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Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), wird vorraussichtlich am Donnerstag den Kauf von Staatsanleihen verkünden.

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Europäische Zentralbank (EZB): Warum Staatsanleihekäufe funktionieren können und warum nicht

Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag den Ankauf von Staatsanleihen verkündet, bleibt unklar, ob das Programm auch in der Eurozone funktionieren kann. Klar ist aber, wer davon profitiert und wer am Ende zahlen muss. Was kann der Bürger tun? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andreas Oswald

"Der Aufkauf von Staatsanleihen durch die Notenbank funktioniert in der Praxis, aber nicht in der Theorie", sagte Ben Bernanke, der frühere Chef der US-Notenbank Fed im vergangenen Jahr auf einer Konferenz von Wirtschaftsleuten. Die Zuhörer wurden still. Machte er einen Witz?

Er meinte es ernst. Und inzwischen gibt es selbst im angelsächsischen Raum, von wo aus seit Jahr und Tag die EZB aufgefordert wird, endlich mit dem Aufkauf von Staatsanleihen zu beginnen, immer mehr Stimmen, die unsicher sind, ob ein solches Programm auch in der Eurozone funktionieren würde. Was spricht für ein Funktionieren in der Eurozone, was dagegen?

Argumente dafür

Zwei Faktoren sprechen für ein "quantitative easing", wie die amerikanischen und englischen Notenbanker und Ökonomen sagen. "QE" lautet ihre Abkürzung für den Ankauf von Staatsanleihen durch die Notenbank.

Der erste Faktor: Durch den aggressiven Ankauf von Staatsanleihen sinken die Zinsen auf breiter Front. Zunächst steigt der Kurs dieser Anleihen. Da der versprochene Zins auf die Staatsanleihe bis zum Ende der Laufzeit konstant bleibt, sinkt die Zinsrendite bezogen auf den Preis der Anleihe, wenn dieser Preis steigt. Wenn also die Preise für Staatsanleihen wegen der Notenbank-Intervention steigen, dann müssen sich neue Käufer mit niedrigeren Renditen auf den bezahlten höheren Preis zufrieden geben. Die Folge ist, dass Anleger, Pensionskassen, Lebensversicherungen, Fonds und viele anderen Vehikel für die Alterssicherung auf der Suche nach einer besseren Rendite für ihre Neuanlagen riskantere Anlagen suchen müssen. Zum Beispiel Unternehmensanleihen. Oder Aktien, die eine höhere Dividende bieten. Die Folge ist erneut, dass mit zunehmender Nachfrage, die Preise - oder Kurse - steigen und dementsprechend die Rendite auf diese gestiegenen Preise für neue Käufer niedriger wird.

Das Ergebnis: Die Zinsen und Renditen fallen quer durch alle Anlageklassen. Die Wirtschaft profitiert von niedrigeren Zinsen, sei es bei den Banken, sei es bei Unternehmensanleihen. In der Folge können Investitionen billiger finanziert werden, die Rentabilität steigt durch die niedrigeren Kreditkosten, es wird möglicherweise mehr investiert, es entstehen vielleicht mehr Arbeitsplätze, das mögliche zusätzliche Wachstum spült Steuern in die Staatskasse und reduziert die Staatsschulden..

Und noch etwas passiert dann: Die Währung fällt im Wert gegenüber anderen Währungen. Das nützt den Exporteuren.

Der zweite positive Faktor: Indem die Notenbank aggressiv Staatsanleihen kauft, macht sie der ganzen Wirtschaft deutlich, dass sie fest gewillt ist, über einen längeren Zeitraum das allgemeine Zinsniveau niedrig zu halten. Sie wirkt dadurch glaubwürdig, dass sie entschlossen handelt, keinen Zweifel an Ihrer Haltung aufkommen lässt und indem sie mit den gekauften Anleihen ein hohes Risiko eingeht. Denn wenn später die Zinsen steigen sollten, dann sinkt der Wert der Staatsanleihen, deren Preis, wie oben beschrieben, sich umgekehrt zum Zinsniveau verhält.

Argumente dagegen

Das erste QE-Programm der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) 2009 mitten in der Finanzkrise hat nach einhelliger Meinung bei beiden genannten Faktoren hervorragend funktioniert. Das Zinsniveau konnte auf breiter Front gesenkt werden, an der Glaubwürdigkeit, Entschlossenheit und am Erfolg der Fed hat niemand gezweifelt. Bei den beiden folgenden Programmen - das letzte wurde im vergangenen Oktober beendet - kann zumindest gesagt werden, dass es wohl nicht geschadet hat.

Aber was wird in der Eurozone passieren? Wegen der Zinssenkungen in der Vergangenheit und verschiedenen anderen unkonventionellen Maßnahmen der EZB unter ihrem Chef Mario Draghi sind die Zinsen bereits auf breiter Front gesunken. Für eine zehnjährige italienische Staatsanleihe gibt es nur noch 1,62 Prozent Zinsen. Das ist ein Rekord. Noch nie in der Geschichte des Landes musste der italienische Staat so wenig Zinsen zahlen. Ähnliches gilt mit Ausnahme des Sonderfalls Griechenland für alle Staaten der Eurozone. In Deutschland sind fünfjährige Staatsanleihen unter Null Prozent gefallen. Das heißt, dass Anleger, die eine solche Staatsanleihe kaufen, Geld dafür zahlen müssen, dass der Staat ihr Geld aufbewahrt. Die Rendite für eine zehnjährige deutsche Staatsanleihe fiel vergangene Woche auf ein Rekordtief von 0.43 Prozent.

