden. Dass die Mutter zugleich vor den Gerichten ihres Heimatlandes um das Sorgerecht kämpft, dürfe dem nicht entgegenstehen, hieß es in dem Urteil vom vergangenen Freitag.

Der Deutsche Michael R. hatte seine litauische Frau Inga 2003 geheiratet. Beide lebten in Deutschland. Kurz nach Geburt der Tochter Luisa trennte sich das Paar, Luisa ging mit der Mutter. Daraufhin wurde die Scheidung eingereicht. Mit Einverständnis des Noch-Ehemannes reisten Mutter und Tochter im Juli 2006 in die litauische Heimat – vorgeblich für zwei Wochen, tatsächlich sind sie dort geblieben. Wenige Wochen später übertrug das Amtsgericht Oranienburg das Sorgerecht auf Michael R., wo es auch nach der Scheidung im Sommer 2007 verblieb. Das Amtsgericht verurteilte Frau R., Luisa zurückzubringen und stellte dafür nach der EU-Sorgerechtsverordnung einen Vollstreckungsbescheid aus, der in allen EU-Ländern automatisch anerkannt werden muss.

Allerdings: Auch die Mutter ist in Litauen vor Gericht gezogen und hat sich, teilweise mit Erfolg, durch die Instanzen geklagt. Nun musste der Oberste Gerichtshof des Landes urteilen – und überwies die Sache nach Luxemburg. Während solche Rechtsanfragen bislang erst nach rund zwei Jahren oder später beantwortet waren, behandelte der EuGH sie jetzt zum ersten Mal als „Eilvorlage“, wie es seit 1. März möglich ist. Ziel ist, dringlicheVerfahren, in denen es um Freiheitsentzug oder Sorgerecht geht, deutlich zu verkürzen. Zulässig ist es immer, wenn es um polizeiliche oder justizielle Zusammenarbeit in der EU sowie um Fragen von Visa, Asyl oder Einwanderung geht.

Das Verfahren geht auf eine Initiative des Europäischen Rates von 2004 zurück. Im Alltag bedeutsam ist die Eilvorlage in Fällen wie in denen der Ex-Eheleute R. So urteilten die Europarichter, Michael R. sei es nicht zuzumuten zu warten, bis Luisas Mutter in Litauen den Rechtsweg erschöpft habe. Sonst bestünde „die Gefahr, dass der Verordnung die praktische Wirksamkeit genommen würde“.

Eine weitere Verbesserung des Rechtsschutzes in der EU ist im Vertrag von Lissabon vorgesehen, dessen Ratifizierung in Deutschland bis zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt ist. Dabei geht es nicht nur um die Grundrechtecharta, sondern auch um den geplanten Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Über sie wacht nicht der EuGH in Luxemburg; zuständig ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, der vor kurzem hierzulande wieder ins öffentliche Bewusstsein gelangte, als er eine Beschwerde des Frankfurter Kindesmörders Magnus Gäfgen abwies.

Mit dem Lissabon-Vertrag bekäme die EU erstmals ausdrücklich eine eigene Rechtspersönlichkeit. Damit wäre sie befähigt, verbindlich völkerrechtliche Verträge abzuschließen – und könnte vor dem EGMR wegen Menschenrechtsverletzungen verklagt werden. Hans-Jürgen Papier, der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, ist sich sicher, dass „dies für eine noch weitergehende Harmonisierung der Grundrechtsgarantien sorgen würde“. Zugleich würde der EGMR den EuGH kontrollieren, falls dieser die Menschenrechtsgarantien der Konvention nicht hinreichend berücksichtigt.

Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit, ob der Lissabon-Vertrag gegen demokratische Prinzipien verstößt. Zuständig ist allerdings nicht der Erste Senat von Gerichtspräsident Papier, sondern der Zweite unter Vorsitz des neuen Richters Andreas Voßkuhle.

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