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Europäische Union: Reform-Krise überschattet Sarkozys EU-Vorsitz

Wieder Aufgregung um den EU-Vertrag: Nach dem Nein der Iren hat nun auch der polnische Präsident Kaczynski erklärt, den Refom-Vertrag von Lissabon vorerst nicht in Kraft setzen zu wollen. Auch wenn er dies später relativierte - die französische EU-Ratspräsidentschaft beginnt mit Hindernissen.

Erneuter Rückschlag für den EU-Reformvertrag: "In diesem Moment ist die Frage des Vertrages gegenstandslos", diese Worte hatte Polens Präsident Lech Kaczynski in der Dienstags-Ausgabe der Zeitung "Dziennik" gesagt. Diese Äußerungen relativierte er nach Angaben der Nachrichtenagentur PAP jedoch noch am selben Abend während eines Besuches in Georgien. Wenn Irland den Vertrag ratifiziere, werde es in Polen "nicht das geringste Hindernis" geben, so Kaczynski. Die französische Ratspräsidentschaft reagierte dennoch bereits mit der Warnung, sollte Warschau nicht ratifizieren, mache dies EU-Erweiterungen unmöglich, die auch von Polen gewünscht werden.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will trotz der neuen Widerstände aus Polen weiter für den EU-Reformvertrag kämpfen. Merkel sagte der "Bild"-Zeitung: "Der Vertrag von Lissabon macht die EU demokratischer und stärkt die Möglichkeiten aller Mitgliedsstaaten. Deshalb werde ich alles daran setzen, zusammen mit der französischen Präsidentschaft den Ratifizierungsprozess voranzubringen." Kaczynski betonte gegenüber "Dziennik", es sei schwer zu sagen, wie es mit dem Vertrag von Lissabon weitergehen werde - eine endgültige Absage erteilte er dem Dokument allerdings nicht. In Georgien sagte er später, wenn Irland im Einklang mit seinem Recht und nicht unter Zwang Voraussetzungen für die Ratifizierung schaffe, werde er diesen Vertrag ebenfalls unterschreiben. Polens liberaler Regierungschef Donald Tusk hatte sich zuvor besorgt über das Verhalten des konservativ-nationalen Staatsoberhauptes gezeigt. Er äußerte die Hoffnung, dass Kaczynski seine Entscheidung "überdenken" werde. Das polnische Parlament hatte den EU-Vertrag Anfang April gebilligt.

Sarkozy ruft Kaczynski zur Unterzeichnung auf

Der neue Ratspräsident Nicolas Sarkozy nannte die Lösung dieser Krise am Dienstag als erste Priorität des französischen EU-Vorsitzes im zweiten Halbjahr. Frankreich wolle zudem "konkrete Ergebnisse" in Sachen Einwanderung, europäischer Verteidigung sowie Klimaschutz und Energieversorgung erreichen. Ein weiterer Schwerpunkt liege auf der sicheren Versorgung mit Lebensmitteln, wobei Länder mit mehr und mit weniger Landwirtschaft enger zusammenarbeiten sollten, sagte Sarkozy.

Zu den Äußerungen Kaczynskis sagte Sarkozy: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Präsident, der selbst unter dem Vertrag erst in Brüssel und dann in Lissabon unterzeichnet hat, seine Unterschrift infrage stellen wird." Mit seiner Unterschrift habe Kaczynski die Ratifizierung des Vertrags versprochen. "Er ist ein ehrlicher Mann", sagte Sarkozy. "Er hat sein Wort nie gebrochen." Frankreich warnte zugleich nachdrücklich vor einer Blockade des neuen EU-Vertrags. "Dies ist keine Erpressung oder Drohung", hieß es im Elysée-Palast: Aber nur mit dem Vertrag von Lissabon könne die Union neue Mitglieder aufnehmen. Auch Tschechien würde sich in Europa "sehr isolieren", wenn es den Lissabonner Vertrag nicht vor Beginn seines EU-Ratsvorsitzes zum Jahreswechsel 2008/09 ratifiziere, hieß es in höchsten Pariser Regierungskreisen.

Auch in Deutschland liegt die Ratifizierung auf Eis

In Deutschland liegt die Ratifizierung der EU-Reform ähnlich wie in Tschechien ebenfalls auf Eis. Bundespräsident Horst Köhler hatte am Montag erklärt, er werde den von Bundestag und Bundesrat gebilligten Vertrag bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über verschiedene Klagen nicht unterzeichnen. Köhler folgt dabei einer Bitte des Gerichts. Dasselbe gilt für Tschechien, das ebenfalls auf eine Entscheidung seines Verfassungsgerichts warten will.

Eine Ratifizierung in Deutschland und Tschechien während des französischen Vorsitzes gilt mit den jüngsten Entscheidungen als unwahrscheinlich. Ursprünglich sollte der neue EU-Vertrag zum 1. Januar 2009 in Kraft treten. Ein neues Datum ist bisher nicht in Sicht.

Iren sollen Zeit bekommen

Sarkozy versprach, die Iren nicht zu einer schnellen neuen Abstimmung über den Vertrag zu drängen, sondern ihnen Zeit zu geben. Wie Merkel will Sarkozy die Aufnahme neuer Staaten wie Kroatien in die EU blockieren, solange der Lissabon-Vertrag nicht in Kraft ist und der Vertrag von Nizza weiter gilt.

Der Lissabon-Vertrag soll die EU handlungsfähiger machen, indem er viele Veto-Rechte aufhebt. Zugleich werden das Parlament gestärkt und die Kommission verkleinert. Die Union bekommt einen Präsidenten, der zweieinhalb Jahre im Amt bleibt, und eine Art Außenminister mit eigener Verwaltung. Allerdings kann die Reform nur in Kraft treten, wenn alle EU-Staaten den Vertrag ratifizieren. Dies soll rechtzeitig vor der Wahl des Europa-Parlaments im Juni 2009 geschehen. (jam/dpa)

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