Was folgt daraus? Das Ziel von Staatsanleihekäufen, die Zinsen zu senken, ist bereits mit anderen Maßnahmen der EZB erreicht worden. Insofern ist ein solches Programm nicht mehr nötig.

Es bleibt die beabsichtigte Senkung des Werts des Euros, um den Export und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft des Euroraums zu fördern. Das kann etwas bringen, weil Zeit gekauft wird und die Staaten und die Unternehmen im Euroraum Reformen einleiten, um tatsächlich am Ende besser dazustehen. Denn die Abwertung des Euro ist eine künstliche Wettbewerbsverbesserung, Staat und Unternehmen arbeiten deshalb nicht besser. Ob der Kauf von Zeit etwas bringt, ist zweifelhaft. Seit sechs Jahren kauft die EZB den Staaten und den Volkswirtschaften Zeit, viele haben diese Zeit mangels Einsicht nur wenig genutzt. Warum sollten sie die Zeit jetzt besser nutzen, wenn sie das gar nicht wollen?

Noch etwas kommt hinzu: Wenn der Euro fällt, verteuern sich die Importe, wie Öl, Lebensmittel und Güter zur Weiterverarbeitung. Außerdem läd die Eurozone China und andere Länder mit großen Reserven ein, die hiesige Wirtschaft billig aufzukaufen, weil ihre Währung viel und der Euro weniger wert sein wird.

Glaubwürdigkeit: Die Auseinandersetzungen in der Eurozone um den richtigen Weg werden weitergehen und lassen die EZB als zögerliche und schwankende Institution erscheinen. Das ist kein Vergleich zur Fed, die bis heute als glaubwürdig und durchsetzungsfähig gilt. Seit dem überraschenden Schritt der Schweizerischen Notenbank, ohne Vorwarnung und ohne Rücksicht auf Verluste die Bindung des Frankens an den Euro aufzugeben, hat die Glaubwürdigkeit von Notenbanken zumindest leicht erschüttert.

Die soziale Ungleichheit wird durch Staatsanleihekäufe zunehmen

Unstrittig ist ein weiterer Punkt: Der Ankauf von Staatsanleihen hat die soziale Ungleichheit in den USA massiv vergrößert. Die Reichen wurden sehr viel reicher, weil sie Anleihen und Aktien besitzen. Beide Anlageklassen profitierten, weil in der Folge der Anleihekäufe die Kurse außerordentlich stark stiegen. Der Dax hat sich seit dem Tief 2009 bis heute verzweieinhalbfacht. Der S&P 500, das ist der marktbreite Index für die 500 größten US-Aktien, hat sich verdreifacht.

Dass der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ebenfalls die Reichen reicher machen und die soziale Ungleichheit vergrößern wird, ist daher sehr wahrscheinlich. Eine riesige Umverteilung begleitet die ultralockere Geldpolitik der Notenbanken seit der Finanzkrise. Leidtragende sind wegen der niedrigen Zinsen Sparer, aber auch Beschäftigte, die als zweite oder dritte Säule der Alterssicherung in betriebsgebundene oder branchenspezifische Pensionskassen einzahlen, oder zusätzlich Geld über die sogenannte Riesterrente einzahlen. Ähnliches gilt für Kapitallebensversicherungen. Das Geld der Leute wandert in zwei große Schatullen: die der Reichen und die der verschuldeten Staaten.

Für die Risiken der Staatsanleihen, also wenn ein Staat Pleite geht, oder er seine Schulden nicht mehr bezahlen will, steht der Steuerzahler ein. Je nachdem, welches Modell EZB-Chef Mario Draghi verkünden wird, stehen nur die Steuerzahler des jeweiligen Landes ein oder alle Steuerzahler der Eurozone für alles.

Aktien kaufen?

Es bleibt die Frage, was man tun kann, um sich zu schützen. Eine Lösung wäre, Staatsanleihen und Aktien zu kaufen, um von den folgenden Kurssteigerungen zu profitieren. Aber Vorsicht: Am Tag der Verkündung des Programms durch Mario Draghi kann es zu Einbrüchen kommen, weil sich alle, die profitieren wollen, schon zuvor eingedeckt haben und dann keine Folgekäufer mehr da sind. Es könnte also einige Zeit dauern, bis sich die Profitabilität einstellt. Ein zweiter Punkt ist zu beachten: Wenn das Programm nur eingeschränkt sein sollte, sind die Anleger enttäuscht und die Kurse sinken. Schließlich: Der Weltkonjunktur geht es nicht gut. Die Schwellenländer taumeln und die letzten Daten aus den USA sind weniger gut als erwartet. Angelsächsische Ökonomen befürchten eine weltweite "secular stagnation", einen langanhaltenden Trend der Stagnation, oder gar eine Deflation.

Andererseits: Langfristig gesehen, also im Hinblick auf 20 oder 30 Jahre, haben Aktien immer sehr gute Chancen, weil sie das Wachstum der Wirtschaft abbilden und auch in einer Deflation reale Renditen bringen. Einzelaktien sind riskant, aber passive, preiswerte Fonds auf einen Aktienindex wie den Dax, den Mdax oder den S&P 500 heben das Risiko einzelner Aktien weitgehend auf.

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