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Politik: Fällt die Friedensbewegung dem Krieg zum Opfer? (Kommentar)

Vor einem Jahr begann die Nato Luftangriffe auf Jugoslawien. Halten die damaligen Rechtfertigungen heute einer Überprüfung stand?

Vor einem Jahr begann die Nato Luftangriffe auf Jugoslawien. Halten die damaligen Rechtfertigungen heute einer Überprüfung stand? Widersprüche und Ungereimtheiten bleiben bezüglich der Art, wie die Bundesregierung die serbischen Verbrechen damals darstellte. Da ist Aufklärung notwendig. Zugleich bleibt unbestreitbar, dass serbische Kräfte bei der Bekämpfung der UCK in den ersten Monaten des Jahres 1999 Vertreibungsverbrechen im großen Stil begingen. Das sollten auch die Kriegsgegner nicht ignorieren. Zweifel sind berechtigt, ob bei den Verhandlungen in Rambouillet und Paris alle Verständigungsmöglichkeiten ausgeschöpft wurden. Der Vorwurf aber, der Westen habe das Scheitern absichtlich betrieben, ist Ausdruck von Verschwörungstheorien. Milosevic hat jedes Verhandeln über die Stationierung von Truppen zur Absicherung des Abkommens abgelehnt.

Die Nato-Intervention sollte Vertreibung und Flucht stoppen und im Kosovo wieder ein multiethnisches Zusammenleben möglich machen. Dieses Ziel wurde verfehlt, unter den Luftangriffen radikalisierten die serbischen Kräfte ihren Vertreibungsterror. Erst mit dem Waffenstillstand nach 78 Tagen - unter Vermittlung des finnischen Präsidenten und Russlands - wurde die vollständige Vertreibung der Kosovo-Albaner und eine Destabilisierung des ganzen südlichen Balkan verhindert, die Vertriebenen konnten zurückkehren. Dieser nur zum Teil sichtbare Erfolg ging einher mit erheblichen zivilen Opfern, Zerstörungen und ökologischen Verseuchungen auf serbischer Seite. Offenbar wurde die zivile Gesellschaft mehr getroffen als das serbische Militär.

Es gibt keinen Grund, diesen von Rot-Grün mitveranworteten Luftkrieg zu verharmlosen. Er war ein großes Übel - zur Verhinderung eines noch größeren Übels, wie ich weiterhin überzeugt bin. Auf die damalige Schlüsselfrage nach realen Handlungsalternativen hörte ich von unseren schärfsten Kritikern keine überzeugende Antwort.

Seit neun Monaten versuchen die Friedenstruppe KFOR, die UN, die OSZE und viele Nichtregierungsorganisationen im Kosovo Sicherheit und Frieden zu schaffen. Sie konnten nicht verhindern, dass nun Serben vertrieben werden und dass Minderheiten nicht sicher leben können. Die Verantwortung dafür tragen nicht die Soldaten, Polizisten und zivilen Helfer, die einen vorbildlichen Einsatz leisten, sondern die Staaten, die dem zivilen Aufbau notorisch Personal und Geld verweigern. Der von Außenminister Fischer initiierte Stabilitätspakt ist ein hervorragender Ansatz, um in der gesamten Krisenregion einen selbsttragenden Friedensprozess zu fördern.

Zentrale Konsequenz der EU-Staaten aus dem Kosovo-Krieg scheint eine europäische "Nachrüstung" zu sein, um sich dem militärtechnischen Niveau der USA anzunähern. Auch wenn meine rot-grüne Bundesregierung das mitträgt - es ist kurzsichtig. Es läuft darauf hinaus, beim nächsten Politikversagen gleichberechtigter dabei zu sein.

Vorrangige Konsequenz muss es sein, diese "nächsten Male" mit aller Energie zu vermeiden und primär die Fähigkeiten zur Krisenprävention, zivilen Konfliktbearbeitung und Friedenskonsolidierung zu stärken. Das Jahr 1999 brachte da Fortschritte: Beschlüsse der OSZE- und EU-Gipfel zur Stärkung ihrer zivilen Eingreiffähigkeit bei Krisen, Krisenprävention als Hauptthema beim G-8-Außenministertreffen. Dazu leistet auch die Bundesregierung ihren Beitrag: Ausbildung von Friedenspersonal, Aufbau eines zivilen Friedensdienstes, wirkungsvollere Sanktionsmechanismen.

Gegenwärtig wächst die Kriegsgefahr vor allem in Südserbien und Montenegro. Albanische Extremisten provozieren Auseinandersetzungen mit serbischen Kräften und spekulieren darauf, dass neue Flüchtlingsströme KFOR und Nato zum Eingreifen zwingen. Milosevic verschärft seinen Druck auf Montenegro durch Handelsboykott, die Aufstellung von Sondereinheiten in der 2. Armee und Einschleusung von Offizieren. Die montenegrinische Regierung setzt ihren Kurs der de-facto-Souveränität fort, hat aber das Referendum über die Unabhängigkeit zurückgestellt. OSZE- und EU-Beobachter in der Region rechnen nicht mit einer akuten Eskalationsgefahr, sehen aber in der Politik Belgrads mehr als nur Nadelstiche. Die Nato und die USA warnen Milosevic vor einem Eingreifen. Zugleich vermeidet der Westen ein Beistandsversprechen, weil das Montenegro zur Loslösung ermutigen und den Konflikt provozieren könnte. Hinweise auf aktuelle militärische Planungen der Nato oder gar der Bundeswehr haben wir nicht. Es kommt in erster Linie auf die wirtschaftliche Unterstützung Montenegros und die Einbindung in den Stabilitätspakt an.

Die meisten Friedensgruppen sind von Rot-Grün und insbesondere von den Bündnisgrünen tief enttäuscht. Massenweise sind politisch-menschlich Beziehungen zerbrochen. Langjährige politische WeggefährtInnen wandten sich voneinander ab.

Die verbliebene Friedensbewegung ist sehr heterogen: In den Strömungen, für die die Gegnerschaft zu Nato und USA im Vordergrund stehen, dominieren Unversöhnlichkeit und offene Gegnerschaft zu den Grünen. Hier beobachte ich eine gewisse Wiederbelebung von traditionellem Antiimperialismus bis zu Linkssektierertum. Differenzierter ist das Verhalten christlicher und anderer Friedensgruppen, die sich nicht auf Kritik an der Nato beschränken, sondern sich schon länger um konstruktive Friedensarbeit bemühen: Dort gibt es Versuche, die Dilemmata für Grüne in Regierungsverantwortung, wie sie sich in bewaffneten Konflikten verhalten, nicht einfach beiseite zu wischen, sondern sie zu verstehen.

Eine Außenpolitik, die Friedenspolitik sein soll, braucht die Kontrolle und Ermutigung einer Friedensbewegung, die nicht marginalisiert ist, sondern in der Gesellschaft wirkt und gehört wird. Dafür ist Dialogbereitschaft statt Rechthaberei bei Grünen und Friedensbewegten die erste Voraussetzung.Der Autor ist Bundestagsabgeordneter der Grünen und Mitglied des Verteidigungsausschusses.

Winfried Nachtwei

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