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Ankunft in Brüssel. Die Bundeskanzlerin ist beim EU-Gipfel begehrte Gesprächspartnerin der Medien.

© dapd

Europäischer Solidaritätsfonds: Notgroschen für die Krisenstaaten

Merkel will es, und Brüssel will es: ein eigenes, gemeinsames Euro-Budget. Warum ist die Idee dennoch umstritten?

Am Ende geht es doch immer ums Geld. Selbst wenn es sich um solch ein hehres Konstrukt wie die Europäische Union handelt. Schulden, Bonds, Anleihen, EFSF und ESM – nun kommt eine weitere Geldmenge ins Gespräch. Die Bundeskanzlerin spricht von einem Solidaritätsfonds, in Brüssel nennen sie es Euro-Budget, im Grunde aber ist das gleiche gemeint. Der EU-Gipfel, der am Donnerstagabend in Brüssel begann, hatte damit weiteren Gesprächsstoff.

Wozu braucht Europa ein Euro-Budget?

In ihrer Regierungserklärung schlug Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag einen Fonds vor, der die Solidarität unter den Mitgliedsstaaten fördern soll. Aus diesem Topf sollen, zeitlich befristet und auf konkrete Projekte bezogen, Fördergelder für Reformen in den EU-Staaten bezahlt werden. Das Geld soll aber nicht nur den Euro-Staaten gewährt werden, sondern allen Regierungen, die verbindliche Reform-Vereinbarungen mit der EU-Kommission abschließen. Das soll einer Spaltung der EU vorbeugen. Und weil der neue Fonds nach den Vorstellungen Merkels aus den Einnahmen der geplanten Finanztransaktionssteuer gespeist werden könnte, verbände sich damit vielleicht zugleich ein weiterer positiver Effekt: Im günstigsten Fall würden weitere Länder die Finanztransaktionssteuer einführen. Bislang sind das nur elf Staaten.

Wie steht die EU zu diesen Vorstellungen?

Ein solcher Vorschlag ist nicht ganz neu. Immer wieder wurde im europäischen Rahmen darüber diskutiert, wie Wachstum in den Mitgliedsstaaten befördert, krisenhafte Entwicklungen wie die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit bekämpft werden könnten. So hatte denn auch Ratsvorsitzender Herman Van Rompuy als Quintessenz nach seinen Gesprächen in allen 27 Hauptstädten in die Tischvorlage für den Gipfel geschrieben, langfristig müsse die Möglichkeit untersucht werden, eine „fiskalische Kapazität für die Wirtschafts- und Währungsunion“ zu entwickeln. Was in dem Papier so verklausuliert daherkommt, ist nichts anderes als ein eigenes, gemeinsames Budget für die Euroländer. Ein Gesprächspartner in einem der oberen Stockwerke des Brüsseler Ratsgebäudes, wo gestern der EU-Gipfel begann, ließ keinen Zweifel daran, woher die Idee eines eigenen Budgets für die Euroländer kommt. „Das wurde von Berlin vorgeschlagen“, sagt der EU-Diplomat.

Was steckt hinter der Budget-Idee?

Der Brüsseler Diplomat spricht auch dazu Klartext: Es geht um eine Art Ersatzhandlung, da die Vergemeinschaftung der Schuldenaufnahme bei den Bundesbürgern nicht nur extrem unbeliebt ist, sondern von Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende Juni mit dem bemerkenswerten Zitat „so lange ich lebe“ so kategorisch wie möglich ausgeschlossen wurde. Eurobonds seien in Deutschland so stark symbolisch aufgeladen, dass man das Wort Bonds überhaupt nicht mehr in den Mund nehmen könne. Merkels Euro-Strategen rund um ihren Chefberater Nikolaus Meyer-Landrut seien zu dem Schluss gekommen, dass neben dem Rettungsschirm ESM eine weitere Form von Gemeinschaftsgeld nötig sei: „Das eigene Euro-Budget ist ein anderer Weg, um das Thema Solidarität anzugehen.“

Zwar kommt die Idee wegen ihrer möglicherweise segnenden Wirkung in anderen Euro-Ländern gut an. Dennoch stößt auf Kritik, dass im Gegenzug von Eurobonds in Van Rompuys Vorlage gar keine Rede mehr ist – so auch in Frankreich. „Es wird beim Gipfel Versuche geben, diese Balance wieder zu verändern“, kündigte ein irischer Diplomat an.

Wofür könnte das Euro-Budget verwendet werden?

Auch darüber gibt es noch große Meinungsunterschiede – etwa zwischen Paris und Berlin. Der französische Präsident Francois Hollande möchte das Geld Mitgliedstaaten zukommen lassen, die aufgrund äußerer Ereignisse, die sie nicht selbst zu verantworten haben, in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind. Gedacht ist dabei weniger an existenzielle Krisen denn an konjunkturelle Einbrüche, da „der Rettungsfonds ESM ein Instrument des Krisenmanagements und nicht der Schockabsorption ist“, wie es bei Van Rompuy heißt. Es gehe daher um „begrenzte finanzielle Solidarität über konjunkturelle Zyklen hinweg“. Die Bundesregierung will dagegen mit dem Geld „ein Anreizsystem“ schaffen: Wer die geforderten Strukturreformen anpackt, erhält Zugriff auf das neue Budget, um Härten zu vermeiden oder wenigstens abzumildern.

Wurde das Thema in Brüssel angesprochen?

Zum Auftakt befasste sich der Gipfel mit einem Thema, das zumindest damit in Zusammenhang steht: Das Wachstum kommt nicht voran. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso präsentierte den Staats- und Regierungschefs einen 16-seitigen Sachstandsbericht dazu, was aus den Beschlüssen des Juni-Gipfels zum Wachstumspakt geworden ist. „Ich bin nicht glücklich mit den Fortschritten“, sagte Barroso.

So hakt es bei der Umsetzung der zehn Milliarden Euro schweren Kapitalerhöhung bei der Europäischen Investitionsbank (EIB), die damit 60 Milliarden Euro mehr an Krediten ausgeben kann, was wiederum in den nächsten drei Jahren zu Projektinvestitionen in Höhe von rund 180 Milliarden Euro führen soll. Das Ganze ist zwar in Arbeit, soll aber auch erst „in den kommenden Wochen“ beschlossen werden. Die sogenannten Projektbonds, die es auch ohne Wachstumspakt gegeben hätte, sind immerhin schon in der Erprobungsphase, doch wird die endgültige Kooperationsvereinbarung zwischen EU-Kommission und EIB auch erst Ende des Monats wirklich unterzeichnet. Weitgehender Stillstand herrscht dagegen auf den meisten anderen Gebieten. Ausdrücklich nannte Barroso gestern die Umwidmung die für 2013 vorgesehenen Strukturfondsmittel in Höhe von 55 Milliarden Euro, die ihrem bisher vorgesehenen Verwendungszweck entzogen und in möglicherweise wachstumsfreundlichere Vorhaben umgeleitet werden können. Hier vermisst der Kommissionschef das Engagement vieler Mitgliedsstaaten: „Manche spüren die Dringlichkeit, andere nicht.“

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