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Radler auf der Piazza Bra in Verona

© imago

Fahrräder in der Stadt: Wegen Covid: Italien entdeckt das Alltagsradeln

Corona und staatliche Kaufprämien für "la bici" haben in Italien einen Radelboom ausgelöst. Die Verkehrspolitik passt vielerorts nicht dazu.

Das Land des Giro d’Italia, der schönen Renner, ist eine Zweiradnation. Freilich vor allem am Sonntag. Dann sitzen selbst Schwergewichte im Sattel schnittiger Sportmodelle und quälen sich sogar im Hochsommer Passstraßen hinauf. Von Montag bis Freitag steht Italien dagegen lieber – im Stau. „Wenn meine Nachbarn mich radfahren sehen, rufen sie mir immer 'viel Spaß' hinterher“, seufzte vor Jahren Alberto Fiorillo im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Der leidenschaftliche Alltagsradler hat den "GRAB" mitinitiiert, jenen Radring, der seit ein paar Jahren rings um Rom führt wie bis dahin nur der ewig vom Autoverkehr verstopfte GRA, der „grande raccordo annulare“. Wenn er dagegen ins Auto steige, "dann heißt es: 'frohes Schaffen!'".

Angst vorm Bus: Man fährt mehr Auto, aber auch mehr Rad

Das allerdings hat sich unter Covid ein deutliches Bisschen geändert – wenn auch teils anders, als sich das Aktivisten wie Fiorillo wünschten: Die Angst vor Ansteckung hat noch mehr Italienerinnen und Italienern den öffentlichen Nahverkehr verleidet. Aber unter den nun favorisierten Privatvehikeln erleben nicht nur die mit Motor eine Renaissance. Man geht auch wieder öfter zu Fuß – oder nutzt "la bici", das Rad. Die in Rom erscheinende Tageszeitung „La repubblica“ zitierte Ende August eine europaweite Studie über die Folgen des Virus für den Verkehr, derzufolge mehr als ein Drittel der Italiener erklärten, sie nutzten statt Bus, Tram und Bahn inzwischen häufiger Auto und Fahrrad und liefen die nötigen Wege. Auch für Italien stimme, was sich weltweit unter Covid getan habe: Per pedes oder Rad hätten sich früher 21 Prozent der Menschen bewegt, inzwischen seien es 59 Prozent. Für die nächsten zwölf bis 18 Monate sagt die Untersuchung einen Boom des Radverkehrs voraus.
Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass die Regierung von Premier Giuseppe Conte in der Krise großzügig sponsort. Bis zu 500 Euro oder 60 Prozent schießt Vater Staat für den Kauf eines Rades zu. Allein im Mai wurden 200 000 Räder mehr in Italien verkauft als im gleichen Zeitraum des Jahres zuvor, ein Plus von stattlichen 60 Prozent. Die Läden waren schon im Juni leergekauft, die Kundschaft wurde auf September vertröstet.

Radnotstandsgebiet Rom

Auch die Lust an der Bewegung, die unter den harten Regeln im Lockdown entstand – die Wohnung durfte man nur zum Arbeiten, Einkaufen und eingeschränkt zum Sport vorm Haus verlassen – soll sich erhalten haben. Vor dem 8. März verbrachte Italiens Bevölkerung statistisch täglich eine halbe Stunde im Radsattel. Im Sommer wurde eine ganze Stunde daraus – mit deutlichem Nord-Süd-Gefälle. Spitzenreiter ist Bozen in Südtirol mit 82 Minuten, L’Aquila in den Marken kommt auf 66. Die Schlusslichter sind Catanzaro, Macerata und mit nur 17 Minuten täglich Sassari auf Sardinien.
Bleibt die Frage, ob die Infrastruktur hinterherkommt. Zwar meldet die Toskana, dass 63 Gemeinden jetzt Radwege anlegten, die Marken wollen ein 500-Kilometer-Netz verbessern und teils neu anlegen. In Rom freilich konnte selbst eine höchst aktive Radlergemeinde noch wenig an der desolaten Lage ändern: keine oder überwachsene Radwege, solche, die im Nichts beginnen und enden. Und vor allem: Ein Autoverkehr, der das Radeln, auch in andern großen italienischen Städten, zum lebensgefährlichen Abenteuersport macht.

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