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"Fall Motassadeq": In den Tiefen der Justiz

Während sich Mounir al Motassadeq nach dem BGH-Urteil auch wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung auf eine lange Haftstrafe gefasst machen muss, ist dessen Gesinnungsgenosse Mzoudi trotz ähnlicher Ausgangslage inzwischen auf freiem Fuß.

Karlsruhe - Die Reaktionen auf die Verurteilung des Marokkaners Mounir al Motassadeq durch den Bundesgerichtshof wegen seiner Beteiligung an den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hätten kaum unterschiedlicher ausfallen können. "Das ist ein Fehlurteil. Motassadeq hätte freigesprochen werden müssen", sagte dessen Verteidiger Udo Jacobs in die Mikrofone arabischer Rundfunk- und TV-Sender. Bundesanwalt Gerhard Altvater zeigte sich dagegen höchst zufrieden: "Diese Korrektur des Hamburger Urteils ist mehr als wir erwartet haben."

Beide Einschätzungen sind Folge eines Rechtssystems, das Tatrichtern einen weiten Spielraum bei der Bewertung von Beweisen einräumt und Revisionsrichtern nur die Korrektur offensichtlicher Fehler erlaubt. Motassadeqs ebenfalls terrorverdächtiger Landsmann Abdelghani Mzoudi profitierte davon mit einem Freispruch. Motassadeq dagegen wurde vom BGH der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie zusätzlich der Beihilfe zum Mord an den 246 Insassen der Flugzeuge schuldig gesprochen, die bei den Anschlägen zum Absturz gebracht wurden. Der 32-Jährige muss nun mit 15 Jahren Haft rechnen.

Lange Prozessgeschichte

Zu solch einem Strafmaß war er wegen Beihilfe zum Mord in 3066 Fällen bereits in einem ersten Prozess im Februar 2003 verurteilt worden. Dieses Urteil hatte der BGH dann auf die Revision des Angeklagten aufgehoben. Begründung: Das Hamburger Oberlandesgericht (OLG) hatte damals den Umstand nicht gewürdigt, dass die USA möglicherweise entlastende Aussagen des mutmaßlichen Drahtziehers der Anschläge, Ramzi Binalshibh, nicht zur Verfügung gestellt hatten.

Im zweiten Hamburger Prozess verurteilte dann eine andere Strafkammer des OLG Motassadeq im August 2005 zwar zu sieben Jahren Haft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Sie sprach ihn aber überraschend vom Schuldvorwurf der Mordbeihilfe frei. Motassadeq sei zwar bekannt gewesen, dass die Todespiloten der Hamburger Gruppe in den USA vier Flugzeuge entführen und damit Selbstmordattentate begehen wollten. Dies habe er akzeptiert und die Terroristen dabei auch unterstützt. Weil er aber die genauen Anschlagsziele und ihrer Dimension nicht kannte, sei nicht auszuschließen, dass er Attentate solch ungeheueren Ausmaßes nicht gutgeheißen hätte. Deshalb liege insgesamt auch kein Beihilfevorsatz vor, bewertete das OLG die Beweislage.

Hamburger Richter müssen Strafmaß festsetzen

Diesen aus Juristensicht schwerwiegenden handwerklichen Fehler rückte der BGH nun wieder gerade und verwies dazu auf die eigenen Feststellungen des OLG. Demnach hatte Motassadeq zumindest vorsätzlich Hilfe zur Ermordung der 246 Flugzeuginsassen geleistet. Dafür müsse er auch verurteilt werden, entschieden die Karlsruher Richter und überließen den Hamburger Kollegen nun nur noch die Festsetzung des Strafmaßes.

Gleichwohl war der Vorsitzende Richter Klaus Tolksdorf nicht ganz zufrieden. Dass Motassadeq nun ein drittes Mal vor Gericht stehen wird, um nach dann mehr als dreijähriger Verfahrensdauer endgültig abgeurteilt zu werden, lässt laut Tolksdorf in der Öffentlichkeit womöglich "Zweifel daran aufkommen, ob Gerichte einen Beitrag zum Kampf gegen den Terrorismus leisten können".

Logische Fehler, Widersprüche oder Lücken

Diese Zweifel versuchte Tolksdorf mit dem Hinweis auf die Bedeutung eines fehlerfreien Urteils für den Angeklagten zu zerstreuen. Dass Urteile von Tatgerichten in einer höheren Instanz korrigiert werden können, ist die Stärke des deutschen Rechtssystems. Dass Richter wegen ihrer vom Gesetz gewollten Unabhängigkeit sehr frei sind bei der Bewertung belastender Indizien und Beweise, ist allerdings Teil dieses Systems. Laut Tolksdorf kann der BGH Urteile deshalb nur aufheben, wenn er bei der Beweiswürdigung der Vorinstanz "logische Fehler, Widersprüche oder Lücken" feststellt.

Bei Motassadeq war das der Fall. Bei dessen Gesinnungsgenossen Mzoudi gelang es trotz ähnlicher Ausgangslage nicht. Den Freispruch des Hamburger Islamisten vom Terrorverdacht im Februar 2004 konnte der BGH nicht knacken. Motassadeqs Landsmann lebt nun unbehelligt in Marokko. "Diese unterschiedlichen Urteile trotz ähnlicher Beweislage sind der Unabhängigkeit der Richter geschuldet", sagte Bundesanwalt Gerhard Altvater. (tso/AFP)

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