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Zu alt oder zu krank für eine Lockerung der Corona-Beschränkungen? Wer bestimmt das eigentlich?

© Sebastian Gollnow/dpa

Exit-Strategien für das Coronavirus: Warum wir Risikogruppen nicht isolieren dürfen

Was jetzt getan werden muss: mehr Tests, mehr Schutzmasken, eine Bewegungs-App. Was nicht geschehen darf: die Trennung der Gesellschaft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Je länger die Corona-Krise andauert, desto dramatischer sind nicht nur die Bilder der Virus-Leichen, sondern auch die Folgen von dessen Bekämpfung: Firmeninsolvenzen, steigende Arbeitslosigkeit, Einschränkungen der Freiheitsrechte, Schulausfall.

Die Aufzählung hat einen Anfang, aber kein Ende. Immer dringlicher stellt sich die quälende Frage: Wann hört das endlich auf?

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Bislang steht eine Mehrheit der Menschen hinter den Maßnahmen. Doch Geduld, Ausdauer und Durchhaltewillen sind womöglich nicht grenzenlos. Intensiv wird daher nach Auswegen gesucht. Der Shutdown müsse schrittweise gelockert werden, heißt es.

Doch wie? Renommierte Forscher um Ifo-Präsident Clemens Fuest und Martin Lohse, Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, forderten am Freitag eine „flexible, nach Risiken gestaffelte Strategie“. Beginnen könnte man in Regionen mit wenig Infizierten und ausreichenden Kapazitäten im Gesundheitssystem.

Die Datenbasis muss vergrößert werden

Insgesamt stehen die meisten aktuellen Empfehlungen auf vier Säulen: Intensivierung der Tests, Ausweitung des Mundschutzes, Einführung einer Bewegungs-App und spezieller Schutz von Risikogruppen.

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Die ersten drei Punkte sind richtig. Es ist notwendig, die Datenbasis darüber, wer infiziert ist oder bereits eine Infektion überstanden hat, massiv zu vergrößern. Dazu braucht es umfassendere und schnellere Tests sowie die entsprechenden Laborkapazitäten.

Ebenso sinnvoll ist es, das Tragen eines Mundschutzes in der Öffentlichkeit zur Norm zu machen. Das erkennt auch das Robert-Koch-Institut inzwischen an. Eine App wiederum kann helfen, Infektionswege nachzuvollziehen. Das Tragen einer solchen App wäre freiwillig.

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Problematisch ist der vierte Punkt, den auch der Chef des Bundeskanzleramtes, Helge Braun, erwogen hat. Demnach könnte die Einschränkung der sozialen Kontakte ab einem bestimmten Datum nur noch für Risikogruppen gelten. Das sind ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Krankheit schwer verläuft oder gar einen tödlichen Ausgang nimmt. Alle anderen Menschen sollten zu ihrem Alltag zurückkehren und allmählich eine Immunität aufbauen.

Die Corona-Exit-Strategie und die Frage nach Gerechtigkeit

Was in der Theorie gut klingt, würde in der Praxis einen Bruch mit dem Solidaritätsprinzip bedeuten. Nicht mehr die Gesellschaft als Ganze würde in die Verantwortung für die Bekämpfung von Covid-19 genommen, sondern die Hauptlasten würden bestimmte Gruppen schultern. Das wirft Fragen der Gerechtigkeit auf. Wer darf demnächst die alten Freiheiten wieder genießen und warum?

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Es gibt rüstige Alte und weniger rüstige. Und wann beginnt das Alter, ab dem eine längere Isolation notwendig ist – mit 50, 60, 70 Jahren? Es gibt gravierende Vorerkrankungen und weniger gravierende. Welche sind maßgeblich? Und es gibt die Raucher, die laut Robert-Koch-Institut ebenfalls zur Risikogruppe zählen. Allein deren Zahl beliefe sich in Deutschland auf etwa 15 Millionen Menschen.

Risikogruppen dürfen in Corona-Zeiten nicht gegen den Rest der Bevölkerung ausgespielt werden, meint unser Autor.
Risikogruppen dürfen in Corona-Zeiten nicht gegen den Rest der Bevölkerung ausgespielt werden, meint unser Autor.

© Jonas Güttler/dpa

Eine Trennung der Bevölkerung in freie und isolierte Menschen aufgrund willkürlich anmutender Kriterien würde den breiten Konsens über die Maßnahmen – und damit ihre Akzeptanz – gefährden. Zunehmende Polarisierung wäre die Konsequenz.

Das Coronavirus kann jeden töten

Ohnehin schleichen sich in die Debatte Nützlichkeitsgedanken und stigmatisierende Metaphern ein. Als ginge es darum, dass viele gesunde junge Menschen große Opfer bringen für wenige vorbelastete alte Menschen. Nein, das Coronavirus kann jeden treffen und jeden töten. Wer mit Statistiken und daraus abgeleiteten Wahrscheinlichkeiten argumentiert, tappt in die Vorurteilsfalle.

Anfangs zielten die Aversionen auf asiatisch aussehende Menschen. In Indien und Afrika zielen sie hingegen längst auf Europäer, die beschuldigt werden, das Virus einzuschleppen. Solche Reflexe wecken traurige Erinnerungen: Kaum etwas hat in den achtziger Jahren die Diskriminierung von Homosexuellen stärker befördert als die Diskussion über HIV und Aids.

Wenn eine neue ansteckende oder übertragbare Krankheit auftaucht, suchen viele Menschen nach Schuldigen. Außerdem werden potenziellen Opfern Eigenschaften angedichtet, die ihr Schicksal verständlich und damit erträglich machen sollen. Frei nach Theodor Lessing lässt sich das als „Sinngebung des Sinnlosen“ charakterisieren.

Das Recht auf Nicht-Diskriminierung in Corona-Zeiten

Wie fühlen sich wohl die Alten in Deutschland, wenn fortwährend gesagt wird, all die Maßnahmen dienten vor allem ihrem Schutz? Dass die meisten anderen Menschen mit dem Coronavirus schon fertig würden? Einige Alte mögen Dankbarkeit dafür empfinden, bei anderen mischt sich Scham hinzu. Das ist den Alten gegenüber fast so unfair wie das Lied von der Oma-Umweltsau, auf deren Konto die globale Erderwärmung geht.

In Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes steht: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Aber wegen seines Alters? Wegen seiner Krankheiten? Die Risikogruppen werden isoliert, alle anderen sind frei? Das widerspricht sowohl dem Gleichheitsgrundsatz als auch dem Diskriminierungsverbot.

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