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© dpa

Familienpolitik: "In Schweden ist Erziehung nicht nur Frauenthema"

Familienministerin von der Leyen zeigt sich bei einem Kita-Besuch in Stockholm beeindruckt von den Konzepten und deren Umsetzung.

Warum besuchen Sie ausgerechnet einem schwedischen Kindergarten?



Wenn wir jetzt die Kitas für Kinder zwischen ein und drei Jahren ausbauen, geht es vor allem darum, gute Qualität zu schaffen. In Schweden hat man schon seit langem eine integrierte Vorschule für Kinder von eins bis fünf. Ich wollte vom Bildungsplan, dem Konzept und der praktischen Umsetzung hier mehr erfahren.

Was lässt sich aus Ihrem Studienaufenthalt hier lernen?

Es wird immer aus dem Blickwinkel des Kindes gedacht. Die vier Grundmelodien sind Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, Fantasie und Sprache, Zahlenräume und Naturwissenschaften entdecken. Die Option für die Kleinen, über die Welt und sich selbst etwas zu lernen, wächst hier mit dem Alter der Kinder mit. Das ist sehr beeindruckend. Auffallend ist, wie kreativ die Erzieher Wege finden, um den Kindern die Wissenswelt spielerisch zu öffnen. Kleinkinder sind von Natur aus so neugierig und wissbegierig. Dieses Potenzial wird hier wirklich ausgenutzt. Und die Rolle der Eltern ist stärker, die Geschwister und das Zuhause der Kinder werden immer wieder einbezogen.

Was ist Ihnen konkret aufgefallen an der Arbeit der Erzieher?

Die Lehrerinnen sind sehr erfindungsreich. Im „Piratenzimmer“ mit einem Kinderpiratenschiff und einer Piratenhütte hängt nicht zufällig auch eine Weltkarte. Mit gespielten Seereisen werden geografische Kenntnisse gesammelt. Also: Die kleine Saba stammt aus Äthiopien, wo liegt Äthiopien? Schon den Kleinsten wird über einfache Basteleien rund um die Wochentage ein Gefühl für Zeit nahe gebracht. Die Geschichten, die die Kinder erzählen, füllen ihre eigenen Erzählbücher von Zweiwortsätzen am Anfang bis später zu Abenteuern mit wilden Tieren. Es wirkt so verspielt, und doch ist ein systematischer, roter Faden drin.

Was kann Deutschland besser machen?

Erstens: Bildung nicht in Schachteln packen, auf denen Krippe, Kita, Grundschule, Mathe, Deutsch oder Bio steht. Sondern ganzheitlich denken. Wie kann ich das Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken nutzen, um Bildung in den ersten zehn Lebensjahren spannend zu machen? Zweitens: Das Elternhaus gehört zu Kita oder Schule, so wie Mond und Sonne zueinander im Tagesablauf gehören. Am Tag bevor ein Kind neu in die Kita kommt, bekommt es in Schweden zu Hause Besuch von seiner Erzieherin, auch um seinem Zuhause einen hohen Wert beizumessen.

Es könnte wie Zwang erscheinen, kleinen Kindern so früh Wissen aufzudrängen …

Kinder lernen vom ersten Lebenstag an. Sie können sie gar nicht davon abhalten. Die Frage ist eher, ob bei manchen Kindern nicht in den ersten Lebensjahren Fähigkeiten verkümmern, sich nie entfalten, weil sie keine Anregung bekommen. Denken Sie nur an eine Kindheit ohne Musik oder Singen. Das lässt sich später nicht mehr wecken.

In welchen Bereichen macht sich die lange schwedische Erfahrung mit öffentlichen Erziehungsangeboten im Kontrast zu Deutschland besonders bemerkbar?

Die Zufriedenheit mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in Schweden laut Umfragen sehr viel höher. Nicht zuletzt wegen der hohen Qualität ist für die große Mehrheit der Eltern in Schweden der Kitaplatz vom ersten oder zweiten Lebensjahr an eine Selbstverständlichkeit. Fakt ist, in Schweden besuchen 78 Prozent der unter Dreijährigen eine Kita, in Deutschland finden nur 18 Prozent einen Platz. Entscheidend erscheint mir aber, dass den schwedischen Vätern die Erziehung ihrer kleinen Kinder genauso am Herzen liegt wie den Müttern. Sie nehmen häufiger Erziehungszeit für ihre Kleinen, aber wollen gleichzeitig in ihren Berufen weiterkommen. Damit machen sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie automatisch zu einem Anliegen der ganzen schwedischen Wirtschaft und Gesellschaft. Erziehung ist dort nicht nur ein isoliertes Frauenthema.

Was planen sie konkret in Deutschland?

Der erste Schritt ist Qualifikation von Tagesmüttern und Weiterbildung von Erziehern. Daran arbeiten wir zurzeit mit den Ländern. Da ist richtig Dynamik drin, weil wir alle die berechtigten Erwartungen der Eltern spüren.

Das Gespräch führte André Anwar.

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