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Währungshüterin: Skulptur vor dem Europäischen Viertel in Brüssel. Foto: dpa

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Politik: Europas Angst vor den Europäern

EU-Kommission zwischen Horrorszenarien und der „Prosa der Regierung“.

Herman Van Rompuy ist nicht eben ein Volkstribun, und der European Business Summit in Brüssel ist kein Marktplatz, sondern eine Nadelstreifenveranstaltung: Der EU-Ratschef hat sich vergangene Woche dennoch als Wahlkämpfer für Sparsamkeit versucht – ohne die aktuellen Wahlkämpfe in Frankreich und Griechenland mit nur einem Wort zu erwähnen. Doch habe es der Kontinent mit einem „Moment der Wahrheit“ zu tun, wie Belgiens früherer Premier seine Zuhörer wissen ließ, „wir müssen den Wandel gestalten oder er wird uns aufgedrückt“.

Die Haushalte in Ordnung zu bringen soll wieder Spielräume für die Zukunft schaffen – auch wenn das die EU in eine leichte und manche Mitgliedstaaten in eine tiefe Rezession gestürzt hat. In Frankreich wie in Griechenland wird am kommenden Sonntag gewählt und auch über die EU-Politik zur Stabilisierung der Währungsunion abgestimmt. Westlich des Rheins geht mit dem Sozialdemokraten Francois Hollande der Kandidat als Favorit in die Stichwahl um das Präsidentenamt, der tönt, der zur Sparsamkeit zwingende Fiskalpakt müsse nachverhandelt werden. Technisch wäre das verkraftbar, da nur zwölf von 17 Euroländern den Vertrag ratifizieren müssen, damit er gilt. „Politisch hätten wir ein Riesenproblem“, sagt einer aus dem Kreis der Botschafter in Brüssel, „wenn die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas nicht mehr mitmachen würde.“ In der Europapolitik grassiert die Angst vor der Entscheidung der Wähler.

Das mögliche Horrorszenario, über das in Brüssel und den anderen EU-Hauptstädten hinter vorgehaltener Hand spekuliert wird, sieht so aus: Je mehr seiner Wahlversprechen ein Wahlsieger Hollande umzusetzen versuchte, desto nervöser würden die Finanzmärkte – die Risikoaufschläge für französische Staatsanleihen könnten bis zur Zahlungsunfähigkeit in Paris steigen und andere Staaten mit nach unten ziehen. Kein Rettungsschirm würde genügen, der Euro wäre noch vor Jahresende Geschichte.

Aus Hollande einen sozialistischen Teufel zu machen, gehört zum Wahlkampfgeklimper der Konservativen. Viele EU-Diplomaten sehen das gelassener. „Im Wahlkampf gibt es immer viel Lyrik“, sagt einer, „in der Regierung herrscht dann die Prosa vor.“ Ein anderer sagt klipp und klar voraus, dass „beim Fiskalpakt nicht nachverhandelt wird – die Sozialisten wissen, dass sie damit nicht spielen dürfen“. Wahrscheinlich sei bei Hollandes Wahlsieg daher eine stärkere zusätzliche Wachstumskomponente, die auch in Berlin keine Kopfschmerzen bereitet. Man liege da „auf einer Linie“, sagt Martin Kotthaus, Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Im Umfeld von EU-Währungskommissar Olli Rehn wird damit gerechnet, dass Hollande zwar „viel Lärm machen, aber nicht die Regeln des Spiels ändern“ würde.

Bei Griechenland, dem Sorgenkind Nummer eins, ist das etwas anderes. Hier heißt es in Brüssel klipp und klar, dass „die Wahl ein Referendum über das ökonomische Anpassungsprogramm ist“. Wenn die griechischen Wähler jenen zum Teil ganz neuen Parteien zu einer Mehrheit verhelfen sollten, die die Abmachung mit den internationalen Geldgebern ablehnen, werden diese die Hilfe einstellen. „Das wäre der selbst erklärte Austritt aus der Eurozone“, sagt ein europäischer Diplomat. Ein unkontrollierter Staatsbankrott wäre die Folge, weshalb Kanzlerin Angela Merkel vor knapp einem halben Jahr erfolgreich alles daransetzte, die vom damaligen Premier Giorgos Papandreou angekündigte Volksabstimmung über das zweite Hilfspaket zu verhindern.

Jetzt können die Krisenmanager das Risiko nicht mehr eindämmen. „Es ist die Rückkehr zur Demokratie“, gibt ein EU-Diplomat unumwunden zu. „Die demokratische Legitimation des EU-Kurses würde noch einmal gestärkt, wenn die Griechen die Parteien wählen würden, die diesen Kurs vertreten.“

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