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Europäischer Rechnungshof: Bahnprojekte auf dem falschen Gleis

Der Europäische Rechnungshof hat geprüft, wie sinnvoll geplante milliardenschwere Bahnprojekte sind. Zu welchem Ergebnis kam die Luxemburger Behörde?

Die Europäische Union muss sich bei der Auswahl von Vorrangprojekten für den Ausbau der Eisenbahnverbindungen zwischen mehreren EU-Staaten künftig stärker am tatsächlichen Bedarf orientieren. Zu diesem Ergebnis kommt ein am Mittwoch vorgestellter Bericht des Europäischen Rechnungshofes. Die vorrangigen Projekte der Mitgliedstaaten und der EU-Kommission „zeigen nicht definitiv auf, wo die wichtigsten transeuropäischen Eisenbahnachsen verlaufen“, heißt es darin.

Im Jahr 2004 legte die EU auf Vorschlag der Mitgliedstaaten 19 sogenannte vorrangige Vorhaben fest, um das Zusammenwachsen des europäischen Eisenbahnnetzes zu beschleunigen und Verkehrsengpässe zu beseitigen. Diese TEN-V-Projekte, an denen wie bei der Hochgeschwindigkeitsstrecke Paris– Brüssel–Köln–Amsterdam–London oftmals mehrere Länder beteiligt sind, werden von der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten gemeinsam finanziert.

Zu den Projekten gehört auch die Magistrale von Paris nach Bratislava, die von den Befürwortern des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 als Begründung für die Tieferlegung des Bahnhofs in der baden-württembergischen Landeshauptstadt genannt worden war. Während der Schlichtungsgespräche mit dem ehemaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler hatte Bahn-Vorstand Volker Kefer überraschend eingeräumt, dass die Achse zwischen Paris und Bratislava für die Wirtschaftlichkeit der Neubaustrecke Stuttgart–Ulm „irrelevant“ sei. Wohl niemand fahre durchgängig zwischen der französischen und der slowakischen Hauptstadt, hatte Kefer zugegeben.

In die gleiche Kerbe schlägt nun auch der Europäische Rechnungshof. In dem Bericht, den der Luxemburger Rechnungsprüfer Henri Grethen in Brüssel den Europaabgeordneten vorstellte, heißt es zwar, dass es zwischen den von der Eisenbahnindustrie festgelegten transeuropäischen Achsen und den Vorhaben der Europäischen Union „erhebliche Überschneidungen“ gebe. Der Rechnungshof sieht aber auch Mankos in den Planungen der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten – beispielsweise würden Verbindungen zu einigen wichtigen Seehäfen wie Marseille, Rostock, Bremerhaven und Le Havre bei den Vorrangprojekten der EU nicht berücksichtigt.

„Aus diesen Schwachstellen lässt sich ableiten, dass durch Verbesserungen bei der Definition der vorrangigen Vorhaben eine noch bessere Koordinierung und Bündelung der EU-Finanzmittel erreicht werden könnte“, heißt es in dem Bericht. Zwischen 2007 und 2013 verfügt die Europäische Union für vorrangige TEN-V- Projekte über ein Gesamtbudget von acht Milliarden Euro.

Der Grünen-Verkehrsexperte Michael Cramer ist davon überzeugt, dass sich die Europäer bei der Festlegung der transeuropäischen Achsen vor allem von „nationalen Egoismen“ und weniger von verkehrspolitischen Erfordernissen leiten lassen. „Der Großteil der Verkehrsströme fließt immer noch zwischen dem Norden und dem Süden“, sagt der Europaabgeordnete. Vorrang müsse deshalb der Ausbau des europäische Korridors zwischen Rotterdam und Genua haben, fordert er. In Cramers Prioritätenkatalog steht auch der viergleisige Ausbau der Rheinschiene ganz weit oben.

Bis aus dem europäischen Flickenteppich der eng mit der Geschichte der Nationalstaaten verbundenen Eisenbahnlinien ein echtes Netzwerk wird, dürften noch Jahrzehnte vergehen. Ein Handicap mit Folgen: Der Europäische Rechnungshof verweist in seinem Bericht auf Prognosen, wonach das geplante Wachstum beim EU-weiten Güterverkehr bis 2020 auf der Straße und dem Wasser erwartet wird, während beim zunehmenden Personenverkehr das Auto die größte Rolle spielen dürfte. „Der Schienenverkehr in Europa“, schreiben die Rechnungsprüfer, „wird wohl nur einen geringen Anteil des erwarteten Wachstums tragen.“

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