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Der frühere Innenminister Gerhart Baum (FDP) kritisiert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Der Beschluss sei kaum praktikabel.

© picture alliance / dpa

Ex-Innenminister Gerhart Baum im Interview: „Der Beschluss ist kaum praktikabel“

2006 lehnte der Erste Senat militärische Mittel für den Kampf im Inneren ab. Damals gehörte der frühere Innenminister Gerhart Baum zu den Beschwerdeführern. Im Tagesspiegel-Interview erklärt er, warum ihn der neue Beschluss ratlos macht.

Herr Baum, Sie gehörten zu den Beschwerdeführern gegen das Luftsicherheitsgesetz. Wie bewerten Sie nun den neuen Beschluss?

Dieser Beschluss macht mich ratlos. Denn ich frage mich, welche Situation die Richter bei ihrer Entscheidung vor Augen hatten. Für den Abschuss eines gekaperten Flugzeugs ist er untauglich. Denn ein Abschuss wäre allenfalls nur dann gesetzeskonform, wenn es ein Flugzeug voller Krimineller wäre – ohne normale Passagiere oder Crewmitglieder.

Was verstehen Sie unter einer „Ausnahmesituation katastrophischen Ausmaßes“?
Das ist ein völlig unbestimmter Rechtsbegriff. Er verführt aber leider zu einer dehnbaren Auslegung.

Wie praktikabel ist dieser Beschluss?
Er ist kaum praktikabel. Immer wird auf den Schutz des Lebens und der Menschenwürde zu achten sein.

Was macht den Unterschied zwischen polizeilichen und militärischen Mitteln aus?
Die Polizei hat für einen Einsatz ganz klare Regeln. Sie richtet ihre Aktion konkret gegen Störer. Militärische Mittel sind in der Regel nicht geeignet, um gezielt eingesetzt zu werden. Sie sind auf Vernichtung aus und nehmen Kollateralschäden in Kauf. Also, auch die Tötung Unschuldiger. Außerdem muss die gesamte Bundesregierung den Einsatz von militärischen Mitteln billigen, und da möchte man schon wissen, wie das innerhalb kürzester Zeit möglich sein soll. Die Liberalen haben schon erklärt, dass sie den Weg, die Bundeswehr zu Hilfspolizisten zu machen, nicht mitgehen werden. Dennoch bedauere ich diese nun vorgenommene Ausweitung ausdrücklich. Damit wird eine Tür geöffnet.

Aber wird die Sicherheit der Bevölkerung damit nicht erhöht?
Nein, der mit seiner Meinung vom Beschluss abweichende Richter Gaier sagt zu Recht, dass der Beschluss insbesondere gegen terroristische Angriffe „keine messbare Relevanz“ hat.

Bekommt die große Koalition im Nachhinein noch Recht?
Damals wollten die Verantwortlichen einen weitergehenden Einsatz militärischer Mittel. So weit ist das Gericht nicht gegangenen. Allerdings weiten die Richter den Katastrophenbegriff aus. Bisher war der auf Naturkatastrophen beschränkt, jetzt geht es auch um vom Menschen verursachte Katastrophen.

Was bedeutet das für den Gesetzgeber?
Es gibt für ihn keine Notwendigkeit, Gesetze zu ändern. Sie würden auch am Widerstand der FDP scheitern.

Der Beschluss setzt aber enge Grenzen?
Es wirkt fast so, als hätte das Gericht ein schlechtes Gewissen, wenn es betont, dass gewalttätige Demonstrationen, selbst die Bekämpfung militärisch bewaffneter aufständischer Streitkräfte, verboten bleiben, es sei denn, der Bestand der Bundesrepublik ist in Gefahr.

Kommt die Debatte neu ins Rollen – die Union begrüßt die Entscheidung bereits?
Sie hat keinen Anlass zum Jubeln. Der Beschluss ist ärgerlich, unverständlich, und er ist ein weiterer Versuch, die bisherige Rechtssprechung des Ersten Senats abzuschwächen. Seine Wirkung sollte aber nicht überschätzt werden.

Das Gespräch führte Christian Tretbar

Gerhart Baum (FDP) war von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister. Der Jurist war an einer Reihe von Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligt.

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