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Fachkräfte: Wie Deutschland attraktiver werden kann

Die deutsche Wirtschaft erleidet Milliardenverluste, weil es an Hochqualifizierten fehlt. Was muss Deutschland tun, um für Fachkräfte attraktiv zu sein?

Politik und Wirtschaft befürchten einen Fachkräftemangel – was ist das?

Die Arbeit ist da, aber es gibt nicht genügend Menschen, die sie erledigen können: Auf 15 Milliarden Euro beziffert Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) den Wohlstandsverlust, den Deutschland allein 2009, auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise, erlitten hat, weil Fachkräfte fehlten, vor allem im Süden und Südwesten Deutschlands, wo praktisch Vollbeschäftigung herrsche. Doch viele der Fachkräfte sind bereits im Land: Industrie, Handel und Handwerk schätzen den Fachkräftebedarf in Deutschland auf 400 000 Menschen, etwa 300 000 sollen nach Einschätzung der Regierung schon im Land sein – jene „Bildungsausländer“, also Einwanderer mit einem ausländischen Berufs- oder Universitätsabschluss, denen lediglich die Anerkennung ihrer Zeugnisse fehlt. „Die meisten haben MINT-Abschlüsse“, sagt Dirk Werner vom Institut der deutschen Wirtschaft – sind also mathematisch-naturwissenschaftlich ausgebildet.

Weshalb stockt die Anerkennung ausländischer Abschlüsse?

Putzfrauen, die früher als Chirurginnen im OP standen, IT-Ingenieure, die heute Taxi fahren, obwohl sie in ihren erlernten Berufen dringend gebraucht würden: Die Klage über solche Missstände ist viele Jahre alt, getan hat sich bisher wenig. Für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse sind in Deutschland 16 Bundesländer zuständig, Verfahren gibt es aber noch mehr, weil je nach Beruf die Handwerks- und Ärztekammern oder Behörden für die Prüfung der Zeugnisse zuständig sind. Das Problem ist aber nicht nur der Dschungel der Verfahren, sondern auch der Mangel an Rechtssicherheit: Einen Anspruch auf Prüfung gibt es nicht, und die Prüfer sind oft Richter und Partei in einem. Dass Kammern nicht immer ein Interesse an qualifizierter Konkurrenz aus dem Ausland haben und qualifzierten Spezialisten die Anerkennung verweigern, ist ein offenes Geheimnis. Ganz abgesehen davaon, dass manchmal vor dem Blick auf die Qualifikation die Staatsangehörigkeit zählt: Eine Praxis zu eröffnen, ist in Deutschland nur Deutschen, inzwischen auch EU-Bürgern, erlaubt. Viele hochqualifizierte Migranten wollen sich dem offenbar nicht mehr aussetzen: „Die Gesamtzahl der Anträge auf Qualifikationsbewertung ist in den letzten Jahren in Deuschland im Durchschnitt gesunken“, schreiben die vom Wirtschaftsministerium beauftragten Experten.

Was wird jetzt getan?

Das lange angekündigte Gesetz zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse ist inzwischen auf dem Weg. Nach dem Willen von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) soll es noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Sein Ziel: Wer einen ausländischen Berufsabschluss hat, soll danach einen Rechtsanspruch auf dessen Prüfung haben – und dies soll innerhalb von drei Monaten geschehen. Frühere Überlegungen sahen noch sechs Monate vor. Die Datenbank, die das Wirtschaftsministerium, ebenfalls möglichst noch in diesem Jahr, zur Verfügung stellen will, soll Interessierten rasch einen Überblick verschaffen, welche Zeugnisse sie vorlegen müssen und welche Möglichkeiten sie haben, ihren Abschluss in Deutschland anerkennen zu lassen. Dies alles kann die Verfahren beschleunigen – ob dies auch zu einer nennenswert höheren Zahl anerkannter Abschlüsse führen wird, muss sich noch erweisen. Bisher wird darüber keine Statistik geführt.

