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Politik: Familie leben

Von Tissy Bruns

Ein Tabu verliert seine Kraft, wenn es für die fragwürdig wird, die am meisten daran gehangen haben. Das Ende des Ehegattensplittings ist also absehbar, wenn ein CDU-Generalsekretär öffentlich über neue Wege nachdenkt. Die werden uns allerdings noch lange beschäftigen, nicht nur wegen der Widerstände in der Union. Ideologisch aufgeladen ist das Ehegattensplitting auch bei seinen Gegnern. Triumphgefühle über die Union können aber den Blick ebenso trüben wie deren überholte Leitbilder. Die entscheidende Frage lautet: Was ist besser als das Ehegattensplitting – für die Kinder und ihre Familien?

In der alten Bundesrepublik entsprach es der praktischen Lebensrealität, Ehe und Kinder von Staats wegen wie eine Sache zu behandeln. Wer heiratete, stellte sich auf Kinder ein. Junge Frauen gaben ihre Arbeitsstellen auf und ließen sich zwecks Familiengründung ihre Altersversorgung auszahlen – nicht der Ehe, sondern der in ihr zu erwartenden Kinder wegen wurde 1958 das Splitting eingeführt. Deswegen beruft sich zu unrecht auf das Grundgesetz, wer daran festhalten will. Artikel 6 ist nicht der bloße „Ehe“-Artikel, zu dem die Hüter und die Kritiker des traditionellen Familienbildes ihn gern stilisieren. Er verpflichtet den Staat zuallererst zum Schutz der Kinder, ausdrücklich auch der nichtehelichen. Wenn Ehe und Kinder mehr und mehr auseinander fallen, dann müssen aus dem Grundgesetz andere Maßnahmen abgeleitet werden als vor 50 Jahren.

In der Lebenswirklichkeit von heute gibt es viele Ehen ohne Kinder und viele Kinder, deren Eltern nicht verheiratet sind. Aber immer noch werden 80 Prozent aller Kinder bei ihren verheirateten Eltern groß. Die kinderlose Zahnarztgattin, die mit dem Steuervorteil ihren Pelzmantel finanziert, kommt in der Wirklichkeit seltener vor als in den Kampfgesängen der Splitting-Kritiker. Wer das Ehegattensplitting abschaffen wollte, würde auch im Jahr 2006 vor allem Eltern Geld entziehen: jungen Familien mit kleinen Kindern, bei denen die Mütter wenig oder nichts verdienen. Oder alten Eltern, deren Kinder schon aus dem Haus sind.

Das Ehegattensplitting hat sich überlebt, weil es als Instrument der Familienförderung ungenau geworden ist. Doch es fördert immer noch Kinder und Eltern. Es kann also nur um einen Umbau gehen, einen mit Vorsicht und Augenmaß. Schon deshalb, weil ein Staat der leeren Kassen leichter nimmt, als er zurückgibt. Die Vorstellung, das Geld für das Ehegattensplitting künftig in die öffentliche Kinderbetreungsstruktur zu stecken, ist deshalb praktischer Unfug: Eine Drei-Kinder-Familie mit dem allein verdienenden Vater würde bei diesem Modell zu den Verlierern zählen. Es überzeugt auch grundsätzlich nicht. Der Paradigmenwechsel in der Familienpolitik, den die Sozialdemokratin Renate Schmidt vorbereitet hat, den die Christdemokratin Ursula von der Leyen vollziehen will, besteht ja nicht darin, statt der Ehe und Familie nun die öffentliche Betreuung zu fördern. Es geht darum, endlich auch das Zweite zu tun, ohne das Erste zu lassen.

Und für das Erste bleibt eine Grundidee des Ehegattensplittings und vieler Urteile aus Karlsruhe richtig: Wer Kinder aufzieht, darf vom Staat nicht so zur Kasse gebeten werden wie die kinderlosen Steuerzahler. Das Familiensplitting ist eine gute Idee – von der die praktische Politik weit entfernt ist. Der ideelle Gewinn aber wäre groß, wenn die CDU für die Familien über ihren eigenen Schatten spränge.

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