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Europawahl: Wahlkampf ohne Leidenschaft

Union und SPD beklagen das Desinteresse der Wähler an Europa, doch ein Blick in ihre Programme zeigt, dass die daran selbst schuld sind

Wenn am kommenden Sonntag ein neues Europaparlament gewählt wird, dann droht in Deutschland bei der Wahlbeteiligung ein neuer Negativrekord. Nur 43 Prozent der Wahlberechtigten gingen vor fünf Jahren an die Urnen, in diesem Jahr könnten es noch weniger werden. Die Deutschen interessieren sich nicht für Europa, in einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen erklärten nur 30 Prozent der Befragten, sie wollten in jedem Fall von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen.

Ein Wunder ist dies nicht, und die Parteien tragen daran eine beträchtliche Mitschuld. Denn einerseits überschlagen sie sich mit allgemeinen Bekenntnissen zur europäischen Integration. Andererseits betrachten die Wahlkampfstrategen die Europawahl lediglich als Probelauf für die Bundestagswahl im Herbst. Deshalb werden jetzt innenpolitische Parolen getestet und deutsche Themen gesetzt. Opel, Mindestlohn oder Afghanistan heißen in diesen Tagen die Wahlkampfschlager. Die Wähler müssen schon das Kleingedruckte lesen, um zu erfahren, mit welchen europapolitischen Ideen sich die Parteien um die 99 deutschen Mandate in Brüssel und Straßburg bewerben.

"Wir in Europa" plakatiert zum Beispiel die CDU landauf, landab. Das soll die Verbundenheit der Christdemokraten mit der Idee eines vereinten Europas ausdrücken, ihre europapolitische Kompetenz verdeutlichen. Nur richtig stolz scheinen die Christdemokraten nicht darauf zu sein, was sie im Europäischen Parlament in den letzten fünf Jahren erreicht haben. Schließlich fehlt in dem vierseitigen Wahlaufruf, den die CDU zusammen mit der CSU veröffentlicht hat, zum Beispiel jeder Hinweis auf den Umstand, dass die Union als Teil der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament die Mehrheit stellt und die Geschicke der EU maßgeblich mit beeinflusst.

Natürlich findet sich im Europaprogramm der CDU etwa die Forderung nach gemeinsamen Standards bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität. In der Außenpolitik fordern die Christdemokraten eine europäische Sicherheitspolitik. Eine Harmonisierung der Sozialpolitik lehnt die Union hingegen ab, weil ihrer Ansicht nach so die hohen deutschen Sozialstandards gefährdet würden. Auch die Arbeitsmarktpolitik soll Sache der Mitgliedsstaaten bleiben.

Von Europa-Euphorie keine Spur, konkret wird das Programm selten. Da arbeitet sich die Union lieber an den Schattenseiten der EU ab, an der "überflüssigen Bürokratie" zum Beispiel, zudem will sie prüfen, ob "bestimmte Aufgaben" von der EU wieder auf die Nationalstaaten zurückverlagert werden können. CDU und CSU plädieren dafür, die "Identität der Nationen" zu achten, dazu gehört selbstverständlich auch die "Stärkung der deutschen Sprache in Europa".

Die Europaskepsis in den eigenen Reihen fordert ihren Tribut. So sehr sich die Union einerseits zu Europa bekennt, so sehr zieht sich gleichzeitig die Europaskepsis durch den ganzen Aufruf. Bei der Frage einer EU-Mitgliedschaft der Türkei sind sich nicht einmal die Schwesterparteien einig. Die CDU sieht die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft nicht erfüllt, die CSU hingegen lehnt diese prinzipiell ab. Die Bayernpartei beschwört stattdessen die gemeinsamen europäischen Werte sowie die "gemeinsamen kulturellen und historischen Wurzeln". Nur reduzieren sich diese im Weltbild der Christsozialen auf den "Gottesbezug" in der europäischen Verfassung und das "christlich-jüdische Erbe Europas".

Anders als die Union versteckt die SPD zumindest ihren Spitzenkandidaten nicht. Sie hat den profilierten Europapolitiker Martin Schulz sogar für einen Posten in der nächsten EU-Kommission nominiert. Nur sind die Aussichten, dass ein deutscher Sozialdemokrat der nächsten EU-Kommission angehört, eher gering. Aller Voraussicht nach wird die CDU nach der Wahl für sich das Recht reklamieren, den einzigen deutschen Kommissar in der nächsten Kommission benennen zu dürfen. Nicht ausgeschlossen, dass die Union dann den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, der daheim mittlerweile einen schweren Stand hat, nach Brüssel weglobt. Nur sagt sie dies vor der Wahl nicht laut, weil dies in der Partei für zu viel Unruhe sorgen würde.

Das sozialdemokratische Programm ist dafür genauso unkonkret wie das christdemokratische. Europäischer kommt die SPD daher, aber auch sie reiht vor allem Schlagworte aus der Innenpolitik aneinander. Sie plädiert für ein "sozialdemokratisches Leitbild" und da ist es nur folgerichtig, dass sie in ihrem Europawahlprogramm das deutsche Sozialstaatsmodell europäisch buchstabiert. Die SPD fordert eine europäische Sozialunion, einen europäischen Pakt gegen Lohndumping sowie gute Arbeit als Leitprinzip der EU. Die Finanzmarktkrise will die SPD genauso europäisch lösen wie die Probleme der weltweiten Migration. Zumindest "langfristig" fordern die Sozialdemokraten eine "europäische Armee, deren Einsatz parlamentarisch legitimiert sein muss". Ein EU-Beitritt der Türkei wird "unterstützt".

Vom Hocker reißt ein solches Programm niemanden. Auch die kleinen Parteien können die europäische Ideenlosigkeit der großen nicht ausgleichen. Immerhin leisten sich vor allem FDP und Grüne ein paar konkrete europäische Forderungen. Die FDP plädiert für europäische Volksentscheide, für die Verkleinerung der EU-Kommission und die Konzentration der Arbeit des EU-Parlamentes an einem Standort. Die Grünen haben zwar das umfangreichste und detaillierteste Europawahlprogramm vorgelegt. Sie wollen, was kaum überrascht, die EU zum Vorreiter der Klimapolitik machen und mit einem grünen New Deal europaweit die Wirtschaftskrise bekämpfen. Aber auch sie trauen sich an die großen Tabus der EU heran, etwa an die Agrarsubventionen. Stattdessen wollen die Grünen die Agrar- und Strukturfonds der EU lediglich auf Ziele wie nachhaltige Entwicklung oder Gentechnikfreiheit verpflichten.

Recht schizophren hingegen kommt die Linke daher. Sie lehnt die neue EU-Verfassung ab und plädiert für eine Re-Nationalisierung europäischer Politik. Gleichzeitig will die Linkspartei alle sozialen und ökonomischen Probleme der EU mit neuen europäischen Institutionen lösen, etwa mit einer europäischen Wirtschaftsregierung oder europäischen Steuern.

Platt und ideenlos präsentieren sich die Parteien also im Europawahlkampf. Eine europäische Vision hat keine Partei zu bieten, stattdessen sind die Wahlprogramme ein Abbild der Krise der Europäischen Union. Kein Wunder also, dass die Wähler sich von Europa beziehungsweise von dem Wahlkampf der Parteien abwenden und die Wahlbeteiligung tatsächlich auf einen Negativrekord zusteuert.

ZEIT ONLINE

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