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Ein Plakat für die Europawahl beim Europäischen Parlament in Brüssel.

© Reuters/Yves Herman

Europawahl mit 28 Systemen: Warum nicht jede Stimme in Europa gleich viel zählt

Kleine Länder wie Malta stehen bei der Europawahl besser da als große. Sie bekommen beispielsweise mehr Abgeordnete pro Einwohner als Deutschland.

Nicht jede Stimme hat das gleiche Gewicht, wenn die Unionsbürger in dieser Woche zur Europawahl gehen. Es gibt kein einheitliches Wahlsystem, sondern einen Flickenteppich von 28 Systemen. Das hat Unwuchten zur Folge – und die Frage, ob die Deutschen künftig an Donnerstagen statt an Sonntagen wählen sollen.

Wer glaubt, für die Wahl zum Europaparlament in dieser Woche gebe es ein einheitliches europäisches System, und jede Stimme sei gleich viel wert, der irrt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Wahl beruht auf einem Flickenteppich aus vielen unterschiedlichen nationalen Systemen. Dadurch hat die Stimme des einen Unionsbürgers anderen Wert und anderes Gewicht als die Stimme eines Wählers aus einem anderen Land.

Sperrklausel oder nicht

Die unterschiedliche Gewichtung beginnt bei der Frage, ob es eine Sperrklausel gibt oder nicht, und wenn ja, wie hoch die Hürde ist, und geht bis zur Zahl der Abgeordneten, die ein Land ins Parlament entsenden darf. Es gibt eine lange Liste der Unterschiede in den Wahlsystemen der einzelnen EU-Länder:

Ein außerordentlich großer Unterschied geht auf die unterschiedlichen Sperrklauseln zurück. Es gibt unter den 28 EU-Länder Staaten mit und ohne Sperrklauseln. Und wo es solche Hürden gibt, sind sie unterschiedlich hoch. Gar keine Sperrklausel haben Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Malta, Niederlande, Portugal, Slowenien, Spanien – und auch Deutschland.

Früher gab es eine Fünf-Prozent-Hürde

Deutschland hatte bei der Europawahl früher einmal eine Fünf-Prozent-Hürde, die das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig befand, worauf eine Drei-Prozent-Klausel kam, die im Februar 2014 vom Bundesverfassungsgericht ebenfalls einkassiert wurde. Ein Urteil, das nur bei den Miniparteien, die nun ins Europäische Parlament kommen können, Freude, sonst aber durchwegs Entsetzen ausgelöst hat.

Und wo es Sperrklauseln gibt, sind sie verschieden: Frankreich, Kroatien, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Slowakei, Tschechien und Ungarn haben eine Fünf-Prozent-Klausel; die Italiener, Österreicher und Schweden haben eine Vier-Prozent-Hürde; Griechenland wendet eine Drei-Prozent-Klausel an; und Zypern sticht mit einer 1,8-Prozent-Klausel heraus.

Zahl der Parlamentssitze ist unterschiedlich

Die wichtigste Stimmenunwucht geht auf die Zahl der Abgeordneten zurück, die jedes Land ins Europaparlament entsenden darf. Bei der Zuteilung der insgesamt 751 Abgeordneten fehlt jede Verhältnismäßigkeit. Deutschland stehen mit 82 Millionen Einwohnern nur 96 Abgeordnete zu, Kleinstaaten wie Malta oder Zypern sechs.

Das heißt, dass ein deutscher EU-Abgeordneter sehr viel mehr Einwohner vertritt als etwas ein maltesischer oder zypriotischer EU-Parlamentarier. Der Fachausdruck für das ausgeklügelte System ist: degressive Proportionalität. Dieser Grundsatz billigt den kleinen Staaten mehr Abgeordnete pro Einwohner zu als den größeren. Sonst dürften einige Länder eigentlich nur mit einem halben Abgeordneten dabei sein.

Und selbst bei zwei oder drei Vertretern wäre es nicht möglich, die Parteienlandschaft abzubilden. Dass die kleineren Länder relativ besser dastehen als die großen, ist aber nichts Ungewöhnliches. Deutschland kennt das Prinzip auch auf nationaler Ebene: Im Bundesrat sind die kleinen Bundesländer ebenfalls relativ besser repräsentiert als große Bundesländer.

Mindestalter der Wähler und Kandidaten

Nur in Österreich sind bereits 16-Jährige bei der Europawahl wahlberechtigt. Im Rest von Europa ist man mit 18 wahlberechtigt. Beim Alter der Kandidaten gibt es große Unterschiede. Mit 18 Jahren kann man in folgenden Ländern kandidieren: Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Kroatien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien und Ungarn.

Mit 21 Jahren kann man kandidieren in Belgien, Bulgarien, Estland, Irland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei und Tschechien. Mit 23 Jahren kann man sich in Rumänien aufstellen lassen. Und wer in Griechenland, Italien oder Zypern kandidieren will, muss sogar mindestens 25 Jahre alt sein.

Der Wahltag

Auch der Wahltag ist nicht überall gleich. Er liegt zwischen dem 23. und 25. Mai und richtet sich nach den jeweiligen Wahltraditionen des Landes. So wählen Briten und Niederländer an Donnerstagen, andere an Samstagen, wieder andere (Belgier, Deutsche, Luxemburger und Österreicher) immer an Sonntagen. Das bedeutet, dass manche Wähler etwas länger Zeit zum Nachdenken haben oder sogar von aktuellen Ereignissen beeinflusst werden können.

Wahlrecht und Wahlpflicht

Auch hier gibt es große Unterschiede zwischen den EU-Ländern, was das Ergebnis unterschiedlich gewichten kann. Wahlpflicht besteht nur in Belgien, Griechenland, Luxemburg und Zypern. Wo keine Wahlpflicht besteht, ist die Wahlbeteiligung niedriger.

Offene und geschlossene Listensysteme

Es ist Sache jedes Mitgliedslandes, ob es ein offenes oder ein geschlossenes Listensystem verwendet. Beim offenen Listensystem können die Wähler ihre Präferenzen für einen Kandidaten auf der Liste angeben. Das geschieht in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Polen, Schweden, der Slowakei und Zypern.

Anders beim geschlossenen Listensystem, wo die Parteien die Rangfolge der Kandidaten selbst festlegen und die Wähler ihre Stimme nur der Partei geben können (Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien außer Nordirland, Portugal, Rumänien, Spanien und Ungarn). Wieder anders ist es in Irland, Malta und Nordirland mit einem System der übertragbaren einzelnen Präferenzstimmen.

Wahlkreise und Stimmzettel

Manche Staaten haben Wahlkreise eingerichtet, manche haben ihr Wahlgebiet mit anderen Methoden unterteilt, doch die meisten betrachten das ganze Land als einen einzigen Wahlkreis. Beispielsweise führen die Italiener und die Polen die Europawahl in jeweils getrennten Wahlkreisen durch. Das Wahlergebnis wird natürlich auf nationaler Ebene ermitelt.

Die Stimmzettel sind nicht nur von Staat zu Staat verschieden gestaltet, sondern in Deutschland sogar von Bundesland zu Bundesland.

Bundeswahlleiter Egeler für „Wahlrecht in allen europäischen Ländern“

Ob es einmal zu einem EU-weit harmonisierten Wahlrecht kommen könne, fragte EurActiv.de den Bundeswahlleiter Roderich Egeler. „Ja, man fragt sich in der Tat, warum soll das eine Parlament nicht auf der Grundlage eines Gesetzes gewählt werden? Aus dem unitaristischen Gedanken des einen Europäischen Parlaments heraus würde es gut passen, dass es auch eine gemeinsame Wahlordnung gäbe. Aber wir haben schon eine Menge gemeinsamer Elemente und Grundsätze, die für alle Mitgliedsstaaten der Union verbindlich sind. Wir sind auf dem richtigen Weg.“

Egeler betonte: „Ich bin ein Befürworter für gleiche Wahlverhältnisse in allen Ländern. Am besten wäre: Ein Wahlrecht in allen europäischen Ländern.“ Für Egeler wäre es denkbar, dass die Briten bei ihren Donnerstag-Wahlen und die Deutschen beim Wahlsonntag bleiben, wenn sonst die rechtliche Grundlage gleich wäre.

Wenn alles nur am Wahltag hängt, sollte man kompromissbereit sein. Hauptsache, man hat die gleichen Regeln. Das wäre aus europäischer Sicht für eine ganz entscheidende Verbesserung.“ Europa habe aber schon schwierigere Probleme gelöst als die Frage der Sperrklausel, meinte der Bundeswahlleiter im Gespräch mit EurActiv.de.

Erschienen bei EurActiv. Das europapolitische Onlinemagazin EurActiv und der Tagesspiegel kooperieren miteinander.

Ewald König

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