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Die Ratingagentur Moody's stufte Spaniens Kreditwürdigkeit am Mittwochabend erneut herab.

© dapd

Europas Sorgen: Wie die Schuldenländer Deutschland sehen

Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt in der Euro-Krise den Ton an. Gut für Europa, denken die Deutschen. Und was denken die anderen?

Frankreich

Das Image der Deutschen in Frankreich ist überwiegend positiv – daran hat auch die Krise nichts geändert. Eine repräsentative Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Ifop kürzlich veröffentlicht hat, ergab, dass 82 Prozent der Befragten eine gute beziehungsweise sehr gute Meinung von Deutschland haben. Nur 18 Prozent erklärten, ein schlechtes bis sehr schlechtes Bild vom Nachbarland zu haben. Ihr positives Urteil erläuterten die Befragten mit Gefühlen des Respekts, der Sympathie oder der Bewunderung, während die, die sich negativ äußerten, dafür Misstrauen, Ängste und Unverständnis angaben.

Die Umfrage, die von der Deutschen Botschaft in Paris in Auftrag gegeben worden war, um herauszufinden, wie sich die Krise auf das Ansehen Deutschlands ausgewirkt hat, widerlegte die in Medien und von Politikern beschworene Gefahr einer zunehmenden „Germanophobie“ in Frankreich. 64 Prozent gaben an, dass sich ihre Meinung über Deutschland nicht geändert habe, 25 Prozent hatten einen besseren Eindruck, elf Prozent einen schlechteren. Eine große Mehrheit (82 Prozent) stimmte der These zu, dass Deutschland in den vergangenen Jahren viele Anstrengungen zur Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit unternommen und in der Euro-Krise zum dominierenden Land in Europa geworden sei. Davon solle sich Frankreich inspirieren lassen, erklärten 62 Prozent der Befragten. Ebenso viele meinten jedoch, auch in Deutschland sei die Lage aufgrund von Armut und zunehmender Ungleichheit längst nicht perfekt.

Sehen Sie im Video, wie Tagesspiegel-Redakteur Malte Lehming die deutsche Krisenpolitik kommentiert:

Die Umfrage bestätigte auch bestehende Vorurteile gegenüber den deutschen Nachbarn.

So antworteten 22 Prozent der Befragten auf die Frage, was ihnen spontan zu Deutschland einfalle, Begriffe wie Seriosität, Disziplin oder Organisation. Hier zeigt sich dann wohl auch die deutsche Dominanz in der Krise: Denn am zweithäufigsten wurde in dieser Aufzählung der Name von Bundeskanzlerin Angela Merkel genannt.

Griechenland: Die Angst vor Deutschland wird wieder wach

Es gab Zeiten, da waren Griechen und Deutsche ziemlich gute Freunde – trotz Verwüstungen und Gräuel während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Jetzt verdüstern neue, dunkle Schatten die Wahrnehmung Deutschlands in Griechenland. Die Euro-Krise treibt einen Keil zwischen beide Völker. Viele Griechen machen vor allem Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble für die brutalen Sparauflagen verantwortlich, die ihnen massive Gehaltseinbußen und Rentenkürzungen sowie die tiefste Rezession und die höchste Arbeitslosenquote seit Kriegsende beschert haben.

Eine Umfrage vom Februar dieses Jahres zeigt: Die Angst vor einem übermächtigen Deutschland wird wieder wach – und offenbar nicht nur unter den älteren Menschen, die noch Erinnerungen an die Kriegsjahre haben. Acht von zehn Griechen sehen Deutschlands Rolle in Europa „negativ“, 76 Prozent betrachten Deutschland als ein Land, das ihnen „feindlich“ gesonnen ist. Es ist ein düsteres, bedrückendes Bild, das die im Wochenmagazin „Epikaira“ veröffentlichte Umfrage zeichnet. Jeder dritte Befragte assoziiert mit Deutschland spontan Begriffe wie „Hitler“, „Nazis“ und „Drittes Reich“. Positive Reaktionen sind selten: Nur jeder Hundertste denkt bei Deutschland an „Fleiß“. Gerade mal 0,5 Prozent fallen „deutsche Autos“ ein, und lediglich zwei von tausend sagen, dass sie gern in Deutschland leben möchten.

Sehen Sie hier, welche Mühe es Redaktionen macht, das Thema Euro-Krise zu bebildern:

Die Umfrage liegt vier Monate zurück, aber seither dürfte sich das Deutschlandbild etwa im gleichen Maße verschlechtert haben, wie sich der wirtschaftliche Absturz Griechenlands fortsetzte. „Es muss wehtun“, habe ihm Angela Merkel schon 2010 bei den Verhandlungen über das erste Hilfspaket gesagt, enthüllte der frühere sozialistische Premier Giorgos Papandreou jetzt. Wehtun, damit kein anderes Volk Lust verspüre, um EU-Hilfskredite zu bitten. „Wir waren das Versuchskaninchen“, sagt Papandreou.

Wie dramatisch die Stimmung im Verlauf der Krise gekippt ist, zeigt eine Umfrage aus dem Jahr 2006: Damals fanden noch acht von zehn Griechen Deutschland „besonders sympathisch“.

Irland: Überdruss an der deutschen Prinzipienreiterei

Vorurteile oder gar Beleidigungen gegen Deutschland oder die deutsche Regierung sind äußerst selten im politischen Diskurs Irlands. Weit verbreitet, vor allem unter den politischen Eliten, ist aber ein gewisser Überdruss an der deutschen Prinzipienreiterei. So hatten die Iren beispielsweise inständig gehofft, Spaniens Banken könnten ihre Kapitalspritzen unter Umgehung des spanischen Staats direkt erhalten. Denn dann hätte auch Irland die Chance gehabt, im Windschatten Spaniens seine eigene Bankenrettung auf eine tragfähigere Grundlage zu stellen. Doch Berlin habe das verhindert, heißt es in Dublin.

Deutsches Dogma wird von vielen auch hinter der Unnachgiebigkeit der Europäischen Zentralbank vermutet, die den irischen Steuerzahler dazu zwang, selbst die ungarantierten Schulden abgewickelter Banken bis auf den letzten Cent zurückzuzahlen. Denn Nutznießer dieser Maßnahme sind unter anderem deutsche Landesbanken – und das ärgert die Iren.

Im Verlauf der hitzigen Abstimmungskampagne über den Fiskalpakt Ende Mai spielte Deutschland eine tragende Rolle. Es sei egal – so die Mehrheitsmeinung der irischen Bevölkerung –, ob der Fiskalpakt in der aktuellen Krise etwas nütze oder nicht, er sei einzig und allein deshalb erfunden worden, weil Angela Merkel den Deutschen zeigen wolle, dass von nun an überall hart gespart werde. Nur so habe sie vor dem Bundestag neue Kredite für Euro-Wackelkandidaten befürworten können.

Irgendwann werden die Iren für ihre harten Sparmaßnahmen eine Gegenleistung sehen wollen. Denn Irland ist trotz aller Probleme der aussichtsreichste Kandidat für einen Beweis, dass die von Angela Merkel verordneten Sparvorschriften erfolgreich sein können.

Italien: Wut und Neid

Zum Verhältnis zwischen Deutschland und Italien gibt es eigentlich eine sehr stabile Weisheit: Die Deutschen lieben die Italiener, aber sie achten sie nicht; die Italiener achten die Deutschen, aber sie lieben sie nicht. Doch die Krise fegt nun auch die Sicherheit der Redewendungen hinweg: Italia achtet Germania heute auch nicht mehr. Von den Bars an der Straßenecke bis zum Hohen Haus des Parlaments herrscht in Wut und Neid nur mehr eine Meinung vor: Die Regierung in Berlin, „Frau Merkel“ vor allem, sei schuld daran, dass die Lage immer schlechter werde. Das reiche, überhebliche Deutschland tyrannisiere die anderen, indem es nur härtestes Sparen und tiefste soziale Einschnitte verlange; da könne es mit einem Aufschwung nie etwas werden.

Nationale Egoismen seien es, die Europa kaputt machten, sagte am Mittwoch Angelino Alfano, der Chef von Berlusconis Partei PDL, im Parlament: „Und an der Spitze der Egoismen steht Deutschland.“ Parteichef Pier Luigi Bersani von der sozialdemokratischen Konkurrenz ergänzte: „Wenn Deutschland nicht endlich zu einer Verantwortung für Europa findet, ist es unsinnig, dass die Länder an der Peripherie dauernd Buße tun.“ Sie hätten zwar allen Grund dazu, aber es führe nicht weiter.

„Deutschland hat Hilfe von Europa erfahren“, sagen andere Abgeordnete, „bei seiner Wiedervereinigung und in seiner eigenen Krise 2002/03.“ Damals habe Deutschland – im Verbund mit Frankreich – eine Aufweichung der Maastricht- Kriterien verlangt und bekommen. Berlin möge sich daran erinnern.

Regierungschef Mario Monti drückte sich diplomatischer aus, inhaltlich aber genauso drastisch. Bisher sei weder in Brüssel noch in Berlin die „Krise der Euro-Zone als gemeinschaftliches Problem begriffen“ worden, sagte er am Mittwoch, als er zu Besuch bei Finanzminister Wolfgang Schäuble war.

Italienische Wirtschaftsexperten erklären, es sei gerade die wirtschaftliche Kluft zwischen Deutschland und den schwächeren Staaten, die jetzt den Euro bedrohe. Die Kluft sei seit Einführung des Euro stark gewachsen. Ohne eine gemeinsam verantwortete Schuldenpolitik, schreibt die Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“, verschlimmere sich die Situation: Die Angst vor dem Domino-Effekt wächst.

Spanien und Portugal: Die deutsche Regierung ist der Prügelknabe

An den spanischen Stammtischen weiß man, wer an der Euro-Krise schuld ist: „Alemania“ und „la Merkel“. Weil die deutsche Regierung mit ihrem „radikalen Spardiktat“, das sie in der EU durchsetze, den Aufschwung abwürge. Weil Berlin sich weigere, den klammen Krisenländern mit Euro-Bonds zu helfen und immer neue Reformbedingungen stelle. Außerdem nutze Deutschland die Not der Schuldenländer aus, um sich am Geldmarkt zu Dumpingzinsen zu finanzieren.

Die wachsende feindliche Stimmung Deutschland gegenüber spiegelt eine Umfrage der konservativen Tageszeitung „El Mundo“ wider, die ihre Leser fragte: „Glauben Sie, dass Merkel eine verkleinerte Euro-Zone ohne Spanien will?“ 70 Prozent antworteten mit „Ja“. Die sozialdemokratische Zeitung „El País“ macht Stimmung mit Überschriften wie „Deutschland bereichert sich an der Krise“. Und das bürgerliche Blatt „ABC“ titelte: „Alemania, einer der Schuldigen an der spanischen Immobilienblase“. Die deutsche Regierung ist derzeit zweifellos der beliebteste Prügelknabe in spanischen Euro-Debatten.

„Man hat das Gefühl, dass Länder wie Spanien, Portugal oder Griechenland arbeiten, damit Deutschland das Geld mit vollen Händen ausgibt“, sagt Diego Valderas. Er ist linker Vize-Regierungschef in der Krisenregion Andalusien, wo die Arbeitslosigkeit bei 33 Prozent liegt. „Wir brauchen ein Deutschland, das europäischer ist, und ein Europa, das weniger deutsch ist“, pflichtet Carme Chacon bei. Die Ex-Verteidigungsministerin sitzt im nationalen Parlament auf der Oppositionsbank und versucht, mit populistischen Tönen Spitzenkandidatin ihrer sozialistischen Partei zu werden.

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Auch Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy nimmt seine Parteifreundin Merkel nicht mehr so in Schutz wie früher. Rajoy fordert mehr Entgegenkommen des EU-Schwergewichts Deutschland – vor allem bei EU-Anleihen und Auflagen für sein Land, das demnächst wegen seiner kranken Banken am Euro-Rettungstropf hängen wird. Auch wenn Rajoy weiter versucht, antideutsche Töne zu bremsen: „Die Sparpolitik ist keine Erfindung von Frau Merkel, sondern der EU, ein Projekt, dem wir alle freiwillig beigetreten sind.“

Positiv äußert sich Portugals konservativer Ministerpräsident Pedro Passos Coelho, der als harter Reformer im eigenen Krisenland den Ruf hat, „deutscher als Merkel“ zu sein. Und für den „Alemanha“ ein Vorbild ist: „Ich möchte ein industrialisiertes, offenes Land – das sind deutsche Ideen, gute und zugleich universelle Ideen.“

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