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Politik: Falsches Lächeln

DAS KANZLER-PROBLEM

Von Bernd Ulrich

Ist es leicht, Deutschland zu regieren, in diesen Zeiten? Sicher nicht. Ist es unmöglich? Das nun auch wieder nicht. Franz Müntefering beispielsweise, der ehemalige Betonsozi und amtierende SPDFraktionsvorsitzende, hat das Prinzip zeitgemäßen Regierens etwa so formuliert: alles tun, damit es mehr Wachstum gibt, dabei aber die Strukturreformen so vorantreiben, als gäbe es nur wenig Wachstum. Das ist ziemlich vernünftig. Schließlich wurde die Regierung in den vergangenen drei Jahren immer unglaubwürdiger, weil sie jedes Mal wieder auf starkes Wachstum und wenig Reformen setzte, um dann wegen des geringen Wachstums panisch hinterherreformieren zu müssen. Münteferings Prinzip ist aber auch deshalb vernünftig, weil es in Zukunft gewiss nicht genug Wachstum geben wird, um das Schrumpfen der Bevölkerung kompensieren zu können.

Daraus ließe sich Politik machen, keine plumpe, keine einfache, eher Hochleistungspolitik. Allerdings nur, wenn RotGrün die dazugehörige Doppelbotschaft verständlich unter die Leute bringt. Die Steuersenkung soll sagen: Gebt Geld aus! Die großen Reformen hingegen stellen eine Wende zum Weniger dar, zu Bescheidenheit und Maßhalten. Beides scheint sich zu widersprechen, gehört jedoch zusammen. Keine leichte Botschaft, aber die einzige, die lange und kurze Frist, Sparen und Wachstum verbindet.

Franz Müntefering gelang es in Neuhardenberg zusammen mit Hans Eichel und Kanzleramtschef Steinmeier bei der Gegenfinanzierung der Steuerreform dieses Prinzip zu verankern: Neuverschuldung für den kurzen Effekt, Subventionsabbau für die Erneuerung des Landes und, um die Glaubwürdigkeit des Sparkurses einigermaßen zu erhalten, Zutrauen in den Aufschwung. Ein kluger Mix war geplant.

Dann kommt der Kanzler und schlägt alles kaputt: Neuverschuldung pur, Sparen war gestern. Und die schmerzhaften Sozialreformen? Passend zur erneuten Holzmannisierung des Kanzlers greift der sozialkonservative Manfred Stolpe die Agenda 2010 an. Der Ost-Minister wendet sich gegen die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Osten. Und wenn es um Zumutungen geht, sind wir ja alle Ossis. Der erste Minister legt die Axt an die Agenda. Die leicht ermutigenden Konjunktursignale könnten ein Übriges tun, um den konservativen wie den sprunghaften Teil der SPD vom durchgreifenden Reformkurs abzubringen.

Der Kanzler setzt bei alldem sein selbstzufriedenes Hab-ich-es-der-Union-wieder-gezeigt-Lächeln auf. Man mag dieses Lächeln wirklich nicht mehr sehen. Immerhin hat dieser Mann das Land, bei all seinen Sekundensiegen über die Opposition, immer tiefer in die Krise treiben lassen. Dass er deswegen ein schlechtes Gewissen hätte, davon ist nichts zu merken. Dass er umgedacht hätte, konnte man zuletzt immerhin hoffen. Nun scheint auch die Wende zur Langfristigkeit wieder nur eine kurzfristige Windung zu werden.

Des Kanzlers neueste Drehung ist strategisch falsch – und taktisch unverständlich. Mit seiner reinen Schuldenpolitik macht er es der Union leicht, sich zur Abwechslung mal nicht zu spalten. Er hat Hans Eichel erneut beschädigt, ja gedemütigt; und Franz Müntefering wieder mal zum Sprechautomaten reduziert, weil der, was sonst, nun des Kanzlers neueste Kleider schön finden muss. Schließlich hat er die Grünen vor den Kopf gestoßen, die indes nur schwach protestieren. Vielleicht weil Joschka Fischer wegen seiner Brüsseler Ambitionen immer kurzfristiger denkt und dem typisch sozialdemokratischen Wachstums-Utopismus mittlerweile mehr anhängt als viele Sozialdemokraten.

Es fällt schwer, diesen Kanzler zu verstehen, es fällt aber auch immer schwerer, für ihn Verständnis aufzubringen.

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