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Die SPD-Legenden Willy Brandt (l) und Helmut Schmidt.

© dpa/Kurt Rohwedder

Im Abwärtsstrudel: Früher war alles besser – zumindest für Sozialdemokraten

Die Krise der SPD ist in Europa keine Ausnahme. In fast allen Ländern geht es für die Sozialdemokraten bergab. Ein Überblick.

Die Krise der SPD ist in Europa keine Ausnahmeerscheinung. Dabei ist es gerade einmal zwei Jahrzehnte her, da stand die Sozialdemokratie vor allem in Westeuropa im Zenit ihrer Macht. In Deutschland regierte Gerhard Schröder, in Großbritannien der Labour-Vorsitzende Tony Blair, und in Frankreich war der Sozialist Lionel Jospin Premierminister.

Mit den Nullerjahren kehrte sich der Trend allerdings um. Die Auflösung alter Milieus, eine schrumpfende Arbeiterklasse und ein sinkender Einfluss der Gewerkschaften machen vor allem Parteien zu schaffen, die sich als sozialistisch oder sozialdemokratisch bezeichnen. In fast allen EU-Staaten geht es mit ihnen abwärts. Eine Übersicht.

Frankreich

In Frankreich ließ sich im vergangenen Jahrzehnt ein Niedergang bei den Sozialisten beobachten, der an das Siechtum der SPD in Deutschland erinnert. Auch wenn es dem Sozialisten François Hollande gelang, zwischen 2012 und 2017 das höchste Staatsamt im Elysée-Palast zu erobern, kam es in seiner Partei ständig zu Reibereien über den Kurs. So legte sich der Globalisierungskritiker Arnaud Montebourg als Wirtschaftsminister regelmäßig mit dem seinem Chef an, dem zur Parteirechten gehörenden Premierminister Manuel Valls.

Da lassen sich Parallelen zum gegenwärtigen Streit in der SPD zwischen Gegnern und Befürwortern der Groko ziehen. Bei der Präsidentschaftswahl 2017 schickten die Parteilinken im Lager der Sozialisten ihren Kandidaten Benoît Hamon ins Rennen. Seine Vorschläge – wie beispielsweise ein bedingungsloses Grundeinkommen – waren allerdings nicht mehrheitsfähig: Hamon erreichte gerade einmal einen Stimmenanteil von 6,4 Prozent und schied nach der ersten Runde aus.

Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, der die Wahl im zweiten Wahlgang damals für sich entschied, profitierte davon, dass die Franzosen des altbekannten Parteiensystems mit der Dauerpräsenz von Konservativen und Sozialisten überdrüssig geworden waren. Allerdings sind die Sozialisten in Frankreich noch nicht komplett abgeschrieben. Bei den bevorstehenden Kommunalwahlen im März hoffen sie auf Erfolge in Städten wie Paris, Lille und Rennes.

Großbritannien

Der Altlinke Jeremy Corbyn gelangte vor vier Jahren an die Spitze der Labour Party, die sich seit 2010 in der Opposition befindet. Vor allem junge Parteianhänger beflügelten anfangs den Linkskurs Corbyns, der Forderungen wie die Verstaatlichung der Eisenbahn aufstellte. Nach der Ansicht von Marc Debus, Politik-Professor an der Universität Mannheim, war die Übernahme des Parteivorsitzes durch Corbyn eine direkte Reaktion auf die „New Labour“-Politik des früheren Regierungschefs Tony Blair.

„Corbyn hat den moderaten Parteiflügel kaltgestellt“, sagt Debus. Allerdings bezweifelt er, dass Corbyns Politik im Vereinigten Königreich tatsächlich mehrheitsfähig ist. Zwar gebe es in Großbritannien immer noch ein vergleichsweise starkes Klassenbewusstsein. „Aber auch im Vereinigten Königreich hat sich die Gesellschaft diversifiziert, und Corbyns Kurs wird in der im Zeitverlauf angewachsenen politischen Mitte häufig als zu radikal wahrgenommen“, so Debus.

Ein Blick auf die Umfragewerte von Labour in den zurückliegenden Jahren bestätigt die Analyse. Nachdem die Partei bei der Unterhauswahl 2015 nur auf enttäuschende 31 Prozent gekommen war, übernahm Corbyn das Ruder. Bei der folgenden Parlamentswahl im Jahr 2017 gelang es ihm tatsächlich, mit einem Ergebnis von 40 Prozent knapp hinter den regierenden Tories zu landen.

Davon ist Corbyns Partei in den aktuellen Umfragen aber weit entfernt: Eine gute Woche vor der Parlamentswahl sieht es nicht danach aus, dass die Partei ihren Erfolg von 2017 wiederholen kann – vor allem bei jungen Wählern hat Corbyns Anziehungskraft inzwischen nachgelassen.

Niederlande

Das Beispiel der niederländischen Sozialdemokraten zeigt, dass es auch wieder aufwärts gehen kann, nachdem der Tiefpunkt einmal erreicht ist. Bei der letzten Parlamentswahl im Jahr 2017 kam die Partij van de Arbeit (PvdA), die nach dem Zweiten Weltkrieg viermal den Ministerpräsidenten stellte, gerade einmal auf den siebten Platz. Die Partei erreichte einen mickrigen Stimmenanteil von 5,7 Prozent.

Bei der Europawahl im vergangenen Mai erholten sich die Sozialdemokraten dann aber wieder und kamen auf 19 Prozent.

Um dieses Comeback zu ermöglichen, musste die PvdA noch nicht einmal ihren Vorsitzenden austauschen. Wie schon bei der desaströsen Parlamentswahl von 2017 führt auch heute der frühere Vize-Premierminister Lodewijk Asscher die Partei. Der Erfolg der PvdA bei der Europawahl hatte zwar auch damit zu tun, dass damals der Niederländer Frans Timmermans als Spitzenkandidat der sozialdemokratischen europäischen Parteienfamilie antrat.

Aber auch der pragmatische Kurs des Parteichefs Asscher zahlt sich inzwischen aus. Als Oppositionspartei sperrt sich die PvdA nicht gegen eine Zusammenarbeit mit anderen Parteien aus dem linken Spektrum wie der Sozialistischen Partei. Zudem konzentrieren sich die niederländischen Sozialdemokraten stärker als in der Vergangenheit auf einzelnen Themen wie den Kampf gegen den Klimawandel.

Spanien

Der frühere sozialistische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon aus Frankreich.
Der frühere sozialistische Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon aus Frankreich.

© AFP

Charisma kann entscheidend sein – diese Lehre gilt für die spanischen Sozialdemokraten, die mit Pedro Sanchez seit über einem Jahr den Ministerpräsidenten stellt. Der 47-Jährige, der das Image des „perfekten Schwiegersohns“ hat, führt nicht nur die sozialistische PSOE, sondern auch eine Regierung, die allerdings auf wackligen Beinen steht.

Bei der letzten Parlamentswahl im November – der vierten innerhalb von vier Jahren – blieb die PSOE bei leichten Verlusten stärkste Partei. Die Aufgabe der Regierungsbildung wird für Sanchez dadurch erschwert, dass in Spanien wie in vielen anderen EU-Ländern auch mit der Partei Podemos eine Alternative links von den Sozialdemokraten entstanden ist.

Anders als die Sozialdemokraten, die einen moderaten Linkskurs vertreten, machen die Linkspopulisten von Podemos Front gegen die Sparvorgaben des EU-Stabilitätspakts. Um sich die Möglichkeit einer Regierungsbildung offenzuhalten, sprang Sanchez im vergangenen Monat über seinen Schatten und erzielte eine vorläufige Koalitionsabsprache mit dem Podemos-Chef Pablo Iglesias.

Portugal

„Portugal ist eine Ausnahme.“ So lautet die Einschätzung des Mannheimer Politikwissenschaftlers Debus. Der Sozialdemokrat Antonio Costa zeigt seit 2015 im Amt des Premierministers, dass man einen Linkskurs einschlagen und trotzdem mehr oder weniger unangefochten regieren kann. Die Sozialdemokraten in der südwestlichen Ecke der EU haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Erst setzten sie einen Sparkurs durch und wurden deswegen 2011 abgewählt. Innerparteilich setzten sich dann die Gegner der Austeritätspolitik durch.

Nach den Neuwahlen 2015 bildete Costa eine Minderheitsregierung, die in diesem Jahr klar bestätigt wurde. „Portugal wäre somit ein Beispiel, wie sozialdemokratische Parteien durch die Annahme linkerer wirtschaftspolitischer Positionen wieder Wahlen gewinnen können“, so Debus. Allerdings stellt sich nach seinen Worten auch für Portugal die Frage, wie sich der gesellschaftliche Wandel mit der Betonung von Themen wie Klimapolitik, Migration und der wirtschaftlichen Globalisierung in Zukunft auf die Wahlchancen der Sozialdemokraten auswirkt.

Italien

Italiens sozialdemokratischer Partito democratico (PD) erlebte seinen Schröder-Moment im März des letzten Jahres. Da rutschte die Partei, die bisher den Premier gestellt hatte, unter 20 Prozent – ihre Wählerinnen und Wähler liefen in Scharen zur Fünf-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo über. Schon das Verfassungsreferendum wenige Monate zuvor hatte deutlich gemacht, dass die eher linke Hälfte des Landes den Kurs des Parteivorsitzenden Matteo Renzi nicht goutierte: eine auf seine Person zugeschnittene Partei und Regierung plus neoliberaler Reformversuche am Arbeitsmarkt.

Die Abstimmung über eine „Verschlankung” jener Verfassung, die vielen als Monument des Antifaschismus heilig ist, ging krachend verloren, Renzi, der sie selbst zum Referendum über seine Person gemacht hatte, trat als Premier und Parteichef ab – und tat später aus der zweiten Reihe heraus dann alles, die eigentlich natürliche Koalition der Seinen mit den Grillini zu verhindern. In diesem Sommer hat er persönlich den Fehler geheilt und den Eintritt seiner – inzwischen ehemaligen – Partei in die Regierung geebnet.

Die Befreiung der Regierung in Rom von Salvinis Rechten scheint sich zu lohnen, die Umfragewerte des PD unter dem weiter links verorteten neuen Parteichef Nicola Zingaretti verbessern sich, während die Fünf Sterne in die untere Einstelligkeit abgestürzt sind. Ob ein neuer PD in der Lage sein wird, Italiens verwaiste linke Wählerschaft zu sammeln, ist derzeit unklar: Die Regierung, deren Juniorpartner sie ist, steht praktisch täglich vor ihrer Auflösung – mit wechselnden Streitthemen.

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