Was wurde bisher getan?

Dass Fachkräfte um Deutschland gern einen Bogen machen, beschäftigt die Politik schon länger. Unter Gerhard Schröders rot-grüner Regierung wurde 2000 die „Greencard“ erfunden, die bis 2004 galt und der Nachfrage nach IT-Fachleuten abhelfen sollte. Sie brachte den Zuzug von mageren 17 000 Fachleuten. Obwohl sie innenpolitisch ebenso heftig umkämpft war wie noch jeder Versuch, aktiv Einwanderer ins Land zu holen (den späteren Wahlsiger in NRW Jürgen Rüttgers inspirierte sie zur Parole „Kinder statt Inder“) war die Greencard eng begrenzt und unter anderem an ein Jahresgehalt von mindestens 50 000 Euro gekoppelt.

Seit Januar 2009 öffnen neue Regeln Uni-Absolventen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten uneingeschränkten Zutritt zum deutschen Arbeitsmarkt. Zuvor galt auch für sie dasselbe wie für Migranten aus Drittstaaten, nämlich die sogenannte „Vorrangprüfung“: Einen Job in Deutschland gab es nur, wenn dafür kein Deutscher zur Verfügung stand. Für Hochschulabsolventen von außerhalb der EU galt dies jedoch weiterhin. Die Einkommensgrenze, die Hochqualifizierte erreichen mussten, um dauerhaften Aufenthalt in Deutschland zu bekommen, sank von 86 400 auf 63 600 Euro pro Jahr. Für alle anderen Neu-EU-Bürger endet die Frist erst im Frühjahr. Für für hier lebende Flüchtlinge und „geduldete Ausländer“ verbesserte sich 2009 die Lage, aber sie sind nach wie vor deutlichen Beschränkungen unterworfen: Keine Arbeitserlaubnis grundsätzlich im ersten Jahr ihres Aufenthalts – was ihre vieldiskutierte Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung zu keiner Wahl, sondern einem Muss macht. Und Geduldete haben erst nach vier Jahren Aufenthalt freien Zugang zum Arbeitsmarkt.

Was soll noch geschehen?

Im Gespräch ist neuerdings wieder ein Punkte-System nach kanadischem und australischem Vorbild: Wer einwandern will, sollte einen im Aufnahmeland gefragten Beruf haben, gute Kenntnisse der Landessprache und möglichst nicht zu alt sein. Für all dies – und für eine feste Arbeitszusage – gibt es Punkte; wer eine bestimmte Zahl erreicht, kommt ins Auswahlverfahren.

In Kanada gilt dieses System schon seit den 60er Jahren. In Deutschland waren die Widerstände bis vor wenigen Jahren noch massiv: Die Regierungskommission für Zuwanderung unter der CDU-Politikerin Rita Süssmuth wurde aufgelöst, nachdem sie den Vorschlag gemacht hatte, gut ausgebildete Einwanderer ins Land zu holen.

Was fehlt Deutschland?

Bundeswirtschaftsminister Brüderle erwähnte am Montag erneut die Notwendigkeit einer neuen „Willkommenskultur“ – Deutschland müsse sich „auch von der Mentalität her öffnen“. Auch seine Kabinettskollegin Schavan forderte jetzt in der „Financial Times Deutschlands“ zum „Mentalitätswandel“ auf. Beiden schwant, dass die umschwärmten Fachleute sich wirklich willkommen fühlen müssen, um sich für Deutschland zu entscheiden.

Die derzeit wieder aggressive Migrations- und Islamdebatte dürfte da eher schaden. Oder wie es Anthony Hyman, am Dresdner Max-Planck-Institut arbeitender britischer Biogenetiker und Mitglied im Ausländerrat der Stadt ausdrückte: „Wer qualifizierte Einwanderer will, darf keinen Unterschied zwischen guten und schlechten Ausländern machen.“

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