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Jean-Claude Juncker war 18 Jahre lang Premierminister Luxemburgs. Von 2005 bis 2013 war er außerdem Chef der Euro-Gruppe. Er kandidiert als Spitzenkandidat der europäischen Konservativen bei der Europawahl im Mai 2014.

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Europawahl-Spitzenkandidat Juncker im Interview: "Man kann nicht alle Schuld auf die Troika abschieben"

Der Spitzenkandidat der Konservativen bei der Europawahl, Jean-Claude Juncker, will eine Vergemeinschaftung von Schulden in der EU verhindern. Außerdem sieht er Fehler in der Krisen-Politik und fürchtet eine Abkehr der Arbeitnehmer von Europa.

Herr Juncker, Sie haben schon viele Wahlkämpfe erlebt. Jetzt läuft Ihr erster europäischer Wahlkampf als Spitzenkandidat der Konservativen. Was ist anders?

Das eigene Land kennt man am besten. Man weiß genau, wie die Menschen ticken. Ein europäischer Wahlkampf, der in 28 Ländern geführt wird, ist ein schwierigerer Fall. Nun bin ich lange in Europa unterwegs und kenne die Eigenarten der einzelnen Mitgliedstaaten. Aber es ist trotzdem schwierig, am Morgen in Griechenland zu sprechen und am Abend in Hamburg. Die Erwartungen sind unterschiedlich. Ich bemühe mich trotzdem, in Athen und Hamburg dieselbe Rede zu halten. Zur Klarstellung: Ich habe immer deutlich gemacht, dass ich Euro-Bonds derzeit für ein völlig falsches Instrument halte. Ich kann ausschließen, dass es unter mir als Kommissionspräsidenten eine Vergemeinschaftung der Schulden geben wird.

Was sagen Sie denen, die sich darüber wundern, dass der Spitzenkandidat Juncker in Deutschland gar nicht auf dem Stimmzettel steht?

Kein Spitzenkandidat kann in allen 28 EU-Ländern kandidieren. Aber der Wähler weiß: Wer CDU wählt, kann dazu beitragen, dass die Europäische Volkspartei stärkste Kraft im Parlament wird. Mit einer Stimme für die Union trägt man dazu bei, dass ich dann Kommissionspräsident werden kann. Zum ersten Mal also hat der Bürger mit dem Stimmzettel – egal in welchem Land – ein Mitspracherecht bei der Besetzung der EU-Kommission.

Was Juncker von seinem Gegenkandidaten Martin Schulz unterscheidet

Ihr Gesicht wird nicht einmal in Luxemburg auf den Plakaten zu sehen sein. Sie scheinen sehr auf die Kraft Ihrer Sachargumente zu vertrauen.

Ich bin kein Schauspieler, und ich bin kein Model. Ich bin nicht auf dem europäischen Laufsteg. Ich rede mit den Menschen bei öffentlichen Veranstaltungen, über Funk und Fernsehen, live und in Farbe. Das muss reichen. Politik ist die Auseinandersetzung über Inhalte.

Die SPD dagegen setzt mit ihrem Spitzenkandidaten Martin Schulz voll auf einen personalisierten Wahlkampf. Machen Sie dabei mit?

Für die SPD-Wahlkampfstrategie bin ich nicht zuständig. Aber unabhängig davon werde ich mich öfter mit dem Kollegen Schulz öffentlich auseinandersetzen. Wir haben ja keine Feindschaft. Wir sind Mitbewerber.

Worin unterscheiden Sie sich?

Es gibt Unterschiede zuhauf zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten: Wir sind davon überzeugt, dass die Haushaltskonsolidierung in Europa ohne Pause weitergeführt werden muss. Vernünftige Haushaltssanierung bleibt angesagt.

Ist Schulz ein Polarisierer?

Er polarisiert sicher stärker als ich. Ich bin eher konsensorientiert, möchte Menschen zusammenbringen. Ich will mit dazu beitragen, dass die Kluft zwischen Norden und Süden nicht noch größer wird.

Andererseits stehen Sie als Kandidat von Kanzlerin Angela Merkel für eine Politik, die den Griechen extrem viel abverlangt.

Ich wehre mich gegen den Eindruck, dass die Christdemokraten Austerität durchsetzen wollen und die Sozialdemokraten für Wachstum und Solidarität stehen. Als ich Vorsitzender der Euro-Gruppe war und wir die Griechenland-Pakete beschlossen haben, da gab es bei zwölf von 17 Regierungen eine sozialdemokratische Beteiligung. Es ist nicht so, dass die Sozialisten immer nur soziale Feste organisieren. Die schärfsten Kritiker Griechenlands waren die finnische sozialistische Finanzministerin und der damalige sozialistische niederländische Finanzminister, der jetzt Chef der Euro-Gruppe ist.

Rechnen Sie sich als Luxemburger in den Krisenländern größere Chancen aus als der Deutsche Schulz?

Ich fände es nicht anormal, wenn ein Deutscher Kommissionspräsident würde. Ich werde versuchen zu verhindern, dass Schulz Kommissionspräsident wird – aber nicht, weil er Deutscher ist. Sein Programm hält die falschen Rezepte für die Krisenländer bereit. Aber seine Nationalität ist für mich kein Problem.

Sind Sie denn mit der Arbeit der Troika bisher zufrieden, wenn Sie auf die Südländer schauen?

Man kann nicht alle Schuld auf die Troika abschieben. Es sind die Staats- und Regierungschefs, die die Entscheidungen gefällt haben. Die Troika hat sie nur vorbereitet. Ich bin nicht mit allen Beschlüssen, an denen ich mitgewirkt habe, zu 100 Prozent einverstanden. Aber Europa kann ohne Kompromisse nicht leben.

Womit waren Sie nicht einverstanden?

Ich hielt es für einen Fehler, den griechischen Mindestlohn in dem Maße abzusenken, wie sie es getan haben. Aber das hilft ja jetzt nichts mehr. Zudem halte ich bis heute die großen Sparanstrengungen im Gesundheitsbereich, die ungerechte Auswirkungen hatten, für einen Fehler.

Athen kehrt wieder an die Finanzmärkte zurück, aber die Bevölkerung profitiert nicht davon – kann man die gegenwärtige Lage Griechenlands so zusammenfassen?

Die Finanzmärkte fassen wieder Vertrauen in die griechische Wirtschaft. Das hängt vor allem damit zusammen, dass Athen 2013 zum ersten Mal seit Jahrzehnten einen Primärüberschuss im Haushalt erwirtschaftet hat – also einen Überschuss ohne Berücksichtigung des Schuldendienstes. Aber der Anpassungsprozess in Griechenland wird noch sehr lange dauern. Wenn Griechenland an die Finanzmärkte zurückkehrt, führt das nicht automatisch zu einer dramatischen Verbesserung der Lebensverhältnisse. Aber die Verhältnisse können sich nur verbessern, wenn der griechische Schuldenberg auf absehbare Zeit abgebaut wird.

Kandidat Juncker fordert Reformen von Frankreich

Von Griechenland nach Frankreich: Sie sind dagegen, Paris beim Schuldenabbau weitere Zugeständnisse zu machen.

Normalerweise kann Frankreich kein drittes Mal einen Aufschub erhalten, um die Neuverschuldung unter drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu drücken. Das schließt nicht aus, dass die EU-Kommission unter bestimmten Umständen noch einmal ein Auge zudrücken kann. Aber zunächst einmal bin ich der Auffassung, dass man nicht noch einmal einen Aufschub gewähren sollte.

Ist Frankreich das neue Sorgenkind der Euro-Zone?

Frankreich ist nicht der kranke Mann Europas. Nur: Die Politik hat in Deutschland wesentlich bessere Ergebnisse gezeitigt als in Frankreich. Am Beispiel Frankreichs zeigt sich, dass Länder mit hohen Schuldenständen und großen Etatdefiziten nicht die besten Ergebnisse beim Wachstum und der Beschäftigung vorweisen können. Es gibt kein anderes Land in der EU, das einen so hohen Anteil seines Bruttoinlandsproduktes für öffentliche Ausgaben verbucht. Frankreich muss die Reformen durchführen, die in anderen Ländern bereits in Angriff genommen worden sind.

Haben Sie schon Vorstellungen, wie Sie das Amt des Kommissionspräsidenten im Fall eines Wahlsieges ausfüllen wollen?

Ich mache zurzeit Wahlkampf und wache nachts nicht schweißgebadet auf, weil ich mir noch nicht vollends vorstellen kann, wie ich das Amt des Kommissionspräsidenten im Detail auszuüben gedenke. Ich war immer der Auffassung, dass die Kommission den Mitgliedstaaten zu Diensten sein und gleichzeitig das allgemeine europäische Interesse im Auge behalten muss.

Das EU-Parlament dürfte angesichts des erwarteten Zuwachses der Skeptiker kein einfacherer Partner in Brüssel werden.

Mit den Feinden der europäischen Einigung kann man keinen Dialog führen. Mit den Abgeordneten, die berechtigte oder unberechtigte Kritik an europäischen Vorhaben vorbringen, muss man reden. Man muss die Skeptiker überzeugen. Wenn alles in Europa perfekt wäre, würde ich nicht für das Amt des Kommissionspräsidenten kandidieren.

Was lässt sich verbessern?

Wir erleben gerade, dass sich weite Teile der europäischen Arbeitnehmerschaft vom europäischen Projekt zu verabschieden drohen. Wer diese Gefahr nicht erkennt, ist taub und blind. Ich halte die Koordinierung der Wirtschaftspolitik in der Euro-Zone für ungenügend – mehr Zuständigkeiten müssen auf die europäische Ebene verlagert werden. Ich bin unzufrieden damit, dass wir uns aus unserer Abhängigkeit von russischen Energielieferungen viel zu langsam lösen. Und ich bin unzufrieden mit dem Stimmenwirrwarr, das regelmäßig in der EU-Außenpolitik zu hören ist.

Jean-Claude Juncker war 18 Jahre lang Premierminister Luxemburgs. Von 2005 bis 2013 war er außerdem Chef der Euro-Gruppe.

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