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Evangelische Kirche: Bewegungskur für Pfarrer

Die evangelische Kirche zieht mit einer „Zukunftswerkstatt“ eine Bilanz ihres Reformprozesses: Im Kleinen hat sich viel getan

Berlin - Es ist nicht gerade ein Sturm geworden, was die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vor drei Jahren mit ihrem Papier „Kirche der Freiheit“ angefacht hat. Aber eine frische Brise. Und das ist schon viel bei einem Gebilde mit 22 zum Teil sehr unterschiedlichen Landeskirchen und 25 Millionen Mitgliedern.

Angesichts sinkender Mitgliederzahlen und Einnahmen hat die EKD 2006 unter ihrem Ratsvorsitzenden Bischof Wolfgang Huber einen ehrgeizigen Reformprozess angestoßen, der den deutschen Protestantismus ordentlich durchrütteln sollte. Im Zentrum der Reformen stehen Strukturveränderungen wie die Fusion von Landeskirchen und die Verbesserung der Gottesdienstqualität, um „gegen den Trend zu wachsen“. Mit neuen Ideen will man auch die ansprechen, die mit Bibel und Kreuz nichts anfangen können, zugleich sollen das evangelische Profil geschärft und Gemeinden besser vernetzt werden.

Von diesem Donnerstag bis Sonnabend kommen in Kassel 1200 leitende Geistliche, Pfarrer und ehrenamtlich Engagierte zusammen, um in einer „Zukunftswerkstatt“ eine erste Bilanz zu ziehen. Indirekt wird in Kassel auch die Arbeit des EKD-Rates und ihres Vorsitzenden Bischof Huber bewertet. Denn Rat und Ratsvorsitz werden in einem Monat neu gewählt. In zahlreichen Foren und Diskussionsrunden, mit ungewöhnlichen Andachtsformen und einer „Galerie guter Praxis“ sollen erfolgreiche Reformansätze vorgestellt, aber auch Selbstkritik geübt werden.

Als die EKD 2006 das Impulspapier „Kirche der Freiheit“ vorstellte, war die öffentliche Aufmerksamkeit groß, aber auch die Ablehnung bei vielen Pfarrern. Sie störten sich an dem neuen Ansatz, Kirche wie ein Unternehmen zu denken und ihre Arbeit nach messbaren Kriterien zu bewerten. Viele Pfarrer traf es auch persönlich, dass ihnen unterstellt wurde, sie seien Besitzstandswahrer und würden mit der falschen Mentalität an ihre Arbeit herangehen. Viele irritierte der neue Sprachduktus im Stil von Unternehmensberatern – es war die Rede von „Taufquoten“, „Benchmarking“ und „Personalmanagement“. Kleine Landeskirchen fühlten sich von den Vorgaben unter Druck gesetzt, dass von den jetzt 22 Landeskirchen bis 2030 durch Fusionen nur noch acht bis zwölf übrig bleiben sollen, die auch nicht mehr den Ländergrenzen von 1815 entsprechen, sondern den Bundesländern. Was ist vom Reformeifer geblieben, was von den Widerständen?

„In vielen der 20 000 Gemeinden ist der Reformprozess angekommen“, sagt Bischof Wolfgang Huber. In der Tat hat sich einiges bewegt: Gerade haben sich im Osten zwei Landeskirchen zur mitteldeutschen Kirche zusammengetan, nächstes Jahr wollen sich im Nordosten drei Kirchen zusammenschließen. Im Süden und Westen ist die Bereitschaft zu fusionieren allerdings nicht sonderlich ausgeprägt; die Steuereinnahmen lassen hier kleinteilige Strukturen zu – noch. So sind Gespräche über die Fusion zu einer niedersächsischen Landeskirche gescheitert.

Nach drei Jahren redet keiner mehr von „Taufquoten“ oder dass die Zahl der Gottesdienstbesucher verdoppelt werden müsse. Aber an vielen Orten haben Pfarrer und Ehrenamtliche neue Projekte und Schwerpunkte wie spezielle Jugendkirchen entwickelt und experimentieren mit neuen Gottesdienstformen.

Viele Gemeinden sprechen jetzt zum Beispiel Eltern auf die Taufe an, statt zu warten, bis sie von sich aus kommen. Man hält Andachten auch mal im Kino ab oder führt Tai-Chi vor, um ein anderes Publikum anzusprechen. Und viele Pfarrer sind längst auch Manager, ob sie es wollen oder nicht und auch wenn etliche gar nicht wissen, dass sie damit ein Ziel des Reformkonzepts erfüllen. Bei ihren Aufgaben sollen ihnen die drei neuen Zentren für Gottesdienstqualität, Predigtkultur und Mission zur Seite stehen, die jetzt ihre Arbeit aufnehmen. „Am Anfang haben sich viele aufgeregt. Aber es brauchte den großen Knaller, damit überhaupt etwas in Bewegung kommt“, sagt ein leitender Geistlicher. Viele Pfarrer seien aber immer noch skeptisch, heißt es beim Pfarrerverband, der 20 000 Geistliche vertritt. Sie fühlten sich bevormundet und beklagten, dass ihre an der Praxis geschulte Meinung nicht zähle. Nach Kassel wurde der Verband ebenso wenig eingeladen wie 2007 zum „Zukunftskongress“.

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