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Europawahl 2014: Schulz gegen Juncker - beide wollen Kommissionspräsident werden

Wer macht das Rennen - der Sozialdemokrat Martin Schulz oder der Konservative Jean-Claude Juncker? Die Frage spaltet neben dem EU-Parlament auch die Koalition in Berlin. Angela Merkel will Juncker, die erstarkte SPD fordert den Posten für Schulz.

Zwar liegt das endgültige Wahlergebnis noch gar nicht vor, aber die Zeichen stehen dennoch auf Streit: Nach dem aktuellen Zwischenergebnis liegt die konservative Europäische Volkspartei (EVP) mit 212 Mandaten vor den Sozialdemokraten, die auf 187 Sitze kommen. Wenn die Konservativen am Ende die Nase tatsächlich vorn haben sollten, könnte damit auch ihr Spitzenkandidat Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident werden. Ob der ehemalige Luxemburger Ministerpräsident ab November tatsächlich die Nachfolge des scheidenden Kommissionschefs José Manuel Barroso antritt, hängt allerdings von mehreren Unwägbarkeiten ab.

Zum Beispiel die Frage, was in Berlin passiert: Dort positionieren sich Union und SPD jeweils klar für ihren Kandidaten. Am Montagmorgen antwortete Unionsfraktionschef Volker Kauder auf die Frage, ob Kanzlerin Angela Merkel für den früheren luxemburgischen Ministerpräsidenten werben werde: "Ja, man stellt ja einen Spitzenkandidaten auch mit einem entsprechenden Ziel auf, wir haben die Wahl gewonnen, Jean-Claude Juncker ist unser Kandidat."

SPD-Chef Sigmar Gabriel dagegen hatte bereits Sonntagabend das Amt für die nur wenig zurückliegende Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) und ihren Spitzenkandidaten beansprucht: „Das Wahlergebnis hat einen Namen, und der lautet Martin Schulz“, sagte er. Der bisherige EU-Parlamentspräsident Schulz selbst kündigte an, sich um entsprechende Mehrheiten zu bemühen.

Es könnten noch andere Kandidaten auftauchen

Allerdings sind da zunächst einmal die Staats- und Regierungschefs, die sich am Dienstagabend zu einem informellen Abendessen treffen und sich über das Ergebnis der Europawahl austauschen wollen. Nach dem EU-Vertrag von Lissabon schlagen sie einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten vor. Dabei müssen sie das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen. Was diese rechtliche Vorgabe des Lissabon-Vertrages politisch bedeutet, ist umstritten. Die Staats- und Regierungschefs könnten theoretisch noch einen anderen Kandidaten aus dem Hut zaubern – und weder Juncker noch den Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten, den EU-Parlamentschef Martin Schulz (SPD) bei ihrem Vorschlag berücksichtigen. Ohnehin möchte der britische Regierungschef David Cameron weder Schulz noch Juncker auf Brüsseler Top-Posten des Kommissionspräsidenten sehen.

Falls die endgültige Mandatsverteilung im Europaparlament tatsächlich klar zugunsten der Europäischen Volkspartei ausfällt, dann dürften sich die Staats- und Regierungschefs allerdings schwer damit tun, den Anspruch Jean-Claude Junckers auf das Amt des Kommissionschefs einfach zu ignorieren.

Es gibt noch einige Fragezeichen

Aber auch wenn alle Stimmen der Europawahl endgültig ausgezählt sind, könnten erst einmal einige Wochen oder sogar Monate ins Land gehen, bevor die Barroso-Nachfolge geregelt ist. Denn zunächst einmal müssen sich die Fraktionen im Europaparlament bis zum 24. Juni neu konstituieren. Erst wenn Klarheit über die endgültige Fraktionsstärke herrscht, wird sich entweder Juncker oder Schulz definitiv zum Sieger ausrufen können. Dabei gibt es noch einige Fragezeichen: In den vergangenen Wochen war gemunkelt worden, die rechtskonservative ungarische Fidesz-Partei und die italienische Forza Italia könnten die EVP-Fraktion möglicherweise verlassen. Die Fidesz will eine Wahl Junckers zum neuen Präsidenten der EU-Kommission nicht unterstützen. In Italien hatte der ehemalige Regierungschef Silvio Berlusconi, der die Forza Italia gegründet hatte, mit deutschfeindlichen Bemerkungen auf sich aufmerksam gemacht. Ein Sprecher der EVP-Fraktion wies allerdings am Sonntagabend die Vermutung zurück, die Fidesz und die Forza Italia könnten die Fraktion der Konservativen verlassen.

Wahlergebnis gibt Schulz "Rückenwind"

Dass sich auch EU-Parlamentspräsident Schulz weiter im Rennen wähnt, wurde am Abend bei der SPD-Jubelfeier im Willy-Brandt-Haus in Berlin deutlich. Schulz erklärte, das gute Wahlergebnis in Deutschland gebe ihm „Rückenwind“ für sein Vorhaben, Barroso-Nachfolger zu werden. Für den kommenden Dienstagvormittag hat der EU-Parlamentschef ein Treffen mit den scheidenden Fraktionschefs im Europaparlament anberaumt. Dabei will Schulz ein erstes Meinungsbild erstellen, ob denn nun er oder sein Kontrahent Juncker die meisten Stimmen im Europaparlament auf sich vereinen kann.

Rein rechnerisch dürfte alles darauf hinauslaufen, dass es bei der Wahl des neuen Kommissionspräsidenten im Europaparlament zu einer großen Koalition zwischen Konservativen und Sozialdemokraten kommt. Einerseits hat Juncker bereits ausgeschlossen, sich mit den Stimmen der rechtspopulistischen Abgeordneten im Europaparlament wählen zu lassen. Sollten Schulz’ Sozialdemokraten im neuen Europaparlament am Ende zur stärksten Kraft werden, werden auch sie ohne die Konservativen nicht auf die magische Stimmenzahl von 376 Abgeordneten kommen – so viel Mandate braucht ein Spitzenkandidat für die Mehrheit. Eine Allianz zwischen Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen, mit der Schulz anfangs noch geliebäugelt hatte, bringt jedenfalls nicht die nötige Stimmenmehrheit auf die Waage.

Wenn es für eine Dreier-Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen im Europaparlament nicht reicht, so hat das auch mit dem Erstarken der Parteien an den linken und rechten Rändern zusammen. Zwar muss man bei der komplizierten Berechnung der Mandate im Europaparlament immer bedenken, dass Erfolge extremer Parteien wie etwa der Syriza in einem vergleichsweise kleinen Land wie Griechenland nicht sehr stark ins Gewicht fallen. Zum Vergleich: Während Deutschland im Europaparlament 96 Abgeordnete stellt, kommen nur 21 Parlamentarier aus Griechenland. Aber unterm Strich fallen die Erfolge der rechtspopulistischen Front National in Frankreich und der EU-feindlichen Ukip in Großbritannien bei der Größe der neuen Fraktionen durchaus ins Gewicht: Die Ränder werden stärker, die Mitte schrumpft.

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