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Der Fraktionschef der EVP im Europaparlament, Manfred Weber.

© Kai-Uwe Heinrich

EVP-Fraktionschef Weber im Interview: „London hat in der EU kein Vetorecht“

Manfred Weber ist der neue Fraktionschef der konservativen EVP im EU-Parlament. Im Interview mahnt er eine konstruktive Rolle Großbritanniens im Streit um Jean-Claude Juncker als Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten an.

Herr Weber, freuen Sie sich schon auf den 15. Juli?
Ja. Das ist der Tag, an dem wir unseren neuen EU-Kommissionspräsidenten wählen werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass Jean-Claude Juncker der neue Kommissionspräsident wird.

Würde das Europaparlament auch einen anderen Kandidaten zum Kommissionschef wählen?
Ich glaube, dass es zu einer institutionellen Krise führen würde, wenn die Staats- und Regierungschefs jemand anderen für dieses Amt vorschlagen würden. Wir haben den Menschen im Wahlkampf das Versprechen gegeben, dass wir den Spitzenkandidaten der stärksten Fraktion im Europäischen Parlament wählen. Dieses Versprechen müssen wir jetzt halten.

Der britische Regierungschef Cameron lehnt Juncker, den Ihre Europäische Volkspartei (EVP) zum Spitzenkandidaten nominiert hat, ab. Suchen Sie den Konflikt mit Cameron aus reiner Prinzipienreiterei?
Das prinzipielle Interesse, das hinter unserer Unterstützung für Juncker steht, ist nichts anderes als das Demokratieprinzip. Jeder Alternativvorschlag zu Juncker wäre sicher weniger demokratisch legitimiert. Und ich habe bisher niemanden gehört, der infrage stellt, dass wir Europa demokratischer machen.

Im EU-Vertrag von Lissabon steht allerdings nichts von Spitzenkandidaten.
Im deutschen Grundgesetz steht auch nichts von Spitzenkandidaten, und trotzdem werden sie zur Bundestagswahl aufgestellt. Solche juristische Debatten kann man natürlich intensiv führen. Ich respektiere Verträge, keine Frage. Aber die Grundsatzfrage ist eine andere: Wie machen wir die Menschen bei den Prozessen in Brüssel zu Beteiligten? Für die Menschen ist die EU eine „Black Box“. Den Einzelnen beschleicht da ein Gefühl der Ohnmacht: Da wird über mich entschieden, und ich kann es nicht beeinflussen. Das müssen wir ändern.

Welches sind die wichtigsten Baustellen für das Europaparlament in der kommenden Legislaturperiode?
Wir brauchen eine Zukunftsagenda. Europa muss sich verändern. Das Top-Thema lautet Wachstum und Arbeitsplätze. Zudem müssen wir die Flüchtlingsproblematik bewältigen. Hier gilt es, die bestehenden Regelungen umzusetzen: Flüchtlinge in Seenot müssen gerettet und menschenwürdig behandelt werden.

Der Europawahl-Kandidat der Sozialdemokraten, Martin Schulz, ist beim Spitzenkandidaten-Rennen nur zweiter Sieger geblieben. Gibt es Trostpreise für Verlierer?
Wir hatten einen Wettbewerb um den Kommissionspräsidenten – und der ist entschieden. Man muss mit Respekt sagen, dass Europas Sozialdemokraten die Lage anerkannt haben und Jean-Claude Juncker unterstützen.

Schulz hat gesagt, dass die Mehrheitsbildung für Juncker einfacher werde, wenn er Kommissar werde. Wie deuten Sie diese Äußerung?
Die fraktionsübergreifenden Gespräche im Europaparlament über die Wahl Junckers verlaufen gut. Wir wollen dem Kommissionspräsidenten ein ordentliches, kraftvolles Mandat und einen inhaltlichen Auftrag mitgeben. Die Frage, wer Kommissar wird, ist eine Entscheidung auf nationaler Ebene. So wenig, wie ich mich in der Frage einmische, wer in Spanien als EVP-Kommissar vorgeschlagen wird, werde ich mich einmischen beim Thema, wer in Deutschland Kommissar wird. Das gebietet der Respekt vor der Bundesregierung.

Ist zu befürchten, dass die Briten mit Juncker als Kommissionspräsident das europäische Boot verlassen?
In der EVP-Fraktion gibt es den großen Wunsch, den Briten Brücken zu bauen. Wir wollen, dass Großbritannien Teil der EU bleibt. Aber es gibt genauso die klare Ansage: Großbritannien ist ein Staat unter 28. London hat kein Vetorecht.

Werden Sie im Europaparlament mit der rechtskonservativen ECR-Fraktion zusammenarbeiten, die gerade die Abgeordneten der AfD aufgenommen hat?
Es gibt im neuen Europaparlament keine linke Mehrheit, und es gibt auch keine bürgerlich-konservative Mehrheit. Deshalb müssen erst einmal die EVP und die Sozialdemokraten für Stabilität sorgen. Aus diesem Grund sind alle anderen Spekulationen jetzt nicht angesagt.

Kommen wir zum Abschneiden der Christsozialen bei der Europawahl. Um acht Prozentpunkte ist die CSU eingebrochen, es ist ihr schlechtestes Ergebnis seit Jahrzehnten. Hat es sich gerächt, dass man Europa so schlechtgeredet und auf Populismus gesetzt hat?
Das Wahlergebnis war eine herbe Niederlage für die CSU. Und eine Lektion, aus der wir jetzt lernen müssen. Konkret heißt das: Wir dürfen in der Europapolitik nicht als Kraft in Erscheinung treten, die bloß die Probleme beschreibt. Wir müssen auch zeigen, wie wir sie lösen können. Das erwarten die Wähler von uns, und das muss in den nächsten Jahren viel deutlicher werden.

Weber wünscht sich von der CSU "mehr Lust zur Debatte"

CSU-Parteichef Horst Seehofer.
CSU-Parteichef Horst Seehofer.

© dpa

Die Europapolitiker der CSU haben sich ja schon bisher daran gehalten. Nur haben ihnen dabei andere aus der Partei dazwischengefunkt ...
Sagen wir’s mal so: Die Europapolitiker der CSU fühlen sich durch den Wahlausgang deutlich bestärkt, ihren bisherigen Kurs weiterzuverfolgen. Aber das erzwingen letztlich auch die Fakten. Bayern ist derart mit Europa vernetzt und davon auch wirtschaftlich abhängig, dass es keine vernünftige Alternative gibt. Die CSU muss zurück zu ihren Wurzeln, nämlich eine bayerische Volkspartei mit Gestaltungskraft auch in Berlin und in Brüssel zu sein.

Inwieweit ist mit dem Wahlausgang denn der „Europaplan“ der CSU hinfällig geworden? Sie haben darin ja vieles gefordert: die Rückübertragung von Kompetenzen, eine kleinere EU-Kommission, Volksabstimmungen bei wichtigen EU-Entscheidungen, den Austritt überschuldeter Länder aus der Euro-Zone ...
Der Europaplan der CSU ist und bleibt unsere Arbeitsgrundlage. Entsprechend werden wir nun versuchen, möglichst viel von diesen Wahlversprechen durchzusetzen. Einen Beitrittsstopp für die nächsten fünf Jahre zum Beispiel. Europa braucht Grenzen. Wenn wir das erreichen könnten, wäre viel gewonnen. Es wäre ein Signal für die Menschen, dass wir verstanden haben.

Bisher hat die CSU immer postuliert, dass es keine Partei rechts von ihr geben dürfe – und versucht, alle mitzunehmen. Bei der Europawahl jedoch ist dieser Spagat mit den EU-Gegnern gründlich missglückt. Ist das eine Zäsur für die Partei?
Der Umgang mit rechten Populisten ist nicht nur eine Herausforderung für die CSU. Unser Kurs dabei muss es sein, selbstbewusst unsere Werte zu vertreten. Die CSU ist eine christliche Partei, sozial, konservativ und auch liberal. Das sind unsere Pfeiler. Wir dürfen nicht ängstlich auf den Gegner starren, das lenkt nur ab. Wir müssen selber so attraktiv sein, dass es für den Wähler nicht notwendig ist, Populisten nachzulaufen.

Wird es personelle Konsequenzen aus dem Debakel geben? Oder anders gefragt: Darf man einen CSU-Vize Gauweiler, der die EU-Kommission eine „Flaschenmannschaft“ nennt, weiter gewähren lassen?
Es gibt jetzt keine Personaldebatte in der CSU. Was wir brauchen, ist eine Strategiediskussion. Europa darf bei uns jetzt nicht wieder in den Schubladen verschwinden. Es muss im Parteialltag gelebt und in allen Vorstandsgremien diskutiert werden. Dann wird auch deutlich werden, dass die CSU als regionale Partei enormen Einfluss in Brüssel hat.

Ende Juni befasst sich die CSU-Spitze nochmals mit der Europawahl. Was ist davon zu erwarten?
Wir werden offen über die Themen sprechen, die uns umtreiben. Das eine ist: Wir haben bei der Bundes- und Landtagswahl großes Vertrauen in Bayern bekommen. Wer hätte schon erwartet, dass wir im Landtag wieder auf eine absolute Mehrheit kommen? Das andere ist die bittere Erfahrung der Europawahl. Beides muss abgewogen werden.

Wie geschwächt ist denn der Parteivorsitzende durch die Europawahl? Bisher hatte er doch immer ein so gutes Gespür für die Stimmung in Bayern ...
Horst Seehofer ist ein souveräner Parteichef und mit einem starken Ergebnis zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Ich stehe hinter ihm. Wir müssen aber jetzt, in den wahlfreien Jahren, dringend über die Arbeitsweise in der Partei reden. Wir brauchen mehr Lust zur Debatte. Wir müssen in den Gremien wieder offener diskutieren. Und auch differenziertere Perspektiven entwickeln. Im Wahlkampf spitzt man ja manches eher zu und vereinfacht es auch ein Stück weit.

Sollte die Partei nicht auch bei Personalfragen stärker mitreden – die Seehofer-Nachfolge eingeschlossen?
Langfristig stellen sich immer Personalfragen. Ich würde aber allen in der Partei, die sich jetzt über ihre Karriere Gedanken machen, dazu raten, die nächsten Jahre zur Bewährung zu nutzen. Und deutlich zu machen, was sie in ihren Positionen für die CSU zu leisten vermögen.

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