zum Hauptinhalt
Thilo Sarrazin 2011 auf dem Weg zu seinem SPD-Parteiordnungsverfahren

© Tim Brakemeier/dpa

Fall Sarrazin: Menschenrechtsinstitut: Bundesregierung muss gegen Rassismus vorgehen

Wer ausreichend viele beleidigt, beleidigt keinen mehr - das ist der gängige Umgang der Justiz mit rassistischen Äußerungen, meinen Menschenrechtsexperten. Nach UN-Kritik am Fall Sarrazin will die Bundesregierung nun die Gesetzgebung auf den Prüfstand stellen.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) hat die Bundesregierung aufgefordert, ihren Worten im Fall Sarrazin Taten folgen zu lassen: „Nach der Entscheidung des UN-Antirassismus-Ausschusses besteht Handlungsbedarf bei der Bekämpfung des Rassismus in Deutschland", sagte die Direktorin des Instituts, Beate Rudolph, dem Tagesspiegel. Es sei nicht damit getan, dass die Kritik des Ausschusses an die Länder und deren Justiz weitergeleitet werde. Schon im April, sagte Rudolph, habe die Regierung dem UN-Menschenrechtsrat in Genf versprochen, sich mit der internationalen Kritik an unzureichender Rassismusbekämpfung in Deutschland auseinanderzusetzen.

Berlin prüft derzeit die deutsche Gesetzgebung - und will die Einstellung des Verfahrens gegen Sarrazin überdenken

Wie am Freitag bekannt wurde, hat Berlin in einem Schreiben an den Genfer UN-Ausschuss versichert, dass derzeit die deutsche Gesetzgebung daraufhin überprüft werde, ob sie ausreichend Schutz vor Rassismus biete. Außerdem habe man die Berliner Staatsanwaltschaft gebeten, die Einstellung des Verfahrens gegen den früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) "zu überdenken"., heißt es in der Verbalnote, die dem Tagesspiegel vorliegt.

Der Ausschuss hatte im vergangenen April Interview-Äußerungen Sarrazins gegen türkische und arabische Berliner als rassistisch qualifiziert und gerügt, dass Ermittlungsverfahren gegen Sarrazin wegen Beleidigung und Volksverhetzung eingestellt wurden. Dies sei ein Verstoß gegen die Antirassismus-Konvention, die auch Deutschland unterschrieben hat. Entsprechende Gesetze, so der Ausschuss, würden zu eng ausgelegt. Dem Ausschuss hatte das Interview vorgelegen, das Sarrazin 2009 der Zeitschrift "Lettre" gegeben hatte. Ein Jahr später erschien sein Buch "Deutschland schafft sich ab", von dem seither 1,35 Millionen Exemplare verkauft wurden.

Sarrazins Äußerung zu "Kopftuchmädchen" wird in Deutschland als nicht rassistisch begriffen

Nach Ansicht von Hendrik Cremer vom DIMR war die Haltung der Berliner Staatsanwaltschaft im Fall Sarrazin durchaus typisch für den Umgang mit rassistischen Beleidigungen durch die deutsche Justiz. "Nach der gängigen Rechtsprechung sind Kollektiv-Beleidigungen nämlich nicht möglich", sagte Cremer dem "Mediendienst Integration". "Wenn sich Äußerungen gegen eine große Anzahl von Personen richten, wird regelmäßig davon ausgegangen, dass es ihnen an Intensität fehlt, um beleidigenden Charakter zu haben. Dann spielt es auch keine Rolle mehr, ob Äußerungen rassistisch sind."

Sarrazin hatte Migranten unter anderem vorgeworfen, sie lebten vom Staat, lehnten ihn ab, sorgten nicht ausreichend für ihre Kinder und produzierten ""ständig neue kleine Kopftuchmädchen". Dies gelte "für siebzig Prozent der türkischen und für neunzig Prozent der arabischen Bevölkerung von Berlin", sagte Sarrazin damals. Diese Zahlen bezeichnete er später selbst als nicht bewiesen oder belegt ("gegriffen"). Cremer hält das herrschende enge Verständnis von Rassismus in der Justiz für problematisch: "Zumindest wurden bisher meist nur Personen wegen rassistischer Äußerungen verurteilt, die eindeutig dem rechtsextremen Umfeld angehörten. Der Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft wird unter Umständen nicht als solcher gesehen."

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false