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Politik: Ex-Politbüromitglied Herbert Häber fühlt sich wie ein Krimineller behandelt - doch die Gauck-Behörde betrachtet ihn als Opfer

Heftige Kritik an den Berliner Justizbehörden hat jetzt Herbert Häber geübt, der bis zu seinem Sturz 1985 einer der wichtigsten Deutschland-Politiker der SED-Führung war. Die seit mehr als vier Jahren gegen ihn laufenden Ermittlungen nannte Häber "eine Beschränkung meiner bürgerlichen Freiheiten".

Heftige Kritik an den Berliner Justizbehörden hat jetzt Herbert Häber geübt, der bis zu seinem Sturz 1985 einer der wichtigsten Deutschland-Politiker der SED-Führung war. Die seit mehr als vier Jahren gegen ihn laufenden Ermittlungen nannte Häber "eine Beschränkung meiner bürgerlichen Freiheiten". Er begreife nicht, dass ihn die Gauck-Behörde nach den über ihn gesammelten Stasi-Akten als "Opfer" betrachte, die Staatsanwaltschaft dagegen als einen Kriminellen. Häber meldete sich auf einer Veranstaltung der "Edition Ost" in Berlin zu Wort. Im Aufsichtsrat dieses Verlages sitzen unter anderen Peter Brandt, der älteste Sohn von Willy Brandt, und der Rechtsanwalt und letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere.

Die kürzlich aufgelöste Berliner Staatsanwaltschaft II, die Behörde von Generalstaatsanwalt Christoph Schaefgen, hatte nach 1990 routinemäßig Ermittlungen gegen Häber eingeleitet, weil er 1984/85 dem SED-Politbüro angehörte. Das führte im Mai 1996 zur Anklageerhebung und dem Erlass eines Haftbefehls wegen angeblicher Fluchtgefahr. Außerdem wurden Pass und Personalausweis eingezogen. In einer zunehmend von Häber als entwürdigend empfundenen Prozedur musste er sich auch einmal wöchentlich "wie ein gewöhnlicher Krimineller" auf seinem Polizeirevier melden.

Pass- und Ausweis-Entzug sowie die Meldepflicht sind seit Anfang September aufgehoben. Doch einen Termin für den Prozess gibt es immer noch nicht. Die 32. Große Strafkammer des Berliner Landgerichts wartet die Entscheidung des 5. Senats des Bundesgerichtshofs (BGH) über die Revisionsanträge des Verfahrens gegen den letzten Partei- und Staatschef der DDR, Egon Krenz, und die Politbüro-Mitglieder Günther Schabowski und Günther Kleiber ab. Wegen Totschlags an Flüchtlingen waren Krenz zu sechseinhalb und Schabowski und Kleiber zu je drei Jahren verurteilt worden. Was Häber verärgert, ist die Tatsache, dass die Ermittlungen gegen ihn "wie im Blindflug" erfolgten. Die Staatsanwälte hätten nie ein Wort mit ihm gesprochen. Allerdings ist er einer Aufforderung zu einer Vernehmung auf Anraten seines Anwalts nicht gefolgt und hatte Akteneinsicht beantragt. Das wurde abgelehnt.

Der heute 69-Jährige weist auf Widersinnigkeiten hin. Wenn er beschuldigt werde, sagt Häber, dass er als Politbüro-Mitglied die Grenzsicherungs-Maßnahmen - also auch die Schüsse auf Flüchtlinge - angeblich mitverantwortet habe, könne er nicht begreifen, warum ihn Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen 1985 bat, die DDR solle den Strom von Asylbewerbern aus Sri Lanka über den DDR-Flughafen Schönefeld stoppen. Er wolle daher in seinem Prozess beantragen, Diepgen als Zeugen laden zu lassen.

Aus inzwischen veröffentlichten Dokumenten der SED-Führung, die vom Bundesarchiv Berlin (Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen) verwahrt werden, geht hervor, dass Diepgen Häber am 12. März 1985 in Leipzig auf das Asylantenproblem angesprochen hatte. Die DDR solle ihre Zusagen gegenüber den skandinavischen Ländern (Weiterreise ab Schönefeld nur mit Einreise-Visa) "auch auf Westberlin" anwenden, weil die Stadt "nur als Durchgangsort" diene. Häber wies dieses Ansinnen als "seltsame Forderung" zurück. Diepgen habe verlangt, "dass die DDR für Westberlin ein Grenzregime errichtet". Die Frage, wer einreise, "ist Sache von Berlin (West) selbst", heißt es in den Dokumenten.

Häber war als langjähriger West-Experte der SED-Führung seit den fünfziger Jahren im Mai 1984 auf Betreiben von Erich Honecker überraschend ins Politbüro aufgestiegen, wurde dort aber wegen seiner Kontakte zu Bonner Spitzenpolitikern aller Parteien argwöhnisch beobachtet. Häber hatte den SED-Chef ermutigt, nach der Raketen-Nachrüstung 1983 am Dialog mit Bonn festzuhalten. Doch als Honecker im Herbst 1984, wie von Häber vorgeschlagen, für eine "Koalition der Vernunft" mit der Bundesrepublik plädierte, scheiterte er an der Kreml-Führung. Dem SED-Chef wurde eine "Gefährdung der Sicherheitsinteressen der Sowjetunion" vorgeworfen. Häber fiel in Ungnade. Nach einem von Stasi-Chef Erich Mielke konstruierten Vorwand wurde er "aus gesundheitlichen Gründen" aus dem Politbüro ausgeschlossen.

Frühere SED-Funktionäre betrachteten Häber dennoch als "Verräter". Sie nehmen ihm übel, dass er die Behauptung vom "unverbrüchlichen Bruderbund" zwischen der UdSSR und der DDR vor mehr als 15 Jahren als Propaganda-Lüge ansah. Die DDR sei auf Gedeih und Verderb an Moskau gebunden gewesen, sagt Häber jetzt. "Gnade uns, wenn wir allein geblieben wären, und der Westen nicht geholfen hätte."

Peter Nöldechen